Wie McLaren das beste Formel-1-Auto sogar noch besser gemacht hat
Teamchef Andrea Stella erklärt den riskanten Ansatz von McLaren und wie man für 2025 noch einmal einen Zahn zulegen konnte
(Motorsport-Total.com) - Musste McLaren in der Saison 2024 noch bis zum letzten Meter sprinten, um Ferraris springendes Pferd abzuwehren und den ersten Konstrukteurstitel seit 1998 einzufahren, steuert das Team in diesem Jahr nahezu im Galopp auf den zweiten Titel zu.
Mit elf Siegen aus 14 Rennen hat McLaren fast doppelt so oft gewonnen wie im Vorjahr (sechs Siege). Und da es diesmal keine weiteren Rivalen gibt, werden Lando Norris und Oscar Piastri unter sich ausmachen, wer Lewis Hamilton als McLarens nächsten Weltmeister ablöst.
Der Ursprung dieses überwältigenden Erfolgs liegt Jahre zurück - sorgfältig aufgebaut von Teamchef Andrea Stella und CEO Zak Brown, die sich fragten, warum das fruchtbare Umfeld des McLaren Technology Centre nicht die Ergebnisse brachte, die das Ingenieursteam eigentlich verdient hätte.
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Teil davon war, das volle Potenzial bestehender Top-Leute wie Aerodynamik-Experte Peter Prodromou zu entfesseln, dessen Vertrag Anfang des Jahres verlängert wurde, und die Mannschaft durch externe Spitzenkräfte wie den hoch angesehenen Ex-Red-Bull-Designer Rob Marshall zu verstärken.
Auch der Weg zum diesjährigen Auto, dem MCL39, war langfristig geplant. Da 2025 die letzte Saison des aktuellen Reglements ist und 2026 mit einer großen Regelreform droht, stellte sich die Frage: Soll es 2025 eine Evolution oder eine Revolution geben?
Für viele Teams weiter hinten im Feld war die Antwort einfach - 2026 bietet die große Chance zum Comeback. Doch mitten im Titelkampf 2024 gegen Red Bull und Ferrari wurde Stella klar: Wer an der Spitze bleiben will, darf nicht auf Sicherheit setzen. Der Nachfolger des schließlich titelgekrönten MCL38 musste mutig und ambitioniert werden.
"Irgendwann während der Saison 2024 dachten wir: 2025 müssen wir wirklich einen Schritt nach vorne machen", erklärt Stella im Gespräch mit der globalen Ausgabe von Motorsport.com, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport Network.
"Denn wir hatten gesehen, dass die Top-4-Teams sehr nah beieinander lagen, was viel Variabilität im Ausgang eines Rennwochenendes bedeutete. Das heißt auch: Wenn man etwas mehr investiert und sich von dieser Gruppe absetzen kann, hat man regelmäßig Chancen auf große Erfolge."
Das Ziel: 2025 stark sein für 2026
Ein strategischer Vorteil war, die Entwicklung vor dem 2. Januar zu beschleunigen - dem offiziellen Startschuss für die Aero-Arbeiten am 2026er Auto. Das würde erlauben, sich im Erfolgsfall frühzeitig voll auf 2026 zu konzentrieren.
"Gleichzeitig dachten wir: Wenn wir 2025 mit einem starken Auto gut dastehen, können wir den Druck auf '25 reduzieren und uns mehr auf '26 fokussieren. Deshalb haben wir beim MCL39 viele Innovationen umgesetzt - in Bereichen, in denen wir am Limit unseres Ingenieurwissens gearbeitet haben. Das erforderte Mut und Engagement."
Das erforderte den größten Glauben an die Ingenieure in Woking, dass McLaren sich nicht mehr vornehmen würde, als es bewältigen kann. Stella gab zu, dass die Designabteilung Lösungen gefunden hat - die geheim gehalten werden, aber viele Spekulationen ausgelöst haben - "die wir noch nie zuvor gemacht haben".
Die Fehler von Oscar Piastri im WM-Kampf 2025
Eigentlich galt McLaren-Teamkollege Lando Norris als WM-Favorit, doch Oscar Piastri konnte sich beim fünften Rennen des Jahres erstmals an die Spitze der WM-Tabelle setzen. Sein Vorsprung wäre sogar noch größer, wenn er weniger Fehler gemacht hätte. Wir liefern eine Übersicht über seine bisherigen Fehltritte. Fotostrecke
"Das Team ist derzeit in einer Position, in der wir diese Art von technischem Risiko eingehen können, und wir lernen unterwegs. Man geht dieses Risiko ein und vertraut darauf, dass man die richtige Technik und die richtigen Prozesse entwickelt, um Lösungen zu realisieren, die zum Beispiel aerodynamisch gut aussehen, deren Umsetzung am Auto aber Neuland ist", sagt Stella.
"Mit diesem Ziel vor Augen haben wir nahezu jeden einzelnen Bereich innoviert und Effizienz gewonnen. Ich denke, die Ergebnisse, die wir auf der Strecke sehen, sind ein direkter Beweis dafür - und ein weiterer Grund für das gesamte Team, stolz auf das zu sein, was wir erreicht haben."
Durch eine clevere Verpackung des MCL39 verschaffte das Designteam der Aerodynamikabteilung im Grunde mehr Spielraum. Das Ergebnis: ein deutlich effizienteres Auto, in einem Bereich, mit dem McLaren historisch oft Probleme hatte, und zugleich reifenschonender über die Distanz - besonders bei Hitze. Ein Nebeneffekt war eine etwas stumpfere Vorderachse im Qualifying, was Norris zu Saisonbeginn beeinträchtigte, inzwischen aber weitgehend gelöst wurde.
MCL39, der gute Allrounder
Das Launch-Auto wurde zudem mit neuen Boden- und Flügelelementen aufgerüstet, die bei gleichem Luftwiderstand noch mehr Abtrieb brachten. McLaren ist auf Strecken mit langen, mittelschnellen Kurven nach wie vor fast unschlagbar, hat sich aber zu einem Allrounder entwickelt, der praktisch überall gewinnen kann. Red Bull, Ferrari und Mercedes haben zwar jeweils ihre Stärken, aber auch deutliche Schwächen.
Das erklärt, warum McLaren anfangs auf Strecken wie Bahrain und Miami so dominant war, während Verstappen und Red Bull auf Highspeed-Pisten wie Suzuka und Imola stärker waren, und warum Montreal Mercedes-Pilot George Russell in die Karten spielte. Das Basis-Leistungsniveau ist nun so hoch, dass McLaren mindestens zweit- oder drittbestes Auto ist und fast immer Podien oder Siege einfährt.
Die Fehler von Lando Norris im WM-Kampf 2025
Der Crash mit seinem Teamkollegen Oscar Piastri in Kanada ist bislang der negative Höhepunkt einer Saison, in die Lando Norris eigentlich als WM-Favorit gestartet ist. Doch will der Brite den Titel am Jahresende auch wirklich gewinnen, wird er seine Fehlerquote reduzieren müssen. Wir liefern eine Übersicht über seine bisherigen Pannen. Fotostrecke
Stella betont, dass das Ziel nicht war, ein Allround-Auto mit mehr Fokus auf nutzbare Performance als auf Spitzenabtrieb zu bauen. "Wir haben nicht gedacht: 'Oh, wir wollen, dass das Auto auf jeder Strecke gut ist'", sagt er. "Wir wollten einfach die Grundlagen angehen - Effizienz bei der Kühlung, so viel Abtrieb wie möglich auf effiziente Weise erzeugen, eine gute Interaktion mit den Reifen. Das scheint sich auszuzahlen - auch in Form von Vielseitigkeit und Konstanz unter verschiedenen Bedingungen."
"Wenn wir ins Detail gehen, sehen wir: In Highspeed-Kurven wie in Silverstone sind wir nicht das beste Auto - da könnten Red Bull und Ferrari besser sein. Oder auf langsamen Kursen mit hohen Randsteinen, wie in Kanada, waren wir nicht das beste Auto. Es gibt also Bereiche, in denen wir nicht vorne sind. Aber durch unsere Investition in die Grundlagen haben wir ein sehr robustes Paket geschaffen."
Niederlagen 2025 sind eingeplant
McLaren werde nach der Sommerpause nicht jedes Rennen dominieren, so Stella. Strecken wie Las Vegas seien nach der klaren Niederlage gegen Mercedes im Vorjahr weiterhin eine Unbekannte.
Doch die Konstanz des Autos stellt sicher, dass niemand das Team in der WM mehr einholen wird - spätestens seit dem Spanien-GP, als eine neue Technische Richtlinie zu flexiblen Frontflügeln kaum Auswirkungen hatte, wie McLaren schon zuvor prognostiziert hatte.
Ein Unterboden-Upgrade in Spa zeigte, dass McLaren seine Position nicht als selbstverständlich betrachtet. Effizientere Heckflügel sollen zudem in Las Vegas und auf anderen Low-Downforce-Strecken helfen.
Für neutrale Fans hat McLarens Überlegenheit einen Vorteil: Norris und Piastri können ohne große Teamorder um den Titel kämpfen - eine Meisterschaftsschlacht, wie sie die Formel 1 seit 2021 nicht mehr gesehen hat.
Die Ingenieure in Woking haben ihre Arbeit gemacht - jetzt liegt es an den Fahrern, ihre Rakete zu nutzen, während Stella und Brown hoffen, die Harmonie im Team zu bewahren.