• 19. April 2023 · 09:59 Uhr

Unfall von 2014 als Beweis: Was Ferrari mit diesem Argument wollte

Ferrari wollte einen Unfall von 2014 als Beweis anführen, dass sein Einspruch gegen die Strafe von Carlos Sainz zulässig ist - Das sind die Hintergründe

(Motorsport-Total.com) - Beim Versuch, die Strafe gegen Carlos Sainz beim Großen Preis von Australien aufheben zu lassen, stützte sich Ferrari auch auf einen früheren Fall. Die Scuderia verwies auf einen seltenen Präzedenzfall, bei dem eine Strafe gegen einen Fahrer durch das Recht auf eine Überprüfung noch einmal angeschaut wurde - ironischerweise ausgerechnet von dem Team, mit dem man in Melbourne aneinandergeriet.

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Sergio Perez verunfallte nach einer Kollision mit Felipe Massa Zoom Download

Es geht um den spektakulären Unfall in der letzten Runde von Kanada 2014, bei dem Sergio Perez (Force India) und Felipe Massa (Williams) kollidiert waren. Allerdings konnte dieser geschichtliche Einwurf die Kommissare nicht überzeugen, sodass Ferrari keine Chance bekam, sich noch einmal einer Überprüfung zu stellen.

Damit bleibt die Fünf-Sekunden-Strafe gegen Sainz für die Kollision mit Fernando Alonso aufrecht, die ihn von Platz drei ganz zurück auf Platz zwölf gespült hatte.

Der Spanier und Teamchef Frederic Vasseur fühlten sich ungerecht behandelt, weil die Strafe ausgesprochen wurde, ohne dass Sainz vor den Kommissaren seinen Standpunkt vortragen konnte. Auch darum bat Ferrari um eine Überprüfung, um die Strafe aufzuheben.

Wie in allen Überprüfungsfällen muss das Team zunächst nachweisen, dass es ein "signifikantes und relevantes neues Element" an Beweisen vorlegen kann, das den Kommissaren zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht zur Verfügung stand. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, werden die Kommissare den eigentlichen Sachverhalt prüfen und ein Urteil fällen.

Ein positives Beispiel dafür gab es erst Ende März in Saudi-Arabien, wo Aston Martin die Strafe gegen Fernando Alonso noch einmal überprüft haben wollte. Der hatte eine Zeitstrafe bekommen, weil sein Team den Wagenheber angesetzt hatte, noch bevor die Zeit für eine andere Strafe beim Boxenstopp abgelaufen war.

Diese Überprüfung fand direkt Sonntagabend statt. Die Kommissare akzeptierten, dass es neue Beweise gab, da sie der Meinung waren, dass sie falsch über eine Vereinbarung über das Berühren von Wagenhebern informiert worden waren, was als Arbeit am Auto gilt. Aston legte außerdem sieben Videobeispiele von früheren Strafstopps vor, bei denen keine Strafe verhängt wurde.

Im nächsten Schritt stimmten die Kommissare Aston Martin zu, und die Strafe gegen Alonso wurde aufgehoben.

Vergleich mit 2014

Anträge auf Überprüfung von Strafen bei Vorfällen auf der Rennstrecke sind selten, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sie im Allgemeinen als eine Entscheidung angesehen werden, die mit der des Schiedsrichters im Fußball vergleichbar ist und daher im Nachhinein nur schwer angefochten werden kann. Und was wäre denn ein neuer Beweis?

Nach dem oben genannten Zwischenfall zwischen Massa und Perez in Montreal 2014 war Force India aber der Überzeugung, dass man einen Fall hat, den man verfolgen sollte.

Damals mussten beide Fahrer nach heftigen Einschlägen in den Reifenstapel ins Krankenhaus: Bei Perez wurden Kräfte von 32g gemessen, bei Massa 27g.

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Der Williams von Felipe Massa rauscht in Richtung Barriere Zoom Download

Daher konnte auch keiner der Fahrer nach dem Rennen mit den Kommissaren sprechen. Nach der Anhörung der Teamvertreter wurde entschieden, dass der Mexikaner Schuld habe, weil er in der Anbremszone kurz nach links gezuckt sei, bevor Massa ihn berührte. Dafür erhielt Perez eine Strafversetzung um fünf Positionen beim nächsten Rennen in Spielberg.

Natürlich hatte das Team eine andere Ansicht über die Schuldfrage. Williams' Rob Smedley gab dem zusätzlich neuen Nährboden, weil er sich darüber beschwert hatte, dass Perez mit einem Auto weitergefahren war, das Bremsprobleme hatte. Das hatte er im Funk nämlich angemerkt.

Diese Unterhaltung bezog sich jedoch auf eine vorübergehende Störung, die durch einen Reset behoben wurde, und am Ende des Rennens hatte Perez keine anderen Probleme als die Tatsache, dass er auf viel älteren Reifen unterwegs war als die anderen um ihn herum.

Perez versteht Standpunkt nicht

"Es war sehr enttäuschend, ein so gutes Ergebnis ohne eigenes Verschulden zu verlieren", sagte der Mexikaner. "Ich folgte der gleichen Linie und dem gleichen Bremsverhalten wie in den Runden zuvor und wurde einfach von Massa von hinten getroffen."

"Auf der linken Seite meines Autos war viel Platz für einen sauberen Überholversuch, und ich kann nicht verstehen, warum er vorbeischrammen musste", so Perez weiter.

"Ich habe mir mehrere Wiederholungen des Vorfalls angeschaut, und mir ist aufgefallen, dass Felipe kurz vor dem Zusammenstoß mit mir nach rechts zieht. Ich kann mir nur vorstellen, dass er es sich anders überlegt hat und wieder auf die Ideallinie einbiegen wollte. Seine Fehleinschätzung hat uns eine Menge Punkte gekostet."

"Ich bin nicht glücklich über Kommentare, die besagen, dass wir das Auto hätten abstellen sollen. Mit ein paar Anpassungen war es perfekt fahrbar, und das haben wir bis zu dem Moment gezeigt, in dem wir aus dem Rennen genommen wurden. Andere Autos da draußen waren viel länger unter ähnlichen Bedingungen unterwegs als wir, und sie haben das Rennen ohne Probleme beendet."

"Wenn jemand glaubt, dass man zwei Red Bulls so lange hinter sich kann, wie wir es mit so genannten endgültigen Problemen getan haben, ist er eindeutig auf dem Holzweg."


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Aus Frustration über die Strafe und die Andeutung von Bremsproblemen reichte Force India eine Petition ein, um ein Recht auf Überprüfung zu erhalten.

Die Regeln sehen vor, dass solche Angelegenheiten entweder von denselben Kommissaren oder von den Kommissaren der nachfolgenden Veranstaltung behandelt werden können. Da Zoom-Meetings 2014 noch nicht üblich waren, wurde der Fall an die Kommissare des Österreich-GP übergeben, die für Freitag um 9 Uhr eine Anhörung ansetzten.

"Wir wissen, dass er ein guter Fahrer ist", sagte Perez am Tag vor der Anhörung über Massa. "Er hat seine Meinung, ich habe meine Meinung. Wir müssen uns nur zusammensetzen. Wir werden morgen mit der FIA die Gelegenheit bekommen, den Unfall noch einmal zu überprüfen, denn wir glauben, dass wir genug Beweise haben, um zu belegen, dass ich nichts falsch gemacht habe."

Massa: Keine Schuld bei mir

Massa betonte indes, dass ihn keine Schuld treffe: "Die Regeln besagen, dass man nicht mehr rüberziehen kann, wenn das Auto hinter einem rauszieht und den Frontflügel auf Höhe der Hinterreifen hat", sagte der Brasilianer.

"Daran hat er sich nicht gehalten. Ich werde meine Meinung nicht ändern. Was ich gerade gesagt habe, das ist die Regel. Und sie kommt von der FIA. Und wenn man die Geschichte kennt, dann sind es meistens die jungen Fahrer, vor allem er, die diese Probleme verursachen, die diese Unfälle verursachen, was gefährlich ist."

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"Wenn ich einen Fehler gemacht habe, werde ich der Erste sein, der sagt, dass ich einen Fehler gemacht habe und dass es mir leid tut, so wie ich es immer getan habe, wenn ich einen Fehler gemacht habe", so Massa. "Aber die Leute denken nicht auf dieselbe Weise. Es tut mir also leid für ihn, und ich hoffe, er lernt daraus, sonst wird er in Zukunft noch mehr Strafen bekommen."

Auf die Frage, was er das nächste Mal tun würde, wenn er versucht, Perez zu überholen, sagte Massa: "Ich werde es mir zweimal überlegen. Ich [muss] glauben, dass er mit seinem Auto nicht rüberziehen wird. Und man kann es nicht glauben, wenn jemand so viele Strafen hat und so viele Probleme verursacht. Ich werde ihm definitiv nicht mehr im Auto vertrauen."

Kommissare akzeptieren neue Beweise

Die Anhörung fand vor dem ersten Training statt. Entscheidend ist, dass die Kommissare - anders als im aktuellen Fall Sainz - akzeptierten, dass es tatsächlich neue Beweise gab und dass sie in die nächste Phase gehen und diese untersuchen konnten.

Die wesentliche Begründung war, dass Perez nicht in der Lage war, an der Anhörung nach dem Rennen in Montreal teilzunehmen oder sein Team über den Vorfall zu informieren, da er zu einer medizinischen Untersuchung abtransportiert worden war. So hatte er die Möglichkeit, seinen Fall darzulegen, der durch Telemetriedaten von Force India untermauert wurde.

Letztendlich änderten die neuen Beweise jedoch nichts, und die österreichischen Kommissare entschieden nach Prüfung, die Entscheidung ihrer kanadischen Kollegen zu bestätigen. Sie stellten fest, dass Perez behauptete, dass er "bei der Verteidigung seiner Position sein Recht ausübte ... die gesamte Strecke zu benutzen".

Sie fügten jedoch hinzu, dass "die Verteidigung seiner Position im Bremsbereich stattfand" und dass die Regeln besagen, dass "jedes Recht zur Verteidigung durch die Nutzung der gesamten Strecke vor dem Bremsbereich stattfinden muss" und dass Perez daher "nicht berechtigt war, seine Position in der Art und Weise zu verteidigen, wie er es tat".

Perez verlor also zum zweiten Mal, aber er war nach wie vor davon überzeugt, dass er einen guten Fall hatte: "Wir haben alle Beweise gezeigt, die wir hatten, die Daten, die Linie, die Bilder, die wir in Montreal nicht zeigen konnten", sagte er.

"Aus diesem Grund waren wir sehr zuversichtlich, dass wir den Beweis haben. Die Kommissare schienen recht vernünftig zu sein und stimmten bis zu einem gewissen Grad mit allem überein, was ich dort sagte, aber am Ende änderte sich die Situation überhaupt nicht. Es ist ein bisschen enttäuschend, aber es ist Zeit, nach vorne zu schauen."

Perez nahm seine Strafversetzung um fünf Positionen und fuhr im Rennen von Spielberg von Platz 15 noch auf Rang sechs.

Was im Fall von Ferrari anders ist

Neun Jahre später wurde der längst vergessene Überprüfungsantrag von Ferrari angeführt, als man versuchte, neue Beweise vorzulegen, die im Wesentlichen aus Sainz' Darstellung des Geschehens sowie aus Telemetriedaten des SF-23 und Medienzitaten anderer Fahrer bestanden.

In ihrer Entscheidung machten die Kommissare von Melbourne die Verbindung zu Montreal 2014 deutlich: "Der Teilnehmer sagt, dass es einen Präzedenzfall dafür gibt, dass diese Dinge als neue wichtige und relevante Elemente betrachtet werden."

"Er verweist auf die Entscheidung der Kommissare, die sich mit der Petition des Sahara Force India F1 Teams befasst haben, die ein Recht auf Überprüfung angestrebt haben, als Präzedenzfall für die Behauptung, dass die mündliche Aussage eines Fahrers und relevante Telemetriedaten ein signifikantes und relevantes neues Element darstellen können."

Allerdings verwiesen die Kommissare darauf, dass beide Fälle nicht vergleichbar seien und der Zwischenfall Perez/Massa daher nicht als Präzedenzfall herangezogen werden könne.

Sie erinnerten daran, dass die Kommissare in Montreal 2014 eine persönliche Untersuchung durchführen wollten, bevor sie eine Entscheidung trafen. Da sich der Unfall in der letzten Runde ereignete, war es per Definition eine Entscheidung nach dem Rennen, und da sie die Möglichkeit hatten, mit den Fahrern und Teams zu sprechen, wollten sie diese nutzen.

Wie bereits erwähnt, bedeutete der schwere Unfall jedoch, dass Perez einem ärztlichen Check unterzogen wurde. "Der Sachverhalt, der der in dieser Angelegenheit zu prüfenden Entscheidung der Sportkommissare zugrunde lag, unterscheidet sich deutlich von dem in der vorliegenden Angelegenheit", heißt es von den Melbourne-Kommissaren.

"In der Angelegenheit des Sahara Force India F1-Teams ging es um eine Anhörung nach dem Rennen zu einem Zwischenfall (mit anderen Worten: den Kommissaren war nicht klar, wer die Schuld an der fraglichen Kollision trug)."

"Der Fahrer konnte an der Anhörung nicht teilnehmen, da er nach dem Vorfall ins Krankenhaus gebracht worden war. Die Anhörung wurde fortgesetzt, ohne dass der Wettbewerber die Möglichkeit hatte, mit seinem Fahrer zu sprechen, um seine Version zu erhalten."

"Das geschah nach der Anhörung und die Version des Fahrers warf ein anderes Licht auf die Fakten, die den Kommissaren vorgelegt worden waren."

Und es gab einen entscheidenden Faktor: "Das Besondere an diesem Fall ist, dass unsere Entscheidung während des Rennens getroffen wurde. Wir hielten es nicht für nötig, von Sainz oder einem anderen Fahrer zu hören, um zu entscheiden, dass er die volle Schuld an der Kollision trägt."

Andere Fälle wurden abgewiesen

Es lohnt sich auch, an andere Klagen aus jüngster Zeit zu erinnern, die sich auf Fahrzwischenfälle beziehen, die die erste Hürde nicht genommen haben.

Nach dem Zwischenfall zwischen Max Verstappen und Lewis Hamilton in Großbritannien 2021 versuchte Red Bull nachzuweisen, dass Hamilton nicht auf seiner normalen Rennlinie unterwegs war, und erstellte einige Daten, doch der Antrag auf Überprüfung wurde abgelehnt, da er nicht den Kriterien für neue Beweise entsprach.

Nur wenige Wochen später, nach einem weiteren Zwischenfall zwischen Verstappen und Hamilton in Brasilien, berief sich Mercedes auf Onboard-Videomaterial des Red Bull, das nach dem Rennwochenende aufgetaucht war.

Dies wurde von den Stewards teilweise akzeptiert, da es neu, nicht verfügbar und relevant war - aber in ihren Augen erfüllte es nicht den Test der "Signifikanz", und die Überprüfung wurde abgelehnt.

Im Sainz-Urteil machten die australischen Kommissare deutlich, dass die Offiziellen während eines Rennens oft wichtige Entscheidungen treffen müssen, ohne mit den Beteiligten zu sprechen.


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Der Fall Sainz sei "eine Entscheidung, die wir und andere Kommissare routinemäßig treffen und zu der sie ermutigt werden, wenn die Ursache der Kollision klar ist und die Notwendigkeit besteht, so schnell wie möglich Zeitstrafen zu verhängen."

Das ist letztlich der Schlüssel. Entscheidungen, die im Eifer des Gefechts getroffen werden, mögen nicht immer von allen akzeptiert werden, aber die FIA versucht, das Richtige zu tun und sicherzustellen, dass Strafen, wenn möglich, während des Rennens verhängt werden und nicht im Nachhinein.

Diesmal war es für Ferrari und Sainz offensichtlich schwierig, dies zu akzeptieren. Der alternative Weg wäre jedoch, dass jede derartige Fahrentscheidung routinemäßig von Teams angefochten wird, die behaupten, dass die Sichtweise ihres Fahrers neue Beweise darstellt - und das könnte zu einem Chaos führen, bei dem die Rennergebnisse am Sonntagabend regelmäßig in der Schwebe hängen.

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