• 19. Mai 2025 · 05:37 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Flavio Briatore

Ein Macher, ein Playboy, ein Siegertyp - und ein Relikt aus einer vergangenen Zeit? Flavio Briatore muss jetzt beweisen, dass er es immer noch kann ...

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

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Flavio Briatore: Ist er als Teamchef noch so gut wie zu seinen besten Zeiten? Zoom Download

"I control you every millimetre." Flavio Briatore ist, das muss man ihm lassen, keiner, der nur leere Sprüche klopft. Dass er, wie in der aktuellen Staffel der Netflix-Dokuserie "Drive to Survive" in seinem unverwechselbaren Akzent angekündigt, Jack Doohan nicht aus den Augen lassen werde, hat er inzwischen bewiesen. In Imola saß erstmals nicht mehr der 22-jährige Australier im Alpine-Cockpit, sondern der 22-jährige Argentinier Franco Colapinto, der, wie viele finden, ein bisschen wie der junge Ayrton Senna aussieht.

Als Colapinto im Qualifying am Samstag ausgerechnet in der Tamburello-Schikane abflog, also dort, wo Senna 31 Jahre zuvor tödlich verunglückt war, weckte das bei einigen Beobachtern unschöne Assoziationen. Doch da hören die Parallelen zwischen Colapinto und dem dreimaligen Weltmeister dann auch schon auf.

Colapinto müsse "schnell sein, darf keine Unfälle bauen und soll Punkte holen. Das sind die drei Dinge, die ich von ihm verlange", definierte Briatore vor dem Imola-Wochenende die Zielsetzung für seinen neuen Fahrer - und kündigte an: "Wenn er das gut macht, fährt er ewig."

Nach Imola ist jedoch keiner der drei Punkte erfüllt. Colapinto machte gegen seinen Teamkollegen Pierre Gasly ebenso wenig einen Stich wie Doohan vor ihm, crashte im Qualifying, als er erstmals einer Drucksituation ausgesetzt war, und ging im Rennen am Sonntag leer aus.

"Fuck, was?": Wie Colapinto am Boxenfunk geflucht hat

Die Atmosphäre am Boxenfunk war dabei nicht immer prickelnd. Einmal, als Colapinto gebeten wurde, Gasly vorbeizulassen, weil der zu Beginn der zweiten Rennhälfte deutlich schneller war. Und dann noch einmal, als Colapinto nicht verstand, warum man ihn während der Safety-Car-Phase nicht sofort zum Boxenstopp reinholte: "Kumpel, wie, draußen bleiben? Was, warum? Fuck, was?"

Später grummelte Colapinto vor sich hin: "Ich kapier das nicht." Bis ihn sein Renningenieur aufklärte: "Okay, Kumpel. Der Grund, warum wir dich nicht gleich in der ersten Runde reingeholt haben, war, dass wir sicherstellen wollten, dass wir dich wieder in die Führungsrunde reinbekommen, okay?" Was der Argentinier mit einem kleinlauten "Copy" beantwortete.

Für die Entscheidung, Doohan schon nach nur fünf Rennen auf die Ersatzbank zu verbannen, wurde Briatore im Formel-1-Paddock scharf kritisiert. Einen Rookie so schnell abzuservieren, das sei selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich brutal. Und einige bezweifeln, dass das wirklich nur daran lag, dass Briatore Colapinto für den besseren Rennfahrer hält.

Die Millionen von Mercado Libre

Der sympathische Wuschelkopf aus Buenos Aires wird unterstützt vom südamerikanischen Milliardenkonzern Mercado Libre, der für das Formel-1-Comeback bei Alpine mutmaßlich die eine oder andere Million hat springen lassen. Angesichts dieses "Schmerzensgeldes" fällt es vermutlich ein bisschen leichter, Doohan wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen.

Der Australier hatte nie eine faire Chance, sich bei Alpine zu beweisen. Kaum hatte das Team den Fahrerwechsel bekannt gegeben, lief im argentinischen Fernsehen auch schon ein TV-Spot, in dem ein Mercado-Libre-Fahrer ein Paket zu Colapintos Wohnung liefert - und als der das Paket öffnet, ist ein Alpine-Rennhelm drin. Unmöglich, so einen Spot innerhalb von ein paar Tagen zu planen und abzudrehen. Bis auf Doohan wussten wahrscheinlich alle Beteiligten schon viel länger, was wirklich Sache war.


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In einem ORF-Beitrag am Sonntag vor dem Rennen hieß es wörtlich: "Von moralischen Bremsklötzen hat der Geschäftemacher Briatore noch nie etwas gehalten." Eine Beschreibung, die gut zur Aussage einer Person passt, die mir über Briatore einmal gesagt hat: "Flavio hat immer versucht, dass von jedem Deal auch ein bisschen Kleingeld in seine eigene Tasche fließt."

Briatore & Wurz: Ein Blick in die Vergangenheit

Alexander Wurz kann ein Liedchen davon singen. 1997 in Silverstone sollte er eigentlich seinen dritten Grand Prix als Ersatzfahrer für den gesundheitlich angeschlagenen Gerhard Berger bestreiten. Doch ein paar Stunden vor dem Start dämmerte Briatore, dass er jetzt bitteschön dringend möchte, dass Wurz einen persönlichen Managementvertrag bei ihm unterschreibt. Als Wurz sich weigerte, kam es zum Streit.

Briatore habe "zum Schreien angefangen, was ich kleiner Rotzbub mir denn einbilde. Ich habe ehrlich gesagt fast nix verstanden. Du verstehst Flavio schon schlecht, wenn er nicht schreit - aber wenn er schreit, verstehst du kein Wort mehr", erinnert sich Wurz in einem Kapitel meines 2024 erschienenen Buchs "Grand Prix Storys - Hinter den Kulissen der Formel 1". (ANZEIGE: Jetzt online bestellen, auf Wunsch auch handsigniert vom Autor!)

Briatores Büro war im alten Benetton-Motorhome der Saison 1997 im ersten Stock. Darunter lag die Küche, in der der Teamkoch gerade das Mittagessen für das Team zubereitete. Der konnte zwar kein Wort verstehen, erkannte aber die aufgeregten Stimmen von Briatore und Wurz, und erkundigte sich bei Pat Symonds, damals Benettons Technischer Direktor, was denn da los sei.

Symonds dämmerte, dass da gerade irgendwas mächtig aus dem Ruder lief, rannte hoch ins Büro und wollte von den beiden Streithähnen wissen, was da denn bitteschön abgehe. "Ich bin rausgeschmissen. I'm not racing", sagte Wurz. Briatore stand, offensichtlich sauer, daneben, als Symonds erwiderte: "Blödsinn, Alex. Natürlich fährst du! Das Warm-up beginnt in 30 Minuten. Du ziehst dich jetzt um, wärmst dich auf, und los geht's."

Eine Anekdote, die wunderbar beschreibt, wie gnadenlos Flavio Briatore tickt. Vom Interessenkonflikt, den ein Managementvertrag mit seinem eigenen Fahrer mit sich gebracht hätte, mal ganz abgesehen, denn: Bezahlt der Teamchef Briatore seinem Fahrer Wurz mehr Gage, kassiert der Manager Briatore eine höhere Provision. Der Geschädigte wäre Luciano Benetton gewesen.

Nur um das klarzustellen: Dass Briatore direkt am Mercado-Libre-Deal partizipiert, ist reine Paddock-Spekulation. Geld hat der inzwischen 75-jährige Italiener in seiner schillernden Karriere genug verdient. Auch wenn sein Hang zur Extravaganz sicher einen Tick mehr kostet als der Lebensstil eines durchschnittlichen Skilehrers und Restaurantmanagers.

Alpine: Wer ist hier der Boss?

Fest steht: Er ist der Mann, der heute bei Alpine das Sagen hat. Vor zwei Wochen in Miami hatte Oliver Oakes, zu dem Zeitpunkt noch Alpine-Teamchef, vor versammelter Weltpresse erklärt, dass Doohan in Imola fahren werde und nicht Colapinto. In Imola war Doohan dann weg - und Briatore hatte Oakes' Job übernommen.

An seiner Rolle bei Alpine, sagt Briatore in einem sehenswerten ORF-Beitrag am Rande des Grand Prix der Emilia-Romagna 2025, habe sich "nichts geändert. Ich bin immer verantwortlich. Ich sage immer, was passiert." Selbst dann, wenn Renault-Konzernchef Luca de Meo persönlich anwesend ist, wie das in Imola der Fall war. Auf dem Papier ist Briatore "nur" de Meos Berater. Wer die beiden beobachtet, fragt sich allerdings, wer in der Praxis wem sagt, wo es langzugehen hat.

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Wer ist hier der Boss? Renault-Konzernchef Luca de Meo mit Flavio Briatore ... Zoom Download

Und das wird sich laut Wurz auch nicht so schnell ändern. Seiner Einschätzung nach sitzt Briatore bei Alpine trotz der mageren sportlichen Bilanz fest im Sattel: "So leicht wird er sich nicht wegbugsieren lassen. Er hat sich gut positioniert, er ist mit dem Vorstand gut. Solange es bei Renault im Konzernvorstand keinen Wechsel gibt, wird der Flavio da bleiben", ist der ORF-Experte überzeugt.

Was Briatore kann - und was er nicht kann

Briatore hat keine Ahnung von der Technik der Formel 1 und neigt dazu, die Dinge stark zu simplifizieren. Für lästige Details hat er nichts übrig. In Imola wunderte er sich, wie die Medien bitteschön darauf kommen, dass Colapinto erstmal nur fünf Rennen fahren soll. Und ließ dabei elegant unerwähnt, dass er selbst es war, der das in einer hochoffiziellen Pressemitteilung angekündigt hatte.

Aber er habe auch eine Stärke, wie Wurz betont: "Menschenkenntnis. Wenn Flavio in einem Zimmer sitzt mit fünf Leuten, und einer ist sich seiner Sache nicht sicher, kriegt er das sofort raus. Dann fokussiert er sich auf diese Person, und so verlangt er seinem Team und seinen Mitarbeitern immer das Maximum ab. Das ist schon faszinierend, dass er das so schafft und jetzt auch wieder da ist."

Denn Briatore war schon mal weg aus der Formel 1. 2008, beim Grand Prix von Singapur, heckte er gemeinsam mit Pat Symonds jenen teuflischen Plan aus, der später als "Crashgate" zu einem der kontroversesten Skandale der Formel-1-Geschichte werden sollte. Briatore wurde lebenslang aus dem Grand-Prix-Sport verbannt, erstritt vor Gericht aber eine Aufhebung seiner Sperre.

Jetzt marschiert er wieder durchs Fahrerlager, als wäre all das nie passiert. Plaudert gern mit den alten Weggefährten und weniger gern mit Menschen, die er nicht von früher kennt. Unsere Interviewanfrage für Imola hat Alpine abgelehnt. Und er zieht die Fäden in jenem Team, das er 1994/95 mit Michael Schumacher und 2005/06 mit Fernando Alonso schon zu Weltmeisterschaften geführt hat.

Das Playboy-Leben hat Spuren hinterlassen

So vital wie früher wirkt Briatore freilich nicht mehr. Mit 73 musste er sich einer Herzoperation unterziehen, mit 74 wurde ihm ein gutartiger Tumor entfernt. Dass er jahrzehntelang Zigaretten geraucht hat, am liebsten die ohne Filter, hat Spuren hinterlassen. Dass er nicht mehr durch den Paddock joggt wie vor 30 Jahren, liegt auf der Hand.

Jetzt gilt es erstmal, bei Alpine wieder Ruhe reinzubringen. Der Teamchef-Verschleiß der vergangenen Jahre war enorm: 2016 war Frederic Vasseur dran, von 2017 bis 2020 Cyril Abiteboul. 2021 kam für ein Jahr Laurent Rossi, dann für ein Jahr Otmar Szafnauer, gefolgt von Bruno Famin, Oliver Oakes und jetzt eben Flavio Briatore.


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Dass der sich den Job im Spätherbst seines Lebens nochmal antut, verwundert viele. Und spricht dafür, dass er in all den Jahren und trotz all der Skandale nie ganz losgekommen ist vom süchtig machenden Scheinwerferlicht der Formel 1.

Dass er es noch kann, das wird er jetzt beweisen müssen. Die traditionsreiche Motorenschmiede in Viry-Chatillon hat Briatore schon schließen lassen - ab 2026 fährt Alpine mit Mercedes-Power. Aber in der Konstrukteurs-WM liegt das Team derzeit nur an vorletzter Position, ein mickriges Pünktchen vor Sauber. Sollte sich daran nicht bald was ändern, wird Briatore irgendwann vielleicht doch spüren, dass de Meo sein Chef ist - und nicht umgekehrt.

Flavio Briatore ist untrennbar mit der Geschichte der Formel 1 verbunden. Ein Macher, ein Playboy, ein Siegertyp. Zum Grand-Prix-Sport der späten 1990er-Jahre hat das gepasst. In der modernen Formel 1, die Rechteinhaber Liberty Media skandalfrei zu halten versucht, wirkt er wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit. Ob das nun eine gute oder eine schlechte Sache ist, darüber kann sich jeder selbst eine Meinung bilden.

Übrigens: Mit Alexander Wurz hat mein Kollege Frederik Hackbarth, Autor der Schwesterkolumne "Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat", am Sonntagabend in Imola ein ausführliches Interview geführt. Das Video gibt's jetzt auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de zu sehen.

Euer
Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.

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