Max Verstappen nach Blackout uneinsichtig: "Bringe Taschentücher mit!"
Max Verstappen sorgt mit seinem Rammmanöver gegen George Russell für eine Kontroverse und steht kurz vor einer Rennsperre - Kommissare noch "gnädig"?
(Motorsport-Total.com) - Das Urteil von Ex-Pilot Nico Rosberg fällt eindeutig aus: "Dafür muss er die schwarze Flagge sehen", schüttelt der Deutsche bei Sky den Kopf über die Aktion, die Max Verstappen in der Schlussphase des Formel-1-Rennens in Barcelona geritten hat. "Er ist einfach mit Absicht in Russell gecrasht. Das war furchtbar."
Wir schreiben Runde 64 des Grand Prix. Erst kurz zuvor musste Verstappen, der von Red Bull auf harte Reifen gesetzt wurde, Charles Leclerc - mit Berührung auf Start/Ziel - vorbeiziehen lassen, dann wurde er in Kurve 1 von George Russell neben die Strecke geschickt und sollte dann auf Anweisung seines Teams den Briten vorbeilassen.
Und da brannten dem Niederländer wohl die Sicherungen durch. Denn als Russell in Kurve 5 außen am Red Bull herumfahren wollte, bekam er plötzlich einen dumpfen Schlag von links. "Es wirkte ehrlich gesagt sehr absichtlich", kommentiert Russell im Nachhinein die Szene.
Absicht oder nicht? Fakt ist: Die Kommissare brummten Verstappen für sein Manöver eine Zehn-Sekunden-Strafe auf, die ihn im Ziel auf Platz zehn zurückspülte.
Russell: Manöver werfen ein schlechtes Licht auf ihn
Der Mercedes-Pilot kritisiert: "So etwas habe ich schon oft im Simracing oder auf iRacing gesehen - aber noch nie in einem Formel-1-Rennen." Verständnis dafür hat er nicht: "Max ist ganz klar einer der besten Fahrer der Welt, aber Manöver wie dieses sind einfach völlig unnötig und werfen ein schlechtes Licht auf ihn."
"Es ist schade für all die jungen Kinder, die zu ihm aufschauen und davon träumen, einmal Formel-1-Fahrer zu werden. Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat", sagt der Engländer weiter und fordert Konsequenzen: "Wir setzen unser Leben aufs Spiel. Zum Glück sind die Autos heutzutage so sicher, wie sie sind. Aber das sollte man nicht als selbstverständlich hinnehmen."
Sollten die Kommissare Absicht feststellen, "dann müssen sie harte Fragen stellen", sagt er. "Es wirkte alles einfach sehr seltsam, bizarr und überzogen. Es ergibt einfach keinen Sinn, absichtlich in jemanden hineinzufahren, dabei das eigene Auto zu beschädigen oder eine Strafe zu riskieren."
Verstappen: Bringe ihm Taschentücher mit!
Auf die Aussagen seines Gegners angesprochen, entgegnet Verstappen nur: "Okay, ich bring das nächste Mal Taschentücher mit." Russell selbst habe er "nichts mehr zu sagen", und auch Kritik von Experten wie Rosberg schmettert er ab: "Das ist seine Meinung. Jeder kann seine Meinung haben."
Er selbst möchte zu dem Vorfall eigentlich nichts sagen: "Ich spreche lieber über das Rennen als über einen einzigen Moment", winkt er ab. Und auch auf konkrete Nachfrage, ob es Absicht war, meint er nur: "Spielt das eine Rolle?"
Als das von Sky-Reporterin Rachel Brooks bejaht wird, kommentiert er: "Okay, das ist toll." Brooks lässt nicht locker und meint, dass solche Aktionen seinen Glanz beschädigen würden. Verstappen bricht ab: "Das ist deine Meinung. Belassen wir es dabei."
In einem anderen Interview kritisiert er dann die Zweikampfregeln: "Ehrlich gesagt ist das Hauptproblem, dass die Rennstandards - also was erlaubt ist und was nicht - nicht natürlich sind. Das ist frustrierend. Manchmal nützt es dir, manchmal schadet es dir - heute hat es mir geschadet."
Rosberg: Kommissare waren noch gnädig
Rosberg findet hingegen, dass Verstappen den Kommissaren eher danken sollte, denn für ihn ist der mit seinen zehn Sekunden noch ziemlich gut bedient: "Das ist schon sehr gnädig in meinen Augen", sagt er und verweist auf Sebastian Vettel, der Lewis Hamilton in Baku 2017 absichtlich ins Auto gefahren war - damals bei niedriger Geschwindigkeit hinter dem Safety-Car.
Für seine Aktion bekam der Deutsche damals eine Zehn-Sekunden-Stop-and-Go-Strafe, drei Strafpunkte und Sozialarbeit in Nachwuchsserien aufgebrummt.
Was Verstappen laut Rosberg zum Ausrasten gebracht hat, war die Ansage von Renningenieur Gianpiero Lambiase: "Red Bull hat das vermasselt, indem sie gesagt haben, dass er George vorbeilassen soll. Das hat Max wirklich verärgert, weil er weiß, dass George ihn rausgeschoben hat", sagt er.
Das hatte Verstappen kurz zuvor tatsächlich moniert. "Das muss eine Strafe geben", funkte er. Doch dann kam die Ansage seines Renningenieurs.
Lambiase: "Max, kannst du Russell bitte durchlassen? Lass Russell durch."
Verstappen: "Nein, ich war vorne. Was zur Hölle?"
Lambiase: "Mein Rat ist, ihn durchzulassen."
Verstappen: "Ich war vorne, Kumpel. Er hat mich einfach von der Strecke geschoben."
Lambiase: "Aber so sind die Regeln. Das sind die Regeln, nach denen wir spielen. Es ist schade, aber so sind die Regeln."
Verstappen hätte Russell nicht vorbeilassen müssen
Diese Ansage passte wohl nicht ins Weltbild des Red-Bull-Piloten. "In Max' Augen war er zu 100 Prozent im Recht", meint Rosberg. "Er hat gedacht: 'Warum sagt du mir das? Schau hin, ich zeige dir, was er gemacht hat', und dann hat er verlangsamt und ihn gerammt, was noch schlimmer ist."
Die These wird im Nachhinein von den Rennkommissaren gestützt, denn Verstappen hätte Russell nicht vorbeilassen müssen. Die Kommissare untersuchten den Zwischenfall in Kurve 1, weil Verstappen neben der Strecke einen Vorteil gehabt haben soll - da Russell am Kurvenscheitel vorne war.
Aber: Die Kommissare betonen auch, dass Verstappen durch einen "Kontrollverlust" von Russell und den folgenden Kontakt neben die Strecke geschickt wurde und diese nicht absichtlich verlassen habe. Daher gab es keine weiteren Maßnahmen - und Verstappen hätte seine Position eigentlich behalten dürfen.
Marko und Wolff nehmen Schärfe raus
Red Bulls Motorsportkonsulent Helmut Marko sagt im ORF, dass es "verständlich" sei, dass Verstappen "frustriert und teilweise aggressiv" reagiert habe, betont aber auch, dass die Zweikämpfe mit ihm "etwas hart" waren. "Aber ich habe es in der Wiederholung noch nicht gesehen, also möchte ich da noch keine Urteile abgeben."
Auch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff, der Verstappen bekanntlich gerne verpflichten würde, reagiert nach dem Rennen zum Teil versöhnlich: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in so einen Road Rage verfällt", meint der Österreicher im ORF beim ersten Betrachten der Bilder.
Für ihn sieht es so aus, als würde sich Verstappen zurückfallen lassen, damit Russell die Position wieder hat, dann aber gleich wieder beschleunigen, um sie sich wieder zurückzuholen.
Generell findet er aber, dass eine solche Überreaktion nicht notwendig ist. "Wenn man sich ärgert oder wenn die Welt gegen dich steht - und die Besten, die haben dieses Syndrom, dass dann alle gegen sie sind -, dann muss man das schon ein bisschen unter Kontrolle halten", sagt er. "Wenn es so war, dann ist es etwas, was man auf der Rennstrecke nicht machen sollte."
Verstappen einen Punkt von Sperre entfernt
Für Verstappen wird es nach der Strafe richtig eng. Denn weil er für die Aktion noch mit drei Strafpunkten belegt wurde, steht er jetzt bei elf Zählern - bei zwölf innerhalb eines Jahres wird ein Fahrer für ein Rennen gesperrt (zur Übersicht der Strafpunkte).
Zwei Punkte verfallen am 30. Juni, das heißt, dass er sich in Kanada und Österreich keinen Fehltritt erlauben darf. Aber auch danach muss der Niederländer aufpassen, denn bis Ende Oktober wird er mindestens neun Strafpunkte auf seiner Lizenz haben.