• 02. Juni 2025 · 05:34 Uhr

Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Lance Stroll

19 Autos fahren mit, einer nicht: War Barcelona deshalb Lance Strolls bester Auftritt? Nein, es ist nicht an der Zeit für Häme, findet Frederik Hackbarth in seiner Kolumne

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

Foto zur News: Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Lance Stroll

Sieht so jemand aus, der schlecht schläft? Lance Stroll in Barcelona Zoom Download

genau ein Jahr ist es her, da ließ ich nach dem Großen Preis von Spanien in Barcelona Mercedes-Teamchef Toto Wolff "gut schlafen" - vor allem, weil er sich damals mit einem erinnerungswürdigen Auftritt in der Pressekonferenz gegen die vielen "Lunatics" und "Online-Abuse" in den Tiefen des Internets starkmachte, im Zuge wirrer Verschwörungstheorien um die Silberpfeile.

Zwölf Monate später zeigt sich leider, dass sich am Grundproblem genau gar nichts geändert hat - diesmal an der Personalie Lance Stroll.

Ganz klar: Rein sportlich hätte man an diesem Montag Nico Hülkenberg gut schlafen lassen können, der es im Sauber auf Platz fünf schaffte - wenngleich sich noch die Frage der Nachhaltigkeit dieses Aufschwungs stellt. Oder auch Charles Leclerc, der mit einer mutigen Entscheidung schon am Samstag Ferrari quasi ganz im Alleingang aufs Podest führte.

"Ach, geh doch Tennis spielen!"

Warum also fällt die Wahl ausgerechnet auf den einen, der gar nicht dabei war beim Rennen? Die Antwort darauf ist recht simpel: Weil es, zumindest meiner Auffassung nach, auch Teil der journalistischen Pflicht ist, manchmal Statements zu setzen, wenn Dinge aus der Bahn geraten - und als Formel 1 und auch als Fan-Community müssen wir uns jetzt langsam mal überlegen, wo die Reise eigentlich hingehen soll?

Fast keine Woche vergeht ohne neue Schaudergeschichten aus dem Internet, seien es wildgewordene Franco-Colapinto-Fans, die rassistisch gegen Yuki Tsunoda hetzten - oder der übliche Schlagabtausch unter der Gürtellinie zwischen den Fanlagern von Lewis Hamilton und Max Verstappen. Um den Letztgenannten dürfte es seit gestern ja auch wieder rund gehen - glücklicherweise hatte ich noch keine Zeit, all das aufzusaugen...

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Seltenheitswert haben sie, aber es gibt sie also doch: Die Lance-Stroll-Fans Zoom Download

Schon vor dem Rennen in Barcelona erwischte es aber noch einen anderen, der auch oft und gerne zur Zielscheibe des Gespötts wird, nämlich Lance Stroll. Und falscher könnten die Beweggründe in diesem Fall nicht sein, musste der Kanadier den Großen Preis von Spanien doch schlichtweg verletzungsbedingt absagen.

Die Reaktionen darauf auf Social Media und in den einschlägigen Foren? "Millionärssöhnchen", "Weichei", "unprofessionell", "hoffentlich bald Karriereende", "merkt eh keiner", "na endlich", und "ach, geh doch Tennis spielen!" - der letzte Kommentar gewinnt dann auch den Sonderpreis, war der Grund für Strolls Absage doch ausgerechnet eine alte Handverletzung...

Festzuhalten aber bleibt: Die Kommentare zu Stroll strotzen größtenteils nur so vor Häme, im völlig unregulierten Wilden Westen der "Sozialen" Medien teilweise gar vor Hass - und ich frage mich: Warum ist das eigentlich so? Liegt es ganz einfach an der Neidgesellschaft, in der wir leben? Ist Stroll aufgrund des dicken Bankkontos seines Vaters schlichtweg eine unausweichliche Reizfigur für viele?

Eine Lanze für Lance

Nun, auch aus journalistischer Sicht, und wenn man Lance Stroll ein paar Mal persönlich gegenübergestanden ist, muss man sagen: Klar, seine Medienauftritte sind mitunter grotesk. Er antwortet kaum, wirkt abwesend, desinteressiert. Alles nichts Neues. Allein: Einen Kimi Räikkönen machte genau das zur Kultfigur und zum Fanliebling der Formel 1.

Bei Stroll ist das Gegenteil der Fall. Warum? Liegt es wirklich ausschließlich an seinen manchmal mauen sportlichen Leistungen? Und ist er überhaupt so ein Minderleister, wie manche es ihm andichten - oder ist auch das ein Ammenmärchen?

Die Beurteilung fällt zugegebenermaßen schwer aus: Denn Stroll, das ist vor allem viel Licht und Schatten. Ja, er hat so seine Tage, der liebe Lance, an denen fragt man sich schon... als er vergangenes Jahr in Sao Paulo zum Beispiel das Auto auf der Aufwärmrunde im Kies versenkte und die brasilianischen Fans lautstark "Drugovichi, Drugovichi" skandierten - der Ruf nach dem Ersatzfahrer, der auch an diesem Wochenende in Barcelona wieder gänzlich unerhört verhallte.

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In Spanien kam Stroll nicht über die drei Trainings hinaus, dann war Schluss Zoom Download

Es gibt aber auch die anderen Tage: Zum Beispiel, wenn es nass ist oder Mischbedingungen herrschen, dann gehört Stroll auffallend oft eher zu den Profiteuren als zu den Opfern. Auf gewissen Strecken, die er offenbar lieber mag als andere, ebenfalls - wie zum Beispiel Baku oder Monza, wo er jeweils auch schon aufs Podium fuhr.

Mag also sein, dass Lance Stroll ein Laune-Pilot ist. Das sind andere im Feld aber auch - in den letzten Jahren mit Lewis Hamilton unter anderem sogar der erfolgreichste Fahrer in der Formel-1-Geschichte. Natürlich ist Strolls fahrerische Klasse nicht annähernd mit der des Rekordweltmeisters zu vergleichen. Und natürlich kommt er allein aufgrund seiner Inkonstanz auch nicht ganz an Teamkollege Fernando Alonso ran.

Doch schaut man mal auf die WM-Tabelle, sieht die Sache schon ein bisschen anders aus: Bis Spanien holte Stroll anno 2025 alle Punkte für Aston Martin, zeigte mehrfach unauffällige, aber ertragreiche Rennen - und zuletzt im engen Monaco gegen Nico Hülkenberg auch als einziger Pilot ein sensationell gutes Überholmanöver. Das Fazit also: Ja, Stroll ist wohl kein zukünftiger Weltmeister - aber er ist auch beileibe nicht so schlecht wie sein Ruf.

Lauter Hobby-Mediziner unter den F1-Fans

Und er verdient als Sportler genauso eine faire Beurteilung wie die anderen 19 Piloten im Feld. Mit Blick auf seine Verletzung, die noch von einem Fahrradunfall aus der Saisonvorbereitung von vor zwei Jahren stammt, bedeutet das, dass er selbst die Lage wohl am besten einschätzen kann. Die meisten von uns sind keine Ärzte, und die, die es sind, hatten Strolls rechtes Handgelenk bisher wohl kaum unter ihrem Röntgenstrahl.

Eine medizinische Entscheidung mit dem Fernglas zu kommentierten, das steht jedenfalls niemandem zu. Wenn Strolls Schmerzen eine OP nötig machen, dann ist das eben so. Dass er freiwillig sein Heimrennen in zwei Wochen in Kanada riskieren würde, hingegen schwer vorstellbar: Vielmehr wundert es mich mit Laienwissen nicht, dass die Überlastung ausgerechnet nach dem Gekurbel der Saison in Monaco - und noch dazu bei einem Tripleheader - auftrat. Aber ja, Fernglas eben...

Mit dem gleichen will in Barcelona übrigens auch ein britischer Journalist beobachtet haben, dass Stroll nach seinem Aus in Q2 hinter Aston Martins Kulissen die Beherrschung verloren und randaliert haben soll - bestätigt ist das genauso wenig, wie die Frage, ob sich der vermeintliche Frust dann nicht vielleicht einfach auf seine Schmerzen und die Verletzung bezog? So oder so würde es aber bedeuten: Es schert ihn also doch etwas!

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Allein der Blick auf den Kontoauszug dürfte Lance Stroll recht ruhig schlafen lassen Zoom Download

Auch das ist ja einer der oftmals vorgebrachten Kritikpunkte an Stroll, seine nach außen zur Schau gestellte Lustlosigkeit (außerhalb des Autos). Gut, Sympathiepunkte sammelt der Kanadier damit wahrlich nicht gerade, aber vielleicht ist er ja einfach nur ehrlich? Vielleicht hat er einfach keinen Bock auf die immer gleichen Nachfragen einer Horde verschwitzter Journalisten vor seiner Nase?

Denn Teil der Wahrheit ist schon auch: Wenn ein Pilot den Medienzirkus in der Königsklasse tatsächlich nicht nötig hat, dann ist das Stroll. Wer das sicherste Cockpit der Formel 1 buchstäblich besitzt, der braucht auch keine zusätzliche Eigenwerbung oder PR-Spielchen betreiben. Und in diesem Punkt ist es vielleicht durchaus an der Zeit für eine Neueinordnung der Personalie Lance Stroll.

Ab jetzt, jede Woche: Lance Stroll!

Drehen wir den ganzen Denkansatz, zum unter den Fans wohl unbeliebtesten Piloten der Königsklasse, doch mal um: Stellen Sie sich mal vor, ihrem Vater gehört ein Formel-1-Team? Stellen Sie sich vor, er kauft ihnen den besten Designer der Formel-1-Geschichte? Stellen Sie sich vor, Sie können selbst über ihre Zukunft im Sport entscheiden? Stellen Sie sich vor, Sie sind erst 26 Jahre alt und nicht schon 43...

Wenn es nach all diesen Kriterien geht, müsste Lance Stroll jede Woche aufs Neue am besten schlafen.

Dass er in Spanien trotzdem den Mut hatte, auf einen Start zu verzichten, dafür gebührt ihm Respekt. Echte Motorsportfans wissen spätestens seit dem tragischen Unfall von Strolls kanadischem Landsmann Greg Moore 1999 beim Champ-Car-Finale in Fontana, dass man sich mit einer akuten Handverletzung nicht ans Steuer eines Rennwagens setzen sollte. Seine Entscheidung war also die absolut richtige!

Gute Besserung und schnelle Genesung, Lance Stroll!

Euer Frederik Hackbarth

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