Die Denkweise, die Lando Norris ins Formel-1-Finale mitnehmen muss

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,

Dritter werden. Das ist leichter gesagt als getan - aber nichts, was Lando Norris nicht kann.

Max Verstappen prescht heran wie ein Hochgeschwindigkeitszug, und ihn als Titelherausforderer zu haben, ist einschüchternd genug. Es wirkt, als würde er nicht nur in den Köpfen der McLaren-Fahrer mietfrei wohnen, sondern in den Gedanken aller McLaren-Mitarbeiter.

Die Angst, gegen Verstappen zu verlieren, ist nicht nur die Angst vor einer Niederlage; nach einer derart dominanten Saison 2025, in der McLaren fast doppelt so viele Punkte holte wie der nächstbeste Konkurrent, wäre es blamabel, den Fahrertitel noch aus der Hand zu geben.

Diese Version von Max ist noch gefährlicher: Er hat nichts zu verlieren und provoziert mit sichtbarem Vergnügen gegen McLaren, verspottet ihre Fehler, lacht über ihre Unfähigkeit, ihn trotz früherer Vorteile abzuschütteln.

Seine Haltung ist klar: Er hätte nichts dagegen, den fünften Titel als Geschenk von McLaren zu erhalten - aber er wäre auch nicht enttäuscht, sollte er ihn verpassen. Kein Druck, er genießt schlicht den Moment und die Tatsache, dass die Welt erneut über sein Können staunt.

McLaren steht enorm unter Druck

McLaren hingegen steht unter enormem Druck - einem Druck, den sich das Team zu großen Teilen selbst auferlegt hat. Gemessen am bisherigen Verlauf der Saison hätte es niemals zu einem Dreikampf um den Titel in Abu Dhabi kommen dürfen. Die Schlussphase hätte ein internes Duell der beiden Papaya-Piloten sein sollen, mit dem Team als unparteiischem Schiedsrichter.

Stattdessen stolperte McLaren über die eigenen Regeln, erschuf aus dem Nichts ein Titelduell und ließ Verstappen zu jener Bedrohung werden, die er nun darstellt. Kein Raum für Fehler, kein Spielraum für eine fehlerhafte Strategie oder einen langsamen Boxenstopp. Verstappen nimmt Geschenke gerne an - aber er verteilt keine.

Norris auf der Überholspur

Doch McLarens Probleme im Umgang mit dem Druck sollten nicht davon ablenken, wie konstant Lando Norris in den vergangenen Monaten abgeliefert hat. Denn in all dem war er das verlässlichste Element in McLarens wackeliger Struktur. Das ist vor allem das, woran er an diesem Wochenende anknüpfen muss.

Während die Welt Verstappens unglaubliche Aufholjagd genießt - von 104 Punkten Rückstand auf nur noch zwölf innerhalb von acht Rennwochenenden - war Norris' eigener Vormarsch fast genauso beeindruckend. Ja, es wäre übertrieben, ihn als fehlerfrei darzustellen, aber die Zahl der Punkte, die er seit seinem Ausfall in Zandvoort durch eigene Fehler verlor, liegt kaum über einem Dutzend.

Blendet man das Narrativ von "Momentum" aus und betrachtet nur die Tabelle: Wenn Norris nach Zandvoort jemand gesagt hätte, dass er mit zwölf Punkten Vorsprung ins Saisonfinale geht, hätte er sofort unterschrieben. Das entspricht einer Wendung von fast 50 Punkten seit Ende August, als seine Chancen düster aussahen. Und trotz Verstappens Aufschwung reist immer noch Norris als Favorit nach Abu Dhabi.

Worauf sich Norris jetzt konzentrieren muss

Genau darauf sollte sein Fokus liegen. Nicht auf die Disqualifikation in Las Vegas - auch wenn Verstappen ohne sie rechnerisch nicht einmal mehr im Rennen wäre. Nicht auf Piastris Form-Comeback in Katar - denn auf diesem Niveau kann niemand erwarten, acht Wochenenden am Stück den Teamkollegen zu schlagen. Und erst recht nicht auf Zandvoort - denn auf eine merkwürdige Weise könnte gerade dieses Rennen Norris stärker gemacht haben.

Nach den Siegen in Mexiko-Stadt und Sao Paulo machte Norris alles richtig: Hinter Verstappen ins Ziel zu kommen war in Las Vegas exakt das, was aus WM-Sicht nötig war - es hätte Verstappens Comeback praktisch beendet.

Auch McLaren hat "mitgeholfen"

Was danach geschah, lag nicht in Norris' Verantwortung. Er war Opfer einer Fehleinschätzung anderer. Dasselbe gilt für Katar: Hätte das Team nicht den Fehler gemacht, in Runde sieben draußen zu bleiben, wäre er mindestens Dritter geworden - Piastri hätte gewonnen. Und auch das wäre ein vollkommen akzeptables Ergebnis für den WM-Führenden gewesen.

Allerdings wäre es auch überzogen, dem Team die Schuld zuzuschieben. Ohne McLarens Fahrzeug, das über weite Teile des Jahres dominierte, befände sich Norris gar nicht erst in dieser Position - eine Tatsache. Und die Fehler, die er in der ersten Saisonhälfte machte, entsprechen ungefähr jenen, die die Ingenieure oder Strategen zu verantworten hatten.

Jetzt nur nicht ins Grübeln kommen!

Dies ist nicht der Moment für Norris, über all das zu grübeln. Niemand hatte eine perfekte Saison. Und selbst wenn Verstappen darauf besteht, seinen "Rammstoß" von Barcelona nicht als Grund zu sehen, falls er den Titel verliert, bleibt die Realität: Sollte er das Jahr mit weniger als zehn Punkten Rückstand beenden, ist genau dort der Titel verloren gegangen.

Am Sonntag in Doha war Norris sichtlich getroffen von den Ereignissen. Wie immer bei ihm zeigt er Frustration offen, und es war deutlich, dass ihn das schwer belastete. Doch genauso wie nach Zandvoort sagte er die richtigen Dinge.

"Ich kann nichts dagegen tun", antwortete er, als ihn jemand auf die zwölf Punkte Vorsprung hinwies. "Es war offensichtlich nicht unser bester Tag, nicht unser bestes Wochenende. Aber davor hatte ich eine großartige Serie an Ergebnissen. Ich habe mich selbst in diese Position gebracht. Ich bin weiterhin zufrieden."

"Aber so ist das Leben. Jeder hat schlechte Wochenenden. Ich nehme es hin, wir alle nehmen es hin, und wir werden sehen, was wir nächstes Wochenende tun können."

Und wenn er diese Einstellung nach Abu Dhabi mitnimmt, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass er nicht liefern wird, was nötig ist. In den vergangenen drei Monaten hat er sich wie ein echter Titelkandidat verhalten.

Das Beste, was Norris jetzt tun kann, ist, nichts an seinem Ansatz zu ändern - denn es gibt keinen Grund für Zweifel. Und es sollte keinen Zweifel geben, dass er diesen Titel verdient.

Alles, was er braucht, ist ein unspektakulärer Sonntag - ein Podium auf einer Strecke, auf der er im Vorjahr souverän gewann. Es wird nicht leicht sein, dieses Finale als isoliertes Rennen zu betrachten, aber genau diese Denkweise könnte Norris jetzt helfen.

Euer
Oleg Karpow