• 07. Juni 2015 · 08:02 Uhr

Franchise-Autos als Sargnagel für Privatiers: Ein perfider Plan?

Force India erhebt schwere Vorwürfe: Versuchen Mercedes, Red Bull, Ferrari und McLaren, die Formel 1 heimlich zur reinen Werksveranstaltung zu machen?

(Motorsport-Total.com) - Die Stimmung zwischen den Werksteams und den kleinen Mannschaften in der Formel 1 ist seit geraumer Zeit alles andere als harmonisch. Mit dem Aufkommen des "Franchise-Auto"-Konzepts am Rande des Kanada-Grand-Prix in Montreal erhält der Konflikt jedoch eine ungeahnte Schärfe. Die Privatiers sind der Meinung, das hinter der umbenannten Neuauflage der Kundenauto-Idee der raffinierte Plan von Mercedes, Red Bull, Ferrari und McLaren steckt, sie aus der Königsklasse zu verdrängen.

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Fährt die zweite Liga der Kundenteams bald nur noch hinterher? Zoom Download

Robert Fernley vergleicht das Vorhaben, ein Komplettpaket aus Chassis, Antrieb und weiteren Bauteilen für angeblich 50 Millionen Euro pro Saison an maximal einen Kunden zu liefern, mit einem Trojanischen Pferd. "Ich würde es unter dem Motto 'Vorsicht mit Geschenken der Griechen' werten", so Force Indias Co-Teamchef gegenüber 'Reuters'. Er wird deutlich: "Es ist der letzte Schachzug der Herstellerteams, die Formel 1 unter ihre Kontrolle zu bringen, sowohl politisch als auch finanziell."

Urheber des Begriffs "Franchise" ist in diesem Zusammenhang Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Entsprechend angetan zeigt sich Aufsichtsratsboss Niki Lauda und spricht sogar von der "besten Idee aller Zeiten", weil sie die Teilnahme am Rennzirkus erschwinglicher gestalten würde. "Es kommt nur zum Tragen, wenn nur 18 Autos an den Start gehen würden", stellt der Österreicher das Konzept als entfernten Notfallplan dar. "Wir sollten proaktiv handeln. Warum auf das Desaster warten?"

Mercedes argumentiert mit einem "Notfallplan"

Kommt das gut aufgestellte US-Team Haas Formula 2016 in die Formel 1, dann würde sogar eine neuerliche Manor-Pleite kein Anlass sein. Fernley wittert trotzdem ein perfides Spiel und erinnert sich an das Rennen in Austin im vergangenen Jahr, als Vorgänger Marussia und Caterham nicht mehr anreisten. "Ich hatte schon damals das Gefühl, dass es einen Plan gibt, die privaten Teams herauszudrücken", meint der Brite und erkennt im Muster der jüngsten Entwicklungen einen roten Faden. Dafür spricht, dass Williams - obwohl ständiges Mitglied der Strategiegruppe - beim Gipfeltreffen in Montreal ausgeladen war.


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So betrachtet Fernley die immense Kostensteigerung durch die Einführung der V6-Hybridmotoren nicht als unerwünschten Nebeneffekt, sondern als gewollten Sargnagel für die kleinen Teams. "Wir schaffen es ja nicht einmal die Kosten für den Antrieb zu senken. Und dafür gibt es einen Grund", vermutet er. Ähnlich denkt Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn über die Platzhirsche, die ihre Pakete an Kunden verkaufen wollen: "Vor dem Hintergrund kommerzieller Interessen ist es ein Weg, mehr Einnahmen zu generieren. Dafür sind die anderen Teilnehmer aber nicht da und das will niemand sehen."

In Silverstone zuzusperren und der Formel 1 Lebewohl zu sagen, kommt für Fernley und Force India dennoch nicht infrage. Schließlich haben Fälle wie BMW, Toyota oder Honda demonstriert, dass das Engagement von Automobilkonzernen auf tönernen Füßen sehen kann, wenn sportlicher Erfolg ausbleibt oder Unternehmenspolitik gemacht wird. "Wenn es eine Krise gibt - und die wird bestimmt kommen, dann müssen wir zur Stelle sein. Unser Job ist es, bei der Stange zu bleiben", so Fernley.

"Fragen Sie die doch mal, was ihre 'Strategie' ist..."

Auch die Strategiegruppe als Gremium sieht sich zunehmender Kritik ausgesetzt. Graeme Lowdon, Sportdirektor bei Manor, findet es zwar richtig, dass es ein Forum gibt, um Entscheidungen auf den Weg zu bringen. "Sich Ziele zu setzen, Lösungswege zu erkunden und einen Plan auszuarbeiten, ist nicht einfach. Große Firmen machen die ganze Zeit nichts anderes und es ist nicht binnen einer Stunde erledigt", unterstreicht er. "Die Idee ist gut, aber die Strategiegruppe liefert doch gar keine Strategien."

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Findet deutliche Worte: Force Indias Co-Teamchef Robert Fernley Zoom Download

Lowdon glaubt, dass im Wirrwarr der Einzelinteressen das Tohuwabohu regieren würde: "Fragen Sie doch mal jemanden von denen, was ihre 'Strategie' ist", bemerkt er provokant. Matthew Carter, dessen Lotus-Team bis Ende 2014 das nicht-ständige Mitglied in der Formel-1-Kamarilla war, hat genau diese Erfahrung gemacht: "Ich habe mir die Debatten doch angehört. Sie kamen nie zu einem Ende", berichtet der Geschäftsführer von langen Nachmittagen. "Irgendetwas durchzubekommen ist praktisch unmöglich."

Und selbst Bernie Ecclestone, der aus seiner Vorliebe für Autokratie und Diktatur noch nie einen Hehl gemacht hat, schmeckt die Strategiegruppe aus ethischen Gründen nicht. "Wir haben ein Demokratiedefizit, das ist das Problem", sagt der Zampano 'Sky Sports F1'. "Das war nicht die Absicht, als sie in dieser Form entstanden ist." Dass an dem Zustand der Manövrierunfähigkeit etwas geändert werden soll, hat Carter nicht bemerkt. "Ihn akzeptieren sowohl die Mitglieder als auch diejenigen, die die Regeln machen." Fernley stellt der Strategiegruppe nach mehreren Jahren ihres Bestehens ein Zeugnis des Versagens aus. "Keine ihrer Entscheidungen hat der Formel 1 jemals geholfen", poltert er.

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