Geschlossene Cockpits? Für Villeneuve "keine Formel 1 mehr"
Jacques Villeneuve erklärt, warum er als Formel-1- und IndyCar-Pilot nichts von Cockpitkuppeln hielt und sie weiter kritisch sieht - Ideen des Kanadiers nie umgesetzt
(Motorsport-Total.com) - Der tödliche Unfall von Justin Wilson vor knapp zwei Wochen beim IndyCar-Rennen in Pocono hat auch in der Formel 1 die Diskussionen um geschlossene Cockpits wieder angeheizt. Jacques Villeneuve, seines Zeichens Formel-1-Weltmeister, IndyCar-Champion und Indy-500-Sieger, hat eine klare Meinung, wenn es um darum geht, die Formel-1-Autos künftig mit Cockpitkuppeln zu versehen.
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Jacques Villeneuve hat klare Vorstellungen von der Optik der Formel-1-Cockpits Zoom Download
"Klar kann es auch mit geschlossenen Cockpits tolle Rennen geben. Das ist dann aber keine Formel 1 mehr, sondern Gruppe C", zieht Villeneuve im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' den Vergleich zur einstigen Sportwagen-Weltmeisterschaft, die kurz vor dem geplanten Beginn der Saison 1993 eingestellt wurde.
"Natürlich gibt es ein Risiko, aber das gehört dazu. Ein Teil dessen, weshalb die Formel 1 einen solch großen Reiz ausübt, ist es immer gewesen, dass die Fans die Fahrer sehen können. Sie können die Helme sehen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass sie die Menschen fahren sehen", bemerkt Villeneuve.
Offene Cockpits machen den Reiz der Formel 1 aus
"Bei einem Sportwagen ist das anders, weil man dort nur das Auto sieht. Das macht es aus Sicht der Konstrukteure interessant, aber aus Sicht der Zuschauer spielt der Fahrer eher eine untergeordnete Rolle, weil man ihn nicht erkennen kann. Man weiß von der Tribüne aus nicht, wer das Auto gerade fährt. In einem offenen Rennwagen ist das ganz anders. Dort erkennt man den Fahrer am Helm und identifiziert sich auf diese Weise mit seinem Helden", sagt Villeneuve und spricht sich auch im Hinblick auf die Zukunft für offene Formel-1-Cockpits aus.
"Wer einen Vertrag unterschreibt, weiß doch genau, dass es potenzielle Gefahren gibt. Das gehört zum Motorsport nun mal dazu. Wir sind uns der Gefahren bewusst. Das ist ein Teil des Sports, den wir mögen. Das macht den Kitzel aus im Racing, eben dass die Gefahr mitfährt", bemerkt Hülkenberg und gibt zu verstehen: "Man kann gar nicht alle Gefahren ausschließen. Wir sollten nicht alles übermäßig sicher und zu klinisch machen. Das wäre nicht gut für den Sport, der dadurch womöglich weniger attraktiv werden würde."
Risiko als Teil des Motorsports
Villeneuve räumt ein, dass im Falle des Unfalls von Justin Wilson "ein geschlossenes Cockpit geholfen hätte", stellt aber gleichzeitig die Frage: "Würden dann so viele Zuschauer zu den Rennen kommen?" Mario Andretti sieht es genauso. Die US-Rennlegende sagte vor wenigen Tagen: "Der Motorsport wird niemals zu 100 Prozent sicher sein. Wenn es so wäre, blieben die Tribünen leer." Dies gelte für die IndyCar-Serie genauso wie für die Formel 1 und andere Formelrennserien.
Dass die IndyCar-Serie mit ihren Ovalrennen verglichen mit der Formel 1 grundsätzlich gefährlicher ist, will Villeneuve anhand des Wilson-Unfalls nicht bestätigten. "Das, was mit Justin passiert ist, war einfach abgefahren. Ein Teil flog durch die Luft. Das war einfach Pech und hätte genauso auf einem Stadtkurs passieren können wie es auch hätte passieren können, wenn man gerade am Morgen unterwegs ist, um sich einen Kaffee zu holen. Es war einfach ein unglaublich unglücklicher Unfall, der nicht zwangsläufig auf das Racing zurückzuführen war."
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Viele Pilotenkollegen hielten Stefan Bellof für den schnellsten Autorennfahrer seiner Generation. Dennoch fand der Sportwagen-Weltmeister von 1984, der im Porsche 956 auf sämtlichen prestigeträchtigen Rennstrecken siegte, nie einen verdienten Platz in den Formel-1-Annalen. 20 Starts in einem unterlegenen Tyrrell waren nicht genug, um zu zeigen, welches Können in dem mit 27 Jahren verunfallten Megatalent Bellof steckte. Doch der Hesse ist nicht der einzige Pilot der Geschichte, für den ein früher Tod eine große Karriere im Keim erstickte... Fotostrecke
Auch Formel-1-Pilot Sergio Perez bezeichnet den Wilson-Unfall als "sehr großes Pech" und vergleicht: "Es ist fast so, als würde einem ein Flugzeug auf den Kopf stürzen." Die geringe Wahrscheinlichkeit, dass so etwas wieder passiert, ist für den Mexikaner allerdings kein Grund, von Verbesserungsvorschlägen Abstand zu nehmen, im Gegenteil. "Felipe (Massa auf dem Hungaroring 2009; Anm. d. Red.) ist etwas Ähnliches passiert, Henry Surtees in der Formel 2 ebenso. Wir sollten uns über alle Möglichkeiten ernsthafte Gedanken machen, wenn sie die Sicherheit der Fahrer nachweislich erhöhen", so Perez.
Villeneuves Ideen wurden nie umgesetzt
"Natürlich wäre es mit einem geschlossenen Cockpit sicherer, aber das würde nicht dem Grundgedanken des Formelsports mit offenen Cockpits entsprechen", unterstreicht derweil Villeneuve seine Bedenken und hält fest: "Man muss halt einfach entscheiden, welchen Weg man gehen will." Auf die Frage, ob er sich selbst während seiner aktiven Karriere als Formelpilot ein geschlossenes Cockpit gewünscht hätte, entgegnet der Kanadier sofort: "Nein, niemals. Was ich mir aber gewünscht hätte, wäre, dass der Überrollbügel weiter über den Kopf ragt, sodass man sich nicht den Kopf anschlägt, wenn man kopfüber im Reifenstapel landet."
Weiter nach vorn ragende Überrollbügel waren nicht die einzige Idee, die Villeneuve eigener Aussage zufolge "mehrmals angesprochen" hat, als er selbst noch in offenen Rennwagen unterwegs war. Eine weitere Idee des Kanadiers, die nie umgesetzt wurde: "Ich fand den Gedanken, die Rückspiegel zu verbieten, immer fantastisch."
Warum? "Weil es wesentlich sicherer wäre. So wüsste der Hinterherfahrende nämlich, dass ihn der Vordermann nicht gesehen hat und würde die Nase seines Fahrzeugs nicht dort platzieren, wo sie nicht hingehört. Genau das sieht man aber heutzutage immer wieder", argumentiert Villeneuve und nennt als Beispiel die Kollision zwischen Daniel Ricciardo und Nico Rosberg auf dem Hungaroring oder die Kollision zwischen Ricciardo und Kimi Räikkönen in Monte Carlo. "Das war ein fürchterliches Manöver, das nur möglich war, weil es Rückspiegel gab", spricht der Kanadier Ricciardos Monaco-Manöver an und hält abschließend beinahe trotzig fest: "Aber auf meine Ideen hat ja nie jemand gehört."
Kommt ein besserer Cockpitschutz für die Formel 1?
Vielleicht hört in Zukunft jemand auf die Ideen der FIA, die gegenwärtig zwei Varianten eines besseren Cockpitschutzes testet. "Ich habe einen Entwurf gesehen, den mit dem Bügel, und muss sagen, warum nicht?", zeigt sich Valtteri Bottas vom Konzept eines halboffenen Cockpits angetan. "Wenn es die Sicht für den Fahrer nicht zu sehr einschränkt, gleichzeitig aber Teile abhält, dann sehe ich keinen Nachteil darin. Es hat viele Unfälle gegeben, bei denen Fahrer von irgendwas am Kopf getroffen wurden. Wenn es also eine Möglichkeit gibt, dies zu unterbinden, dann wäre das gut", meint der Williams-Pilot.
Auch eine komplett geschlossene Kuppel würde Bottas, anders als Hülkenberg und Villeneuve, nicht von vornherein ablehnen. "Einen Versuch wäre es auf jeden Fall wert. Klar, einige Leute sagen, dass ein Formel-1-Auto mit geschlossenen Cockpit kein Formel-1-Auto mehr ist. Ich weiß aber ehrlich gesagt nicht, welchen Unterschied es macht, wenn es eine Haube gibt, durch die man immer noch durchsehen kann. Ich stehe all diesen Dingen offen gegenüber, denn man macht sich Gedanken im Sinne der Sicherheit", so Bottas. Fernando Alonso stimmt zu: "Wenn eines dieser geschlossenen Cockpits auch nur ein Leben rettet, dann ist es das wert."
Die Zukunft wird zeigen, ob eines der gegenwärtig im Test befindlichen Konzepte - und wenn ja, welches - in die Tat umgesetzt wird.