• 05. Februar 2014 · 16:23 Uhr

Hintergrund: Die erste Turbo-Ära der Formel 1

Erstmals seit 1986 stehen ausschließlich Autos mit Turbomotor in der Startaufstellung der Formel 1: Wir blicken zurück auf die Turbo-Ära der 1980er-Jahre

(Motorsport-Total.com) - Erstmals seit dem Großen Preis von Australien 1986 geht das Formel-1-Starterfeld am 16. März 2014 wieder geschlossen mit Turbomotoren an den Start. Es war damals die einzige Saison, in der Turbomotoren vom Reglement vorgeschrieben waren. So wie sie es ab diesem Jahr erneut sind.

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Feuer frei: Ein klassisches Bild aus der Formel-1-Turbo-Ära in den 1980er-Jahren Zoom Download

Nach der Saison 1988 waren die Turbomotoren verboten worden, weshalb die Formel 1 bis 2013 ausschließlich auf Saugmotoren gesetzt hat. Doch die Erinnerungen, an die feuerspuckenden, heulenden V6- und R4-Turbomotoren mit einem Hubraum von je 1,5 Litern, die teilweise bis zu 1.500 PS leisteten und den Sport in der Turbo-Ära dominierten, sind geblieben. Und die neue Generation der Formel-1-Turbomotoren entstammen unverkennbar der gleichen Familie.

Doch aufgepasst: Bei diesen neuen Motoren handelt es sich um ungeheuer komplexe Systeme, die nicht einmal annähernd auf das Leistungsniveau ihrer Vorgänger kommen. Die neuen Turbomotoren sind allerdings auch auf maximale Effizienz getrimmt. Zusatzsysteme zur Energie-Rückgewinnung und ein kompliziertes Motorenmanagement lassen die früheren Turbomotoren der Formel 1 wie ein Kinderspiel erscheinen. Die Turbomotoren der 1980er-Jahre waren aber alles andere als simple Motoren.

Renault macht den Anfang, doch aller Anfang ist schwer

Gehen wir also auf Zeitreise: Der mutige Vorstoß von Renault mit dem RS01, der von einem 1,5-Liter-V6-Motor mit einem einzelnen Garrett-Turbolader angetrieben wurde, fuhr erstmals am 23. März 1977 in Paul Ricard. 830 Tage später erzielte der Nachfolger dieses Fahrzeugs, der RS10, mit Jean-Pierre Jabouille am Steuer und mit einem auf dem ursprünglichen Aggregat basierenden Biturbo-Motor den ersten Sieg in der Turbo-Ära.

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Der erste Turbomotor in der Formel 1: Renault setzt ihn RS01 von 1977 ein Zoom Download

Bis zu diesem Erfolg war viel Zeit ins Land gegangen: Der erste Prototyp des Renault-Turbomotors hatte bereits im März 1976 sein Streckendebüt gegeben. Der Legende nach erntete das Konzept eines Formel-1-Autos mit Turbomotor zur damaligen Zeit nur Hohn und Spott. Doch während manche das Produkt aus französischem Ehrgeiz und Wissen für eine Sackgasse hielten, erkannten andere das Potenzial, das in diesem Ansatz steckte.

Bei einem Test im in Dijon, wenige Wochen vor dem Debüt des Autos beim Grand Prix von Großbritannien 1977, hatte Jabouille alle weiteren Teilnehmer außer Jacques Laffite im Ligier hinter sich gelassen. Und so entstand die Befürchtung, das neue Auto könnte alles bisher Dagewesene übertreffen. Das Fahrzeug litt zwar unter einigen Problemen, aber Jabouilles Runde von 1:12.89 Minuten sorgte trotzdem für großen Aufruhr.

Wie der Turbomotor in die Formel 1 kam

"Ich denke, ich hätte es locker unter 1:12.5 Minuten schaffen können", sagt Jabouille rückblickend. "Es gab aber immer ein Problem mit Fehlzündungen. Mir gelangen nie mehr als zwei oder drei Runden am Stück."

Man glaubte damals, Kompressionsmotoren bräuchten so fortschrittliche Benzinmischungen, wie sie in den 1950er-Jahren genutzt werden konnten. Doch das wurde von den Regeln ausgeschlossen: Die Rennautos der Formel 1 mussten den Sprit nutzen, den auch normale Straßenwagen tankten. Andere wiederum erkannten, dass das 2:1-Verhältnis, das es den 1,5-Liter-Turbomotoren gestattete, es mit den 3,0-Liter-Saugmotoren aufzunehmen, möglicherweise nicht besonders fair sein würde.


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Zunächst musste Renault den 2,0-Liter-V6-Motor nutzen, der bereits bei den Sportwagen und auch in der Formel 2 zum Einsatz gekommen war. Sie hatten damit zwei Optionen: den Motor entweder in einen 1,5-Liter-Turbo oder in einen ungewöhnlichen 3,0-Liter-W9-Saugmotor umwandeln. Man entschied sich rasch für den Kompressionsmotor. Vor allem, als klar war, dass der Motorblock aus Gusseisen den Anforderungen der Turboaufladung gerecht werden würde.

Der erste Grand-Prix-Start wird zur Enttäuschung

Kaum hatte Renault mit dem Bau des Turbomotors begonnen, rotteten sich die bestehenden Teams zusammen, um solche Motoren zu verbieten zu lassen. Sie ahnten sehr wohl, was mit einem gut entwickelten Turbomotor möglich sein würde. "Die Alternative zum bis dahin vorherrschenden 3,0-Liter-Saugmotor wurde für hoffnungslos unterlegen gehalten", schrieb der frühere 'Autosport'-Technikredakteur John Bolster am Vorabend des Autodebüts in Silverstone.

"Auf einmal schien es, dass der neue Turbomotor so schnell sein würde, dass er die 'alte Garde' wirklich alt aussehen lassen würde..."Autosport-Reporter John Bolster
Bolster weiter: "Doch auf einmal schien es, dass der neue Turbomotor so schnell sein würde, dass er die 'alte Garde' wirklich alt aussehen lassen und dass dieses Aggregat so teuer sein würde, dass die Sponsoren reißausnehmen würden." Die Befürchtung, wonach der Renault-Turbomotor auf Anhieb dominieren könnte, erhärteten sich beim Debüt in Silverstone allerdings nicht. Jabouille hatte mit technischen Problemen zu kämpfen und erzielte im Qualifying bei 1,6 Sekunden Rückstand auf die Pole-Position nur Rang 21.

Angesichts der Schwierigkeiten aus den Trainings war es schon eine Leistung, dass das Auto überhaupt in der Startaufstellung stand. Doch nach 16 Rennrunden war Schluss: Jabouille, der im Rennen bis auf Platz 16 nach vorn gekommen war, schied mit defektem Turbolader aus. Es war der Beginn eines langen und anstrengenden Prozesses, das Fahrzeug konkurrenzfähig und zuverlässig zu machen.

Renault bleibt am Ball und entwickelt weiter

Die Temperaturen zu kontrollieren erwies sich als großes Problem. Gleiches galt für die Produktion von Kolben und Turboladern, die den Kräften und dem hohen Druck standhalten mussten. Das zog langwierige und kostspielige Maßnahmen nach sich.

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Auch das ist ein typisches Bild aus der Ära der Turbomotoren: Flammen am Autoheck Zoom Download

Für das damals kleine Team stellte dies eine große Herausforderung dar. Bernard Dudot verantwortete das Projekt gemeinsam mit dem Technischen Direktor von Renault, Francois Castaing, und mit dem Formel-1-Projektleiter von Renault, Jean-Pierre Boudy. Doch ihnen stand nur ein acht Mann starkes Team zur Verfügung. Glücklicherweise zeigte sich Renault-Präsident Bernard Hanon begeistert vom Turbomotor. Und so unterstützte er dieses Projekt maximal, was laut Dudot "heute so nicht mehr passieren würde".

Leistung (oder besser: Spitzenleistung) konnte damals ziemlich einfach erzielt werden. Der Turbomotor war seinen Saugmotor-Rivalen in diesem Punkt nämlich von Anfang an überlegen. Doch das reichte nicht aus, um das Aggregat konkurrenzfähig zu machen. Die Zuverlässigkeit war deshalb ein so großes Problem, weil es die notwendige Technologie schlichtweg noch nicht gab. Und Renault und die Zulieferer stießen auf Probleme, weil sie bei ihrem Motor mit viel Ladedruck arbeiteten, obwohl der Motor - so hat man das Reglement damals interpretiert - mit herkömmlichen Straßenwagen-Benzin auskommen musste.

Es geht voran: Der Renault-Turbomotor punktet

Doch mit der Zeit wurde der neue Turbomotor nicht nur sehr leistungsstark, sondern eben auch zunehmend zuverlässig. Ein Teil dieses Erfolgs geht zurück auf Elf, die unter großem Kostenaufwand den Sprit mit zündungshemmenden Zusätzen anreicherten, um die Temperaturen im Rahmen zu halten.

"Der Ladedruck wurde immer weiter erhöht, sodass die Leistung pro Jahr um 30 bis 50 PS anwuchs."Renault-Projektleiter Bernard Dudot
"Anfangs erzielten wir 550 PS bei 2,5 bar Ladedruck", erklärt Dudot. "Das reichte aber nicht aus, weil bei uns im Gegensatz zur Konkurrenz ja das Turboloch auftrat. In einer Ausbaustufe kamen wir mit etwa 3,0 bar Ladedruck auf 600 PS. Der Ladedruck wurde immer weiter erhöht, sodass die Leistung pro Jahr um 30 bis 50 PS anwuchs. Mit Lotus und Ayrton Senna kamen wir dann schließlich bei 1.500 PS und 5,5 bar Ladedruck an."

In der Anfangszeit schienen vierstellige PS-Zahlen jedoch noch unerreichbar zu sein. In den ersten eineinhalb Jahren wurden dennoch gewaltige Fortschritte erzielt. Die Leistung stieg stetig an, sodass Jabouille beim dritten Rennen der Saison 1978, in Südafrika, den sechsten Startplatz eroberte. Doch erst beim Großen Preis der USA im Oktober desselben Jahres fuhr das Auto mit Platz vier erstmals in die Punkte.

1979: Der erste Sieg eines Turbomotors in der Formel 1

1979 siegte Jabouille beim Großen Preis von Frankreich - in einem neuen Auto und mit einem Motor, der mit zwei Turboladern ausgestattet war. Dieses System spielte eine wichtige Rolle dabei, das Turboloch (das anfangs noch Sekunden betragen hatte) auszugleichen. Und es war das Rennen, das aufgrund des beeindruckenden Duells zwischen Rene Arnoux und Gilles Villeneuve beim Kampf um Platz zwei in die Geschichte einging.

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Ferrari mischt mit: Zu Beginn der Turbo-Ära gibt's plötzlich Konkurrenz für Renault Zoom Download

Der Große Preis von Frankreich 1979 stellte aber auch einen Wendepunkt für die Formel 1 dar. Denn der Turbomotor verfügte nun über deutlich mehr PS als die herkömmlichen Saugmotoren. Und der Turbomotor wurde immer zuverlässiger.

Ferrari arbeitete zu dieser Zeit ebenfalls an einem eigenen Turbomotor. Doch dieses Aggregat war weitaus weniger fortgeschritten, als es Enzo Ferrari 1977 angedeutet hatte. Die Scuderia hatte sich für einen V6-Motor mit 120-Grad-Bankwinkel entschieden - 30 Grad mehr als bei Renault. Das machte es einfacher, die Motor-Zusatzsysteme und auch den Turbolader zu installieren.

Ferrari und Toleman ziehen nach, auch BMW, Honda und Porsche

Der Ferrari-Turbomotor trat beim Training zum Großen Preis von Italien 1980 erstmals kurz in Erscheinung, als Villeneuve damit fuhr. Doch erst zur Saison 1981 erhielt Renault Konkurrenz von zwei Turbo-Rivalen, nämlich vom Ferrari 126CK und vom Toleman-Reihen-Vierzylinder. Damit hatte die Turbo-Ära unwiederbringlich begonnen.

Andere sprangen alsbald auf den Revolutionszug auf. BMW arbeitete an einem Turbomotor, der 1982 erstmals im Brabham BT50 eingesetzt wurde. Dieses Triebwerk erwies sich kurz darauf als Maßstab für die Leistung von Turbomotoren. Honda brachte, zunächst mit Spirit beim Race of Champions und danach mit Williams, einen eigenen V6-Turbomotor an den Start. McLaren gab bei Porsche einen von TAG finanzierten Turbomotor in Auftrag, der im Verlauf der Saison 1983 debütierte und die Saison 1984 dominierte.

Die Technologie hielt Schritt. Und so führte Renault 1983 die elektronisch kontrollierte Einspritzung ein. Doch andere Hersteller hatten bereits die Initiative ergriffen. Sie verbesserten die Fahrbarkeit und setzten auf komplexe Systeme zum Motormanagement, was die Zuverlässigkeit verbesserte und zugleich eine bessere Kraftentfaltung ermöglichte. In Verbindung mit großen Innovationen bei der Benzin-Entwicklung - als Beispiel sei der "Raketen-Treibstoff" genannt, der die BMW-Motoren dieser Zeit befeuerte - bedeutete dies, dass Saugmotoren nicht mehr den Hauch einer Chance hatten.

1983 ist der Saugmotor noch ein letztes Mal siegreich

"Der Einspritzmotor wurde zunächst mit einer mechanischen Kugelfisher-Pumpe geregelt. Dabei gab es nur zwei Parameter: den Schub und die Stellung des Gaspedals", sagt Dudot. "Die Mischung war sehr ungenau. Die erste elektronische Entwicklung gelang mit Renix, einer Renault-Tochterfirma. Das war aber nicht erfolgreich."

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Zwei McLaren-Honda an der Spitze, dann lange nichts: Das Ende der Turbo-Ära 1988 Zoom Download

"Magneti Marelli engagierte sich zu sehr bei Ferrari. Und Renault wollte nicht mit dem gleichen Zulieferer wie ein direkter Konkurrent arbeiten. Das erwies sich als Fehler. Denn binnen zweier Jahre hatte das Magneti-Marelli-System große Fortschritte beim Turboloch, der Temperatur-Kontrolle und der Zuverlässigkeit der Kolben erzielt", meint Dudot.

Als Michele Alboreto im Tyrrell das Rennen in Detroit 1983 für sich entschied, war es der vorerst letzte Sieg eines herkömmlichen Saugmotors über einen Kompressionsmotor. In den folgenden fünf Saisons dominierten die Turbomotoren das Geschehen, wenngleich Anpassungen vorgenommen wurden, um den Kampf der Motorenkonzepte fairer zu gestalten.

Die erste Formel-1-Turboära endet 1988

So wurde 1984 ein Spritlimit von 220 Litern eingeführt, das zwei Jahre später auf 195 Liter reduziert wurde. Zur Saison 1987 begrenzte man den maximalen Ladedruck auf 4,0 bar. 1988, im letzten Jahr der Turbomotoren, galten ein Ladedruck-Limit von nur 2,5 bar und eine maximale Spritmenge von 155 Litern. Dennoch blieben die Turbomotoren an der Spitze: McLaren-Honda düpierte 1988 das gesamte Feld.

Renault hat es nie geschafft, den angestrebten WM-Titel mit dem Turbomotor zu erobern. Doch es ist gut möglich, dass es ohne den Pioniergeist des französischen Unternehmens nie eine Turbo-Ära in der Formel 1 gegeben hätte. Dass es eine eben solche gab, ist der Innovation und der harten Arbeit von Renault zuzuschreiben. Und auch dem Vertrauen, das die Renault-Führung in das Projekt hatte - trotz der anfänglichen Probleme und der eher peinlich wirkenden Ausfälle.

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