Russell fordert "großes Meeting": Liegt's an der Flexiwing-Richtlinie?
Mercedes kann in Spa nicht mit den anderen Top-Teams mithalten: Warum George Russell jetzt Alarm schlägt und was das mit Kimi Antonellis Performance zu tun hat
(Motorsport-Total.com) - Katerstimmung bei George Russell und Mercedes nach dem Großen Preis von Belgien: Zwar kann der Brite am Sonntag im Rennen immerhin Williams-Pilot Alex Albon für Platz fünf überholen, mehr ist jedoch nicht drin für Russell, der ein über weite Strecken einsames Rennen in Spa erlebt.

© LAT Images
George Russell und Mercedes konnten in Spa nicht mit der Spitze mithalten Zoom Download
"Ehrlich gesagt ziemlich enttäuschend", zeigt sich der Silberpfeil-Star im Ziel ernüchtert von der Performance: "Eigentlich kommen uns kühle Bedingungen entgegen, also hätten wir uns vom Wetter her kaum etwas Besseres wünschen können. Aber wir hatten einfach keinerlei Pace", so Russell.
Der Brite fordert nun ein schnelles Handeln: "Wir müssen uns alle zusammensetzen - wir werden diese Woche ein großes Meeting mit allen Designern und Ingenieuren abhalten, um zu verstehen, welche Entscheidungen wir in den vergangenen Wochen oder Monaten getroffen haben - und warum wir Rückschritte gemacht haben."
Veränderungen bis Budapest? "Definitiv möglich"
Verbunden damit äußert Russell dennoch die Hoffnung, "dass wir in Ungarn Fortschritte sehen" - doch wie realistisch ist das angesichts der Tatsache, dass das Rennen in Budapest schon am kommenden Wochenende ansteht?
"Es hängt vom Umfang ab - aber grundsätzlich: Ja, es ist definitiv möglich, gewisse Aspekte des Autos bis Budapest zu verändern", erklärt Mercedes-Chefingenieur Andrew Shovlin nach dem Rennen in Spa: "Wie tiefgreifend diese Änderungen aber sein können, hängt davon ab, welche Teile wir zur Verfügung haben", zumal der Brite darauf hinweist: "Wir haben am Auto in letzter Zeit sehr viel verändert."
Die von Russell angesprochene Elefantenrunde bei den Silbernen gibt es laut Shovlin schon am Montag: "Wir morgen ein Meeting mit den Fahrern, um gemeinsam das bisherige Jahr zu analysieren - damit wir unsere Anstrengungen auf das Richtige konzentrieren und nicht einfach nur um des Änderns willen etwas ändern."
Dass sich aber schnell etwas ändern muss, daran lässt Russell am Sonntag keine Zweifel - zumal er auch zu bedenken gibt, dass die zuletzt aufgetretenen Schwierigkeiten seines Rookie-Teamkollegen Kimi Antonelli wohl größtenteils auf Mercedes' schwächelnde Performance zurückzuführen sind:
"Also, was seine persönliche Leistung betrifft: Die ist weder besser noch schlechter als zu Beginn der Saison", sagt Russell mit Blick auf den jungen Italiener: "Aber als Team sind wir einfach zurückgefallen. Gestern ist er zwar in Q1 ausgeschieden, aber er war nur drei Zehntel hinter mir. In Kanada waren es sechs Zehntel - ich stand auf Pole, er war Vierter."
"Frustrierend - für mich, für ihn, für uns als Team"
Für Russell ist klar: "Die Performance des Autos hat enormen Einfluss darauf, wie die Leistung eines Fahrers wahrgenommen wird. Natürlich ist das frustrierend - für mich, für ihn, für uns als Team. Aber wir stecken da gemeinsam drin, und wir müssen das gemeinsam lösen."
Auch Shovlin gibt an: "Wir müssen das verstehen. Zu Beginn der Saison hatten wir ein Auto, das auf fast jeder Strecke gut funktionierte. Wir haben meist um die zweite Startreihe gekämpft, manchmal sogar um die erste." Zuletzt aber war der Silberpfeil deutlich schwerer zu fahren, Russell bemängelte vor allem die Rückkehr der Instabilität am Heck.
Auf die Nachfrage ob der Einbruch in Sachen Leistung auch mit der ab Barcelona greifenden Richtlinie zu den Flexiwings zusammenhängen könnte, sagt der Mercedes-Ingenieur: "Natürlich bringt die technische Direktive zur Biegung des Frontflügels keine zusätzliche Stabilität - aber dieser Flügel war auch in Montreal am Auto, und dort lief es gut."
"Fakt ist: Andere Teams schaffen es derzeit, ihre Autos besser auszubalancieren. Wir sind aber überzeugt, dass es auch für uns eine Lösung gibt", so Shovlin: "Wir schauen uns gerade sämtliche Entwicklungsschritte der letzten Rennen an - es geht nicht nur um den Frontflügel, es gab da viele Änderungen und wir haben definitiv noch einiges zu lernen."
Shovlin: "Da gibt es etwas Grundlegendes zu verstehen"
Zwar hätte auch die Technische Direktive zu den Flügeln das Team theoretisch in eine falsche Richtung führen können, "aber selbst wenn wir Aero-Balance aus dem Auto nehmen, bleibt die Instabilität bestehen - da gibt es also etwas Grundlegendes zu verstehen", erklärt der Techniker.
Was genau das ist, dem will Mercedes beim Montags-Meeting auf den Grund gehen - einfache operationelle Dinge, wie etwa das nicht ganz optimale taktische Vorgehen in Spa, werden dagegen wohl eher weniger Aufarbeitungszeit in Anspruch nehmen:
Zwar räumt Shovlin ein, dass Mercedes am Sonntag auch bei der Taktik etwas liegengelassen habe - etwa im Vergleich zu Ferrari-Pilot Lewis Hamilton, der als Erster auf Slicks wechselte und daraus einen Vorteil zog: "Es sieht so aus, als wären wir in dieser Übergangsphase etwas zu konservativ gewesen. Das war wahrscheinlich die einzige Stelle im Rennen, an der wir uns weiter vorne hätten platzieren können", stuft Shovlin den Verlust als nicht so gravierend ein.
"Aber unser Fokus liegt eher auf der generellen Pace des Autos: Warum wir gestern nicht besser abgeschnitten haben, warum wir im Rennen nicht schneller waren?" Schließlich habe man auf die Autos der anderen drei Top-Teams "kontinuierlich Zeit verloren", sagt der Brite, für den die Strategie deshalb eine untergeordnete Rolle spielt: "Ja, es gab eine kleine Chance im Rennen - aber darauf liegt in den nächsten Tagen nicht unser Hauptaugenmerk." Denn für den großen Paradigmenwechsel muss Mercedes offenbar deutlich tiefer graben...