• 21. März 2022 · 05:21 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Sebastian Vettel

Die grüne Gurke Aston Martin wird 2022 keinen Blumentopf gewinnen, weshalb sich Sebastian Vettel womöglich ziemlich unangenehme Fragen stellen wird

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser/-innen,

Foto zur News: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Sebastian Vettel

Sebastian Vettel: Noch steht nicht fest, ob er für Saudi-Arabien rechtzeitig gesund wird Zoom Download

es ist ein Indiz für eine gelungene Premiere des neuen Formel-1-Reglements, wenn ich mir am Sonntagabend die Frage stellen muss, ob das Wort "geil" für die Schlagzeile eines seriösen Nachrichtenmediums angemessen ist oder nicht. Letztendlich spricht der Titel unseres Rennberichts zum Grand Prix von Bahrain 2022 wahrscheinlich vielen Fans aus der Seele: "So geil ist die neue Formel 1!"

Doch während im Paddock das ebenso spektakuläre wie dramatische Rennen gefeiert wurde, während die Begeisterung der Mitglied im Livechat unserer großen Formel-1-Analyse auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de (Jetzt kostenlos abonnieren oder für ?3,99/Monat Mitglied werden!) grenzenlos war, dürfte einer ziemlich deprimiert vor seinem Fernseher gesessen sein: Sebastian Vettel.

Zwar wurde erst am Donnerstag bekannt gegeben, dass Vettel in Bahrain wegen eines positiven Coronatests nicht antreten kann; fest stand dies jedoch bereits am Mittwoch, als Aston Martin am Abend erfolglos versuchte, Nico "Hülkenback" in Monaco aus dem Schlaf zu klingeln.

Bereits zuvor hatte die Vorfreude der Vettel-Fans auf den Saisonauftakt einen Dämpfer erhalten, und zwar ausgerechnet von Vettels Teamchef beim "Wunder von Monza" 2008 auf Toro Rosso, Gerhard Berger.

Der übte zuerst am Montagabend bei ServusTV Kritik am neuen Aston-Martin-Teamchef Mike Krack, zeigte sich dann am Dienstagmorgen in einem exklusiven Interview für den YouTube-Kanal von Formel1.de "nicht beeindruckt" von Vettels neuem Chef und legte am Samstag in Bahrain bei einem Gespräch mit einigen ausgewählten Journalisten nochmal nach.


Gerhard Berger: Das Interview zum Formel-1-Auftakt

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Gerhard Berger im Gespräch: Wie sein Auftritt bei "Klein gegen Groß" war, was er seiner alten Liebe Ferrari zutraut, wie er Vettels Chef kritisiert. Weitere Formel-1-Videos

Ob Berger von Krack wirklich deswegen nichts hält, weil dieser bei BMW in der DTM keinen konstanten Erfolg hatte, wie Berger sagt, oder ob die negativen Kommentare womöglich auch etwas damit zu tun haben, dass Krack seinerzeit nicht wahnsinnig kooperativ gewesen sein soll, als Bergers Neffe Lucas Auer aus seinem BMW-Vertrag aussteigen wollte, wie manche Unkenrufer behaupten, das sei mal dahingestellt.

Und tut auch, nebenbei bemerkt, überhaupt nichts zur Sache. Berger ist sicher keiner, der den neuen Chef eines alten Freundes wie Vettel nur aufgrund einer persönlichen Agenda öffentlich kritisieren würde.

Als Berger in Bahrain zum dritten Mal innerhalb von einer Woche erklärte, warum Krack nicht der richtige Mann sei, um Aston Martin an die Spitze der Formel 1 zu führen, war Vettel schon längst nicht mehr im Nahen Osten, sondern zu Hause in der Schweiz.

Am Abend des 9. März hatte die Fahrergewerkschaft GPDA ein Fotoshooting organisiert, um unter dem Hashtag #RacingUnited gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren. Vettel stand dabei zeitweise unmittelbar neben Daniel Ricciardo, der tags darauf den Bahrain-Wintertest wegen einer COVID-19-Erkrankung auslassen musste.

Es gilt zwar nicht als gesichert, dass sich Vettel an Ricciardo angesteckt hat, aber als wahrscheinlich; zumal sich inzwischen Leser bei uns gemeldet haben, die glauben, dass Vettel zuletzt eine Maske getragen hat, für die wegen schlechter Partikelfilterung eine Produktwarnung ausgesprochen wurde. Ob das stimmt, kann ich aus meiner Position nicht überprüfen.

Wie dem auch sei: Aston Martin, das ist nach dem ersten Rennwochenende, das sich Vettel von zu Hause aus anschauen musste, bittere Gewissheit, ist aktuell neben Williams das Schlusslicht der Formel 1. Vettels Team hat im Vergleich zur bescheidenen Saison 2021 keinen Schritt nach vorn, sondern einen nach hinten gemacht.

Ist schon irgendwie auffällig: Seit Racing Point (das Vorgängerteam von Aston Martin) im Sommer 2020 wegen Betrugsvorwürfen zu 400.000 Euro Geldstrafe und einem Abzug von 15 Punkten in der Konstrukteurs-WM verurteilt wurde, seit die Formel 1 ganz genau hinschaut, ob das Team einen rosa (oder inzwischen grünen) Mercedes baut, geht sportlich irgendwie nichts mehr weiter.

Zwar ist keineswegs in Stein gemeißelt, dass Aston Martin die Probleme mit dem "Porpoising" nicht in den Griff bekommt, aber auf eine Prognose lasse ich mich jetzt schon ein: Der AMR22 ist kein Auto, mit dem Vettel wie 2021 zweimal aufs Podium fahren kann (der zweite Platz am Hungaroring wurde ihm zwar nachträglich aberkannt, wurde aber auf der Strecke sportlich fair herausgefahren).

Dann stellt sich die Frage, ob er sich das überhaupt noch antun will, diese Woche in den Flieger nach Saudi-Arabien zu steigen, das Land des Titelsponsors seines Teams, Aramco, in dem am 12. März an einem einzigen Tag 81 Menschen hingerichtet wurden. Ich kann mir gut vorstellen, dass Vettels Interesse, sich für das Rennen in Dschidda freizutesten, überschaubar ist.

Sportlich kann er 2022 eh nichts gewinnen. Was interessieren einen viermaligen Weltmeister zwölfte Plätze? Und Ende 2022 läuft sein Vertrag aus.

Ich mag falsch liegen, aber ich habe nicht das Gefühl, dass Lawrence Stroll Vettel gegenüber wahnsinnig loyal ist. Angeblich soll er schon vergangenen Sommer mit Fernando Alonso geflirtet haben. Und Sergio Perez und Otmar Szafnauer können ein Liedchen davon singen, wie es Herr Stroll mit dem Thema Loyalität so hält.

Vettels Lebensthema sind 2021 die Umwelt und die Menschenrechte geworden. Er bekannte sich öffentlich dazu, die Grünen zu wählen, baute mit Schulkindern ein Bienenhotel, klaubte in Silverstone Müll zusammen, setzte sich in einen Podcast mit Luisa Neubauer ("Fridays for Future") und war auch der erste Formel-1-Fahrer, der klare Worte zum verbrecherischen Krieg Russlands in der Ukraine fand.


Kontroverses Interview: Vettel wählt die Grünen!

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Wie Sebastian Vettel zum Umweltschutz steht, warum er die F1 für fehlende Relevanz kritisiert und was das ein Meeting in Spielberg damit zu tun hat. Weitere Formel-1-Videos

Will der gleiche Sebastian Vettel wirklich den Heim-Grand-Prix in Saudi-Arabien, dem Land mit den 81 Hingerichteten, als werbliches Aushängeschild von Aramco bestreiten? Einem milliardenschweren Mineralölkonzern, dessen fossile Energieträger nur dann mit einer grünen Agenda in Einklang zu bringen sind, wenn man zu viele Aramco-Dämpfe eingeatmet hat? Für mich schwer vorstellbar.

Es liegt mir fern, Vettel moralisch zu verurteilen. Ich kann mir das Dilemma, in dem er gerade steckt, sehr gut vorstellen. Die Formel 1 ist seine große Leidenschaft, seine große Liebe seit frühester Kindheit. Und Aston Martin hat ihm ein Cockpit gegeben, als er sonst keins mehr hatte.

Sich von Aramco, Saudi-Arabien und Stroll abzuwenden, das würde wahrscheinlich bedeuten, ein ganz wichtiges Kapitel seines Lebens zu beenden. Jeder kann nachvollziehen, was für ein schwieriger Schritt das sein muss. Mit 34 ist man noch ein bisschen zu jung für die Rente.

Nur: Jetzt, wo klar ist, dass mit der grünen Gurke 2022 kein Blumentopf zu gewinnen ist, könnte ich mir vorstellen, dass Vettel vielleicht doch noch einmal in sich geht. Sich fragt, ob es das wirklich wert ist, noch ein Jahr Werbeträger zu sein für alles, was er eigentlich verurteilt. Ob es das wert ist, seine Frau allein zu Hause zu lassen und viele Momente im Aufwachsen seiner Kinder zu verpassen, die er nie mehr zurückbekommen wird.


Was dafür spricht, dass Vettel nicht zurückkehrt

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"Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat" gibt's jetzt als Video! Nach Bahrain ist für uns Sebastian Vettel der Verlierer des Wochenendes. Weitere Formel-1-Videos

Und das alles nur für ein paar vereinzelte WM-Pünktchen und die Aussicht, dass er von Stroll sen. früher oder später genauso kühl abserviert wird, wie der das schon mit einigen anderen Wegbegleitern gemacht hat - und ziemlich wahrscheinlich noch vor den ersten Erfolgen, die das gerade im Umbau befindliche Team womöglich irgendwann einfahren wird.

Ich will ganz ehrlich sein: Ich würde Sebastian Vettel in ein paar Wochen lieber nicht über zwölfte Plätze interviewen und ihm nervtötende Fragen über Aramco stellen, die er wegen des PR-Maulkorbs seines Arbeitgebers ohnehin nicht ehrlich beantworten darf.

Sondern ich würde ihn viel lieber auf ein Gläschen steirischen Weißwein treffen und in entspannter Atmosphäre über die Höhepunkte seiner glorreichen Formel-1-Karriere sprechen und darüber, wie wir ihm als Motorsportmedium dabei helfen können, die Welt ein bisschen besser zu machen - jetzt, wo er nach Ende seiner Fahrerlaufbahn mehr Zeit für solche Dinge hat.

Übrigens: Es gab natürlich auch einen Sieger des vergangenen Wochenendes, nämlich Haas-Teamchef Günther Steiner. Mit dem hat sich mein Stellvertreter Stefan Ehlen in der Schwesterkolumne "Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat" auf Motorsport.com Deutschland auseinandergesetzt.

Ihr Christian Nimmervoll


Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "Breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen.

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