• 06. Juni 2017 · 09:03 Uhr

1999: Ein Kanada-Grand-Prix für die Ewigkeit

Wie das Schicksal dreier Weltmeister eine ganze Kurve zur Legende krönt: 1999 wird die "Wall of Champions" geboren, und Jacques Villeneuve setzt sein Waterloo fort

(Motorsport-Total.com) - "Die Mauer muss weg! Die Mauer muss weg!" - Der Spruch, der die Geschichte von Deutschland maßgeblich beeinflusst hat, gilt in diesem Jahr in gewisser Weise auch für Kanada. Allerdings geht es dort nicht um die Berliner Mauer, sondern um die Mauer der Meister - die Wall of Champions. Die FIA hält die Stelle für zu gefährlich und hat sie für dieses Jahr umbauen lassen - abgerissen wird die Mauer aber nicht.

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Die Autos von Schumacher und Villeneuve sind nach den Unfällen Schrott Zoom Download

Denkt der geneigte Formel-1-Fan an Kanada, fällt den meisten als erstes die berühmte Wand ein, die 1999 zu ihrem Spitznamen kam. Es waren 20 Runden eines einzelnen Grand Prix, die das Bild eines Austragungsortes für immer verändern sollten. Die Wand schluckte erst Damon Hill (Jordan), dann Michael Schumacher (Ferrari) und später noch Jacques Villeneuve (BAR) - also drei der vier damaligen Weltmeister im Feld.

Sicherheitsdiskussionen gab es auch zur damaligen Zeit schon. Der tragische Unfalltod von Ayrton Senna war gerade einmal fünf Jahre her, und die Formel 1 hatte in der Zwischenzeit viel für die Sicherheit getan - vor allem bei den Fahrzeugen. Die Strecken glichen jedoch noch keinen Asphaltwüsten, sodass in Kanada noch jeder Fehler hart bestraft wurde: Entweder man landete im Kiesbett oder im Fall von 1999 vor allem in der Wand.

Erste Vorboten im Training

Das ging schon im Freien Training am Freitag los, als das Geschehen zum ersten Mal wegen Kurve 13 angehalten werden musste. Pedro Diniz (Sauber) - übrigens kein Champion - ist der Erste, der seinen Boliden an der Mauer nachhaltig beschädigt. Im Qualifying folgt ihm Giancarlo Fisichella (Benetton), doch darüber würde heute niemand mehr reden, gäbe es nicht den darauffolgenden Sonntag.

Sportlich sind die Fans vor allem auf das Duell zwischen Ferrari und McLaren-Mercedes gespannt. Der zweimalige Weltmeister Michael Schumacher kommt mit sechs Punkten Vorsprung auf den amtierenden Titelträger Mika Häkkinen zum sechsten Saisonlauf. Beide hatten bislang zwei Saisonsiege auf dem Konto: Schumacher in San Marino und Monaco, Häkkinen in Brasilien und kurz zuvor in Spanien. Mit neun Punkten Rückstand auch noch in Schlagdistanz: Auftaktsieger Eddie Irvine, der später noch Ferraris heißestes Eisen im WM-Feuer werden sollte.

Das Qualifying war bislang zumindest eine klare Angelegenheit. Häkkinen stand in allen vorherigen Saisonläufen auf der Pole-Position und will auf dem Circuit Gilles Villeneuve Nummer 6 erreichen, doch Schumacher ist 29 Tausendstelsekunden schneller. Der Deutsche nutzt dabei sogar nur sieben seiner damals zwölf verfügbaren Runden und setzt die Zeit sogar in seinem ersten fliegenden Umlauf.

Schon der Start geht schief

Häkkinen selbst ist über Rang zwei nicht unglücklich, "aber gleichzeitig bin ich über die verpasste Chance enttäuscht, einen neuen Rekord bei aufeinanderfolgenden Pole-Positions aufzustellen", erklärt der Finne damals. Für den Rekord in einer Saison (sieben von Alain Prost 1993) hätte er jedoch auch noch beim nächsten Rennen in Frankreich vorne sein müssen, saisonübergreifend holte Ayrton Senna (1988 und 1989) sogar achtmal Startplatz eins.

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Am Start räumt Jarno Trulli Jean Alesi und Rubens Barrichello ab Zoom Download

Am Sonntag reihen sich Schumacher, Häkkinen, Irvine, David Coulthard (McLaren) und Rubens Barrichello (Stewart) ganz vorne an der roten Ampel ein und führen einen Kanada-Grand-Prix an, der in die Geschichte eingehen soll. Es ist ein Crashfest von Anfang bis an das Ende. Schumacher kann seine Führung am Start noch verteidigen, doch dahinter bricht bereits das erste Chaos aus.

Jarno Trulli (Startplatz neun) rodelt in der ersten Kurve innen über das Gras und rutscht in den vor ihm gestarteten Jean Alesi (Sauber) rein - für beide ist das Rennen auf der Stelle beendet. Auch Barrichellos Wagen wird getroffen; der Brasilianer kann zwar noch weiterfahren, muss wenig später aber aufgeben. "Ich habe das Auto komplett aus der Kontrolle verloren", entschuldigt sich Trulli hinterher.

Drei Weltmeister scheitern in 20 Runden

Nach einer kurzen Safety-Car-Phase gerät dann die Wall of Champions zum ersten Mal in das Visier - doch es ist keiner der großen Drei, die ihr Ende in der Mauer finden. Von vielen wird vergessen, dass an jenem Sonntag Ricardo Zonta der erste Pilot ist, der seinen Boliden an jener Stelle parken muss. Zugegeben: Der BAR-Pilot ist kein Formel-1-Weltmeister, dafür aber immerhin Formel-3000-Champion gewesen - also in gewisser Weise ebenfalls würdig.


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Damals weiß man aber noch nichts von der magnetischen Wirkung auf Weltmeister. Zonta schlägt mit dem rechten Hinterrad an und stellt sein Auto daraufhin ab - natürlich kommt das Safety-Car wieder auf die Strecke. Als das Rennen wieder freigegeben wird, dauert es nicht lange, bis Damon Hill das Abziehbild von Zontas Unfall passiert: In Runde 14 schlägt auch er mit dem rechten Hinterrad an der Mauer an, stellt seinen Jordan aber zumindest ein paar Meter weiter vorne ab, sodass das Rennen weitergehen kann.

Der Weltmeister von 1996 ist somit aus dem Rennen, doch der Weltmeister von 1994 und 1995 soll schon bald folgen. Keine 30 Umläufe schafft auch Michael Schumacher, bevor er seinen Ferrari in die Wand bohrt. Der Kerpener verliert ausgangs der Schikane das Heck und knallt heftiger als seine Kollegen zuvor in den Beton. Frustriert schlägt Schumacher auf sein Lenkrad, doch der WM- und Rennleader ist ebenfalls draußen.

Horrorbilanz von Jacques Villeneuve

Weltmeister von 94, 95 und 96 raus - was fehlt also noch? Richtig, der Champion von 1997, Jacques Villeneuve. Und jener lässt es sich nicht nehmen, fünf Runden nach dem Deutschen ebenfalls in Kurve 13 zu enden. Frei nach dem Motto: Was ein zweimaliger Weltmeister macht, kann nicht falsch sein. Villeneuve fährt sogar noch eine Spur härter und spitzer in die Wand und beendet sein Heimrennen damit auf betrübliche Weise.

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Jacques Villeneuve kommt 1999 in den ersten elf Rennen nie ins Ziel Zoom Download

Jacques Villeneuve und der Kurs, der zu Ehren seines Vaters benannt wurde und auf der dieser 1978 seinen ersten Sieg holte, werden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr. Auf kaum einer Strecke hat der Kanadier eine schlechtere Bilanz in der Formel 1: Zehnmal trat der auf der Ile Notre-Dame an, nur einmal erreichte er die Punkteränge: 1996 bei seinem Debüt. Stolze achtmal sah er die Zielflagge hingegen nicht - so auch 1999.

Sportlich hat der Ausfall für den Kanadier in jenem Jahr ohnehin kaum Auswirkungen. Villeneuve war vor der Saison zum neuen Team BAR gewechselt und sollte die schlechteste Saison seiner Karriere erleben. In jedem Saisonrennen war er bis dahin ausgefallen, auch in den folgenden fünf Grands Prix sieht er die Zielflagge nicht - macht elf Ausfälle in den ersten elf Rennen für seinen neuen Rennstall. Punkte holte er 1999 nicht.

Schumacher gesteht: "War mein Fehler"

Mit dem Unfall von Villeneuve waren also innerhalb von 20 Runden drei Weltmeister in der Mauer gelandet, die seither den Namen "Wall of Champions" trägt. Warum es in dem Jahr so viele große Namen erwischte und danach nicht wieder, bleibt wohl ein Rätsel und kann wohl mit Zufall erklärt werden. Jedenfalls gab kein Pilot den Umständen die Schuld: Jeder fasste sich überraschenderweise an die eigene Nase.

"Es war mein Fehler. Ich bin einfach ein wenig zu schnell gefahren", meint Villeneuve hinterher, und selbst Schumacher nimmt es auf seine Kappe: "Ich habe die Kontrolle über das Auto verloren, weil ich von der Rennlinie abkam und auf den Schmutz geriet. Das war eindeutig mein Fehler", so der Ferrari-Pilot, der noch ergänzt: "Ich mache normalerweise einen Fehler pro Jahr. Ich hoffe, dass der Zwischenfall der letzte für diese Saison gewesen ist."

Ironischerweise sollte Schumacher mit dieser Aussage Recht behalten. Allerdings bekommt er 1999 nicht mehr viele Gelegenheiten für Fehler, weil er sich bei einem Unfall in der Anfangsphase des Rennens in Silverstone wenig später das Bein bricht und erst zum vorletzten Saisonlauf wieder ins Auto steigt - das ist jedoch einem Bremsversagen zuzuschreiben.

Frentzen sorgt für betrüblichen Schlusspunkt

Somit bleibt die Wall of Champions 1999 sein einziger großer Fehler. Seit damals sind Zwischenfälle in Kurve 13 jedoch weniger geworden. Zwar landeten mit Sebastian Vettel oder Jenson Button immer wieder Weltmeister in der Mauer, doch so gehäuft wie vor 18 Jahren tritt es nicht mehr auf. Einerseits sorgen Slicks (statt der damaligen Rillenreifen) für mehr Haftung, wodurch diese Rutscher von Zonta oder Hill weniger geworden sind, zum anderen wurde die Schikane durch Asphaltauslauf entschärft, sodass man im Zweifel einfach abkürzen kann.

Der schwerste Unfall beim Kanada-Grand-Prix 1999 erfolgt aber nicht in der Wall of Champions, sondern vier Runden vor dem Ende. Heinz-Harald Frentzen dreht sich in Kurve 3 in die Streckenbegrenzung und wirft damit den zweiten Platz für sein Jordan-Team weg. Was zunächst nach einem Fehler unter Druck von Giancarlo Fisichella aussieht, entpuppt sich schnell als Bremsdefekt.

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Giancarlo Fisichella, Mika Häkkinen und Eddie Irvine feiern auf dem Podium Zoom Download

Fast ungebremst rauscht der Deutsche seitlich in die Reifenstapel und bleibt minutenlang im Auto sitzen. Mit Verletzungen an Knie und Kopf muss Frentzen drei Tage lang im Krankenhaus bleiben, kann den nächsten Grand Prix in Magny Cours aber wieder bestreiten - und sogar gewinnen! Der Lauf in Kanada geht derweil hinter dem Safety-Car zu Ende - zum ersten Mal in der Formel-1-Geschichte!

Dass das Rennen von Mika Häkkinen vor Giancarlo Fisichella und Eddie Irvine, der nach dem Beinbruch Michael Schumachers Ferraris große WM-Hoffnung werden sollte, gewonnen wurde, wissen heute nur noch Formel-1-Statistiker. Doch die berühmte Story um die Wall of Champions geistert heute noch durch die Geschichtsbücher. Wird an diesem Wochenende mit aggressiveren Autos neue Geschichte geschrieben?

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