Regenreifen überflüssig? Pirelli-Sportchef überzeugt: Es geht doch auch ohne!
Selbst bei Starkregen kommen in der Formel 1 fast immer die Intermediate-Reifen zum Einsatz - Warum das so ist und der Full-Wet vielleicht gar nicht notwendig wäre
(Motorsport-Total.com) - Kein Reifentyp wird in der Formel 1 seltener eingesetzt als der Full-Wet-Regenreifen, denn selbst bei Starkregen bleiben die meisten Teams lieber auf den Intermediates. Für Pirelli-Sportchef Mario Isola stellt sich daher die Frage, ob zwei verschiedene Mischungen für nasse Streckenverhältnisse überhaupt noch zeitgemäß sind.
"Derzeit schreibt das Formel-1-Reglement zwei verschiedene Produkte vor, also müssen wir auch zwei verschiedene Reifen entwickeln", erinnert der Italiener, dass die Entscheidung nicht bei Pirelli liegt. Deshalb arbeitet der Reifenhersteller aktuell an neuen Intermediates und Regenreifen für die kommende Saison, wenn sich die Reifengröße verändert.
Aber: "Wir haben im Rahmen unserer Entwicklungsarbeit auch ein neues Reifenprofil getestet, das jenem ähnelt, das wir in der Formel 3, im GT-Sport und in der Ferrari-Challenge einsetzen, wo keine Intermediates verwendet werden", sagt Isola, der überzeugt ist, dass es nicht zwei unterschiedliche Mischungen geben müsste.
Denn in vielen anderen Rennserien "müssen die Reifen sowohl bei starkem Regen als auch auf abtrockender Strecke funktionieren", betont der Italiener mit Blick auf das Reifenprofil. "Bei unserem letzten Test in Fiorano wurde dieses Produkt als Kompromisslösung zwischen den beiden bekannten Mischungen [Regen und Intermediate] eingestuft."
Wäre ein "Kompromiss-Reifen" ausreichend?
"Natürlich gilt: Wenn man zwei separate Produkte hat, kann man diese spezifisch auf ihre jeweiligen Bedingungen auslegen, also ein Intermediate, der unter abtrocknenden Bedingungen funktioniert, und ein Regenreifen, der bei starkem Regen seine Leistung bringt."
"Hat man hingegen nur ein Produkt, muss es ein Kompromiss sein, der unter allen Bedingungen funktioniert", weiß Isola, der in der Formel 3 allerdings keine Schwierigkeiten dabei sieht. "Auch im GT-Sport und in der Ferrari-Challenge haben wir sehr positives Feedback erhalten."
Auch deshalb hält Pirelli eine einzige Lösung für Regenreifen in der Hinterhand und entwickelt weiter: "Sollten sich die Regelhüter in Zukunft für eine andere Lösung entscheiden und das neue Profil in Betracht ziehen, wollen wir vorbereitet sein und ihnen eine entsprechende Option anbieten können."
Isola: Schlechte Sicht liegt nicht am Reifen
Doch vorerst wird es dabei bleiben, dass es in der Formel 1 sowohl den Intermediate als auch den Full-Wet-Regenreifen geben wird, weshalb Pirelli für 2026 wieder zwei Mischungen entwickelt. "Wir haben mit einem Intermediate-Reifen begonnen, der dem aktuellen Produkt sehr ähnlich ist, ebenso wie der Regenreifen für Extrembedingungen."
"Unser Ziel ist es, die sogenannte 'Crossover-Zeit' zwischen dem Einsatz von Regenreifen und Intermediates zu verkürzen", verrät Isola. "Das eigentliche Problem - und Silverstone ist ein gutes Beispiel dafür - besteht jedoch darin, dass selbst bei der Verwendung von Intermediates die Sicht sehr eingeschränkt ist."
Dabei erinnert der Pirelli-Sportchef an den Unfall zwischen Kimi Antonelli und Isack Hadjar, der auf die schlechte Sicht zurückzuführen war, obwohl beide Piloten mit Intermediates unterwegs waren. "Wir können in dieser Hinsicht wenig tun, und auch auf regulatorischer Ebene gibt es kaum Handlungsspielraum."
Denn: "Ein Großteil des aufgewirbelten Wassers stammt aus dem Diffusor, daher hätten Radabdeckungen kaum Einfluss auf die Sichtverhältnisse", erinnert Isola an die Überlegungen der letzten Monate, um die Sicht auf nasser Strecke zu verbessern.
Full-Wets müssen früher Sinn machen
Unabhängig von der Sicht bleibt das Ziel, den Crossover-Punkt von derzeit etwa 118 Prozent "auf 116 oder sogar 115 Prozent zu senken", sagt der Pirelli-Verantwortliche. "Damit wäre gewährleistet, dass der Regenreifen weiterhin gut funktioniert und die Fahrer nicht so früh wie möglich auf Intermediates wechseln müssen."
Warum die Regenreifen derzeit nur selten zum Einsatz kommen? "Ich glaube, weil die Fahrer wissen, dass deren Einsatz oft sehr nah an einer Rennunterbrechung mit roter Flagge liegt", meint Isola. "Man will einen zusätzlichen Boxenstopp vermeiden, weil man dadurch Zeit verliert und diese eventuell nicht wieder aufholen kann."
Auch im Regen von Silverstone fuhren deshalb viele Piloten trotz des stehenden Wassers mit den Intermediate-Reifen. "Unser Ziel ist es, die Crossover-Schwelle zu senken, damit der Übergang zu Regenreifen leichter fällt", betont der Pirelli-Sportchef.
"Aber letztlich hängt alles davon ab, wann die Bedingungen als so schlecht eingestuft werden, dass entweder ein Safety-Car herauskommt oder das Rennen mit roter Flagge unterbrochen wird", weiß Isola. Und das könnte auch am Sonntag in Spa wieder zum Problem werden.