Zweistopp gescheitert: Hätten Piastri und Leclerc draußen bleiben müssen?
Der falsche Strategie-Call? Warum Oscar Piastri und Charles Leclerc mit nur einem Stopp beim Ungarn-Grand-Prix wohl deutlich besser dagestanden hätten
(Motorsport-Total.com) - Lando Norris sicherte sich den Sieg beim Großen Preis von Ungarn - und das, obwohl der Start alles andere als vielversprechend für den Briten verlief. Von Startplatz drei aus verlor Norris gleich zwei Positionen an George Russell und Fernando Alonso und geriet damit früh ins Hintertreffen im Kampf um den Sieg. Doch genau das könnte sich im Nachhinein als sein Glücksfall erwiesen haben.
Bereits vor dem Rennen war klar, dass Ferrari gegenüber McLaren strategisch im Nachteil sein würde. Die Theorie: Sollte sich am Start nichts ändern, könnte ein McLaren-Pilot einen Undercut gegen Leclerc versuchen, während der andere auf einen Overcut setzen würde. Die strategische Auseinandersetzung spitzte sich schließlich in Runde 18 zu, als Oscar Piastri den Undercut gegen Leclerc wagte.
Zwar gelang der Undercut nicht vollständig - Piastri holte in der Outlap lediglich 1,5 Sekunden bei einem Rückstand von zuvor 2,5 Sekunden -, doch McLaren zwang Ferrari damit immerhin ebenfalls zu einem frühen Stopp. Leclerc musste eine Runde später an die Box, um seine Position gegen Piastri auf der Strecke zu sichern.
Norris spielte zu diesem Zeitpunkt noch keine Rolle. Der WM-Zweite steckte hinter George Russell im Mercedes fest und hatte sieben Sekunden Rückstand auf die Spitze. Um dennoch im Rennen nach vorn zu kommen, ging McLaren ein Risiko ein: Man setzte auf einen Overcut und pokerte auf die Einstoppstrategie.
Warum die Einstoppstrategie schneller war
Wie sich im weiteren Verlauf zeigte, war diese Entscheidung goldrichtig. Norris gewann das Rennen mit nur einem Stopp und auch im Mittelfeld setzte sich die Einstoppstrategie durch. Laut den Daten unseres Technologiepartners PACETEQ betrug der durchschnittliche Reifenverschleiß lediglich 0,062 Sekunden pro Runde - deutlich weniger als im Vorjahr mit 0,083 Sekunden pro Umlauf.
Doch nicht nur der geringere Reifenverschleiß machte die Einstoppstrategie zum Schlüssel zum Erfolg, sondern auch die Tatsache, dass Überholen in Ungarn einmal mehr äußerst schwierig war. Ein Paradebeispiel dafür war Nico Hülkenberg im Sauber: Der Deutsche setzte bereits in Runde fünf auf einen frühen Undercut und beeindruckte mit starken Rundenzeiten. Zeitweise hatte er sogar Fernando Alonso im Aston Martin virtuell geundercutted. Doch im Verkehr blieb er stecken, und nach dem zweiten Boxenstopp reichte es nur für Platz 13.
Was bedeutet das nun für Piastri und Leclerc? Hätten sie das Rennen womöglich gewinnen können, wenn auch sie auf eine Einstoppstrategie gesetzt hätten?
War die Zweistoppstrategie wirklich ein Fehler?
Im Rückblick ist man natürlich immer klüger - und hätte vermutlich versucht, die Strategie von Norris zu kopieren. Dennoch: Sowohl Piastri als auch Leclerc hätten trotz ihres frühen Stopps grundsätzlich die Möglichkeit gehabt, mit nur einem Reifenwechsel durchzufahren, da der Reifenverschleiß gering war.
Ein harter Reifen hätte über 52 Runden halten müssen - durchaus machbar, wie Esteban Ocon zeigte, der im Haas sogar 55 Runden auf dem Hard fuhr. Liam Lawson im Racing Bulls brachte es im ersten Stint sogar auf 40 Runden mit dem Medium. Rein vom Reifenmanagement her wäre eine Einstoppstrategie also auch für Piastri und Leclerc möglich gewesen. Doch hätten sie Lando Norris in der Endphase tatsächlich hinter sich halten können?
Zweistoppstrategie gescheitert: Wurde Piastri von McLaren benachteiligt?
Formel‑1‑Datenexperte Kevin Hermann analysiert mit der OneTiming‑Software von PACETEQ, warum die Einstoppstrategie beim Ungarn‑GP klar im Vorteil war. Weitere Formel-1-Videos
Leclerc wohl eher nicht. Der Ferrari-Pilot hatte ab Mitte des Rennens mit technischen Problemen zu kämpfen und war gegen Rennende trotz besserer Reifen über zwei Sekunden pro Runde langsamer als Norris. Bei Piastri hingegen ist die Lage nicht so eindeutig.
Einstoppstrategie hätte Piastri bessere Siegchancen gegeben
Seine Rundenzeiten vor dem zweiten Stopp lagen im Schnitt nur fünf Zehntel pro Runde hinter denen von Norris auf frischeren Reifen. Norris hätte ihn zwar eingeholt - aber auch überholt? Ein Blick auf die Daten zeigt: Um ein vorausfahrendes Auto zu überholen, war ein Pace-Vorteil von rund acht Zehnteln pro Runde nötig. Selbst Max Verstappen im Red Bull schaffte gegen Rennende mit zuvor über einer Sekunde Zeitgewinn pro Runde kein Überholmanöver gegen Liam Lawson.
Auch Piastris Pace-Delta von sechs Zehnteln reichte am Rennende nicht, um Norris zu überholen - obwohl er 15 Runden frischere Reifen hatte. Wäre er bei einer Einstoppstrategie auf seiner ursprünglichen Position geblieben, hätte Norris ein ähnliches Reifendelta von 14 Runden gehabt. Die Situation wäre also vergleichbar gewesen.
Zwar lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, wie das Rennen tatsächlich verlaufen wäre, doch es ist offensichtlich: Die Einstoppstrategie war der schnellere Weg - und das Überholen auf dem Hungaroring erwies sich einmal mehr als äußerst schwierig. Gut möglich also, dass auch Piastri mit nur einem Stopp eine realistische Siegchance gehabt hätte - womöglich wäre es dann erneut zu einem teaminternen McLaren-Duell gekommen, nur mit vertauschten Rollen und den besseren Karten für den Australier.
Eine ausführliche Datenanalyse des Formel-1-Rennens in Ungarn gibt es im Übrigen auch auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de. Dort beleuchtet Datenexperte Kevin Hermann mithilfe der Strategiesoftware OneTiming von PACETEQ nicht nur das taktische Duell zwischen McLaren und Ferrari, sondern zieht - passend zum Beginn der Sommerpause - auch eine Halbzeitbilanz der bisherigen Formel-1-Saison aus datenbasierter Perspektive.