Werde jetzt Teil der großen Community von Formel1.de auf Facebook, diskutiere mit tausenden Fans über die Formel 1 und bleibe auf dem Laufenden!
Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Nico Rosberg
Nico Rosberg hält der Formel 1 als TV-Experte den Spiegel vor - weil er es als einer der wenigen im Fahrerlager noch kann? Ein Abgesang - oder die Kolumne zum Belgien GP
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,
wenn der mit Abstand beste Formel-1-Reporter am Wochenende im Fahrerlager von Spa ein ehemaliger Rennfahrer ist, dann könnte das viel über den Zustand eines ganzes Berufstandes ausdrücken - beziehungsweise wie schlecht es um die kritische Berichterstattung mittlerweile steht, in einem Paddock, das zunehmend vom Phänomen "Influencer" überschwemmt wird.
Nun ja, wenn etwas klingt wie eine Krankheit, dann ist es meistens auch eine...
Und doch ist sie nur Symptom eines Zeitgeistes, der anno 2025 auch vor der Königsklasse nicht Halt macht: Leute, die alles super finden, solange sie nur reingelassen werden, sind schließlich besser kontrollierbar für PR-Agenten, die lästigen Journalisten ihre Headlines oder gar ganze Geschichten diktieren wollen, genauso wie für Teams, die bei unerwünschter Presse den Zutritt zu Medienrunden versagen oder gar gerichtlich dagegen vorgehen.
Rosberg führt Verstappen vor: "Jetzt bist du ruhig"
Doch ein kleines gallisches Dorf gibt es offenbar noch im nahezu besetzten Formel-1-Reich, das Hoffnung macht. Kurios, dass die Person, die stellvertretend für dieses steht, ausgerechnet die Frisur von Troubadix hat, dem blonden Barden mit den langen Haaren, dem stets der Mund geknebelt wird, damit man seinen Klängen nicht weiter lauschen muss.
Ein Gefühl, mit dem sich sicher viele der längst verstummten Helden des Formel-1-Journalismus gut identifizieren können. Bezeichnend, dass statt ihnen mittlerweile Nico Rosberg in seiner Rolle als TV-Experte für die kritischen Töne beziehungsweise Nachfragen sorgt. Dabei hilft, dass sich Rosberg - auf gut deutsch - offenbar gar nichts scheißt. Weswegen der ein oder andere Protagonist in Spa wohl auch gerne einen Knebel dabeigehabt hätte...
Beispiel Nummer eins: Jos Verstappen. Der wird von Rosberg in der Startaufstellung nochmal ganz direkt mit dem Aus von seinem Lieblingsfeind Christian Horner als Teamchef bei Red Bull konfrontiert: "Letztes Jahr hast du gesagt, dass Horner gehen muss, weil er das Team zerstört", prescht Rosberg voran.
Verstappen unterbricht ihn schulterzuckend: "Das ist anderthalb Jahre her. Also, es ist anders", so der Niederlänger, der anfügt: "Ich habe nichts zu sagen. Es ist okay." Rosberg wirft ein: "Jetzt bist du ruhig" - woraufhin sich Verstappen verdutzt nach vorne beugt. Rosberg wiederholt: "Du bist ruhig jetzt?" - "Ich bin immer ruhig", kanzelt ihn ein sichtlich genervter Verstappen ab.
Bottas, Norris und Co. - Rosberg kennt keine Gnade
Die kuriose Momentaufnahme ist nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe an unangenehmen Nachfragen, die der Deutsche den Protagonisten der Szene um die Ohren haut. Auch seinen Mercedes-Nachfolger Valtteri Bottas schnappt sich Rosberg etwa, fragt ganz unverblümt: "Neuer Vertrag mit Cadillac?" Bottas stellt sich erstmal taub: "Ich kann dich nicht hören." Rosberg: "Nur Gerüchte also, ja?" Wieder Bottas: "Es gibt viele Gerüchte in diesem Sport..."
Doch auch aktive Fahrer wie Lando Norris oder Kimi Antonelli bekommen am Sonntag ihr Fett weg vom Deutschen, der sich immer mehr als der Experte präsentiert, den Rosberg selbst - noch zu seinen aktiven Zeiten - wohl gehasst hätte: Frei von der Leber weg, unnachgiebig, stets konfrontativ, legt Rosberg den Finger in alle Wunden - mit einer Zielsicherheit, die wohl nur einer haben kann, der eben aus Erfahrung genau weiß, wovon er spricht.
Den mal wieder fehleranfälligen Norris etwa nimmt Rosberg in seiner Analyse nach dem Rennen nach allen Regeln der Kunst auseinander: Der Brite habe bei der Rennfreigabe "ein bisschen geschlafen", auch später im Rennen seien ihm noch "drei Fehler" unterlaufen, die "ein Hamilton oder ein Verstappen" wohl nicht gemacht hätten, argumentiert Rosberg - während McLaren-Boss Zak Brown direkt neben ihm steht: "Das habt ihr doch auch gesehen?", hakt der Deutsche bei seinem Gegenüber frech nach.
Mit Ex-Team Mercedes und Rookie Kimi Antonelli geht Rosberg ebenfalls nicht zimperlich um, obwohl der junge Italiener einst in seinem Kart-Team fuhr und Rosberg ihm dabei sogar mit der Finanzierung aushalf: Der Neuling habe "dieses Jahr mit Sicherheit ein paar zu viele Ablenkungen akzeptiert", lautet sein knallhartes Urteil, weil Antonelli in Imola etwa Besuch vom örtlichen Fußballclub und seinen Schulkameraden empfing.
"Keine Freunde": Rosberg fängt bei Antonelli damit an
"All das musst du löschen, komplett löschen: Null, geh auf null runter mit diesem Zeug. Einfach nur du und dein Team, fahrt die Rennen, das ist es", sagt mit Rosberg einer, der es wissen muss: Denn genau diese asketische Abkapselung und der Fokus aufs absolute Minimum brachte ihm 2016 schließlich den nötigen Push zum WM-Titel.
"Auch keine Freunde und Familie, lass die alle daheim. Lass alles daheim, was dich ablenkt, bereite dich mit dem Team vor, geh in den Simulator, verdoppele die Simulatorzeit in der Fabrik - einfach Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung. Das ist das Beste, was er machen kann", so Rosberg.
Ob er sich mit derlei altklugen Ratschlägen und der Schärfe in vielen seiner Aussagen Freunde macht, ist zu bezweifeln, doch es scheint dem Deutschen auch herzlich egal zu sein. Das nächste Beispiel dafür ist sein Ex-Teamchef Toto Wolff - auch in Bezug auf den Wiener und dessen anstehende Vertragsverhandlungen mit George Russell plaudert Rosberg aus dem Nähkästchen:
"Es ist schrecklich mit Toto zu verhandeln, denn seine Taktik ist, einfach zu verschwinden", lacht der Ex-Mercedes-Star: "Wenn du jetzt also wie George versuchst, ihn dran zu kriegen, wird Toto weg sein. Er weiß sogar wie man die blauen Haken vermeidet." Nein, offenbar keine personalisierte Sondereinstellung von Teampartner WhatsApp für den Silberpfeil-Boss...
Rosberg pfeift auf den Weichspüler und Egozentrik
Vielmehr verrät Rosberg mit einem Augenzwinkern: "Sobald die Nachricht als Meldung aufpoppt, wird er nur den ersten Teil lesen und sie nicht wirklich öffnen. Ich erinnere mich nur an meine Zeiten und das war sein Stil: Verschwinden, nicht antworten, schwer zu erreichen zu sein - und das ist schrecklich, denn du hast keine Chance."
Fantastische Einblicke hinter die Kulissen, ins Innenleben eines Formel-1-Teams, das vermag Rosberg auf jeden Fall zu liefern. Dabei kommt ihm zugute, dass er nach wie vor bestens vernetzt ist im Fahrerlager, dass auch seine eigene Zeit im Cockpit noch nicht ewig her ist, er gegen einige der aktuellen Piloten noch selbst fuhr.
Noch viel entscheidender als die rein fachliche Expertise ist aber Rosbergs gerade Haltung, mit klaren Meinungen, Ansagen und der Fähigkeit, sich - anders als der ein oder andere Expertenkollege - dabei nicht immer selbst in den Mittelpunkt zu stellen, um noch bessere Werbedeals oder noch mehr Netflix-Ruhm abzugreifen.
Das konsequent zur Schau getragene Pfeifen auf die dieser Tage mitunter arg weichgespülten Gepflogenheiten im brav geprügelten Medienzirkus der Formel 1 ist tatsächlich erfrischend. Kurz gesagt: Rosberg stellt den Protagonisten endlich die unangenehmen Fragen, die sich Kai Ebel und Co. bei ihm früher nicht getraut haben.
Wenngleich man fairerweise dazusagen muss, dass dem Ex-Piloten sein Status als Weltmeister dabei natürlich hilft, ihn über jeden Zweifel erhaben zu machen, ihn grundsätzlich in fast jeder Diskussion automatisch über den Rest der Anwesenden zu stellen.
Die fulminante Rückkehr des Aussätzigen
Nur ein einziges Mal eckte Rosberg in den vergangenen Jahren selbst an, einmal war auch er - im wahrsten Sinne des Wortes - nicht immun gegen die vielen eigenen Gesetze des Fahrerlagers: Nämlich als der Ex-Weltmeister wegen der strengen Coronaregeln der Formel 1 plötzlich nicht mehr ins Paddock durfte und für seine Zuschaltung mit einem kleinen Kamerateam vor den Toren der großen Show herumlungern musste wie ein Aussätziger.
Damals tat Rosberg mir leid. Doch Sky hielt dennoch fest an ihrem wohl am meisten geschätzten Experten, der ob seiner Multilingualität zwischen den verschiedenen Ländereditionen der TV-Station hin und herspringt - und damit noch wertvoller für den Sender ist als es etwa der ebenfalls sehr gute und meinungsstarke, aber auch oft sehr unbequeme Damon Hill war, den man vor der aktuellen Saison aussortierte.
Eine Schattenseite hat Rosbergs Aufstieg beim Fernsehen allerdings doch noch, wie ich letztes Jahr beim Saisonfinale in Abu Dhabi am eigenen Leib feststellen musste: Nach einer kurzweiligen privaten Plauderei mit ihm und Augusto Farfus, den ich noch gut aus gemeinsamen DTM-Zeiten kenne, fragte ich Nico, ob ich anschließend noch ein paar Aussagen von ihm "on record" haben könnte.
Höflich, aber bestimmt, sagte er mir, dass er das nicht möchte: Er mache überhaupt kein Print mehr (auch wenn heutzutage fast alles online ist, gemeint war natürlich die schreibende Zunft) - sondern nur noch Fernsehen.
Zugegeben, im ersten Augenblick war ich schon etwas eingeschnappt über diese Aussage, war es doch zu seinen aktiven Zeiten - im oftmals sehr politischen Duell mit Lewis Hamilton und den vielen Machtspielen hinter den Kulissen bei Mercedes - gerade die deutschsprachige Journaille, die Rosberg stets die Stange hielt und ihn unermüdlich unterstützte.
Mittlerweile muss ich sagen: Wenn dem Journalismus im Zeitalter von TikTok, KI und Co. der Niedergang droht, dann heißt es eben: Lang lebe Rosberg-TV! Solange er dabei so abliefert wie am Sonntag in Spa, kann ich für meinen Teil damit leben...
Euer Frederik Hackbarth