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Ominöses Ferrari-Problem lässt Leclerc ausrasten: Russell hat einen Verdacht
Ferrari-Star Charles Leclerc verpasst trotz gewonnenem Start in Ungarn das Podest - Schimpftirade am Funk, Frust-Manöver gegen Russell und ein heikler Verdacht
(Motorsport-Total.com) - Im Auto war der Frust mal wieder groß bei Charles Leclerc: Kein Wunder, gelingt es ihm doch auch am Sonntag in Ungarn nicht, seine Pole in einen Sieg zu verwandeln. Unglaublich: Von den letzten 16 Rennen, in die Leclerc von ganz vorne gestartet ist, hat er nur ein einziges gewonnen!

© Sutton Images
Am Start ging es noch gut los für Leclerc, der sich vor McLaren halten konnte Zoom Download
Grund genug für eine ausgewachsene Schimpftirade am Funk: "Wir müssen solche Dinge vorher besprechen, bevor wir sie einfach umsetzen", äußert sich Leclerc während des Rennens zunächst noch kryptisch: "Wir werden dieses Rennen mit solchen Dingen verlieren. Wir verlieren so viel Zeit."
Wenig später, nachdem das klar ist, dass Ferrari sämtliche Siegchancen tatsächlich weggeworfen hat, schiebt er hinterher: "Das ist so unglaublich frustrierend. Wir haben jegliche Wettbewerbsfähigkeit verloren. Ihr müsst mir einfach zuhören - ich hätte einen anderen Weg gefunden, mit diesen Problemen umzugehen." Und weiter: "Jetzt ist das Auto einfach unfahrbar, unfahrbar. Es wäre ein Wunder, wenn wir überhaupt noch aufs Podium kommen."
Leclerc entschuldigt sich für Ausraster am Funk
Immerhin: Mit der letzten Einschätzung soll Leclerc Recht behalten. Nachdem er die McLaren-Piloten ziehen lassen muss, schlüpft acht Runden vor Schluss auch noch George Russell durch, das Podium ist futsch. Doch dann folgt die wahre Überraschung - denn trotzdem rudert Leclerc nach dem Aussteigen mit seinen Aussagen erstmal zurück:
"Zunächst einmal muss ich mich für das, was ich über Funk gesagt habe, entschuldigen. Ich dachte, das Problem hätte eine bestimmte Ursache, aber nachdem ich aus dem Auto ausgestiegen bin, habe ich deutlich mehr Informationen bekommen. Tatsächlich kam das Problem vom Chassis und war nichts, was wir durch eine andere Strategie hätten verhindern können", sagt Leclerc auf einmal.
Worum genau es geht, will er nicht verraten, erklärt jedoch: "Ich habe das Problem ungefähr ab Runde 40 gespürt, und es wurde dann mit jeder Runde schlimmer. Gegen Ende waren wir zwei Sekunden langsamer als die Pace - das Auto war schlichtweg unfahrbar." Der Grund dafür sei allerdings "ein technisches Problem, ein Ausreißer - so etwas sollte nicht noch einmal vorkommen".
Allein: Während der Scuderia-Star von einem plötzlich aufgetretenen Chassis-Problem spricht, hat Mercedes-Pilot Russell eine ganz andere Theorie zu Ferraris Schwierigkeiten: "Ich habe gesehen, wie langsam er war, also habe ich mir schon gedacht, dass etwas nicht stimmt", sagt der Brite, der den Grund zu kennen glaubt: "Das Einzige, was wir uns vorstellen können, ist, dass sie das Auto zu tief eingestellt hatten und deshalb in der letzten Phase des Rennens den Reifendruck erhöhen mussten."
Harte Bandagen gegen Russell: Auf der Bremse bewegt
Russell begründet: "Sie haben dann auch einen Motor-Modus verwendet, der am Ende der Geraden weniger Leistung bringt - und genau dort hast du den stärksten Abrieb am Unterboden." Darauf angesprochen, dass Leclerc das Problem am Chassis festgemacht hat, kontert Russell: "Nun, er wird dir natürlich nicht sagen, dass sie so nah dran waren, illegal unterwegs zu sein. Das ist das Einzige, was wir uns anhand der Rundenzeiten und dem Motormodus, den sie gefahren sind, zusammenreimen können."
Fakt ist: Auf Leclerc ist Russell nach dem Rennen ohnehin nicht gut zu sprechen, denn im Kampf um Platz drei geht der Ferrari-Pilot nach Meinung des Briten viel zu weit. Nach seinem ersten Überholversuch vor Kurve eins in Runde 61 beschwert sich der Brite bereits darüber, dass sich Leclerc auf der Bremse bewegt habe - beim zweiten Versuch, einen Umlauf später an derselben Stelle, tut Leclerc dies dann noch deutlicher, es kommt beinahe zur Kollision.
Für die Stewards ist Leclercs Defensivverhalten über dem Limit, sie brummen dem Scuderia-Star eine Fünf-Sekunden-Strafe dafür auf. "Ich wusste, dass ich am Limit war. Ich habe dazu keine starke Meinung, aber das Gefühl, dass ich vor dem Bremsen die Linie gewechselt habe, dann gebremst und das Auto zur Kurve hin eingelenkt - so mache ich das eigentlich immer", sagt Leclerc.
"Aber ich kann mir vorstellen, dass George sich wieder lautstark über Funk beschwert hat - das ist bei ihm ja nichts Neues", fügt der Monegasse hinzu, wenngleich er die Sache vor dem Hintergrund der vorangegangenen Probleme runterspielt: "Mich stört es nicht besonders, vor allem nicht in einem Rennen wie diesem. Wenn am Ende ein Safety-Car gekommen wäre und ich wegen der Fünf-Sekunden-Strafe Plätze verloren hätte, dann wäre ich vermutlich deutlich frustrierter gewesen. Aber das war nicht der Fall."
Klien kann Strafe gegen Leclerc nachvollziehen
Für Ex-Formel-1-Pilot und ServusTV-Experte Christian Klien ist Lelcercs Aktion gegen Russell ein klarer Fall: "Er war frustriert mit dem ganzen Rennen, mit der Lage und dann hat er einfach überverhältnismäßig blockiert", urteilt der Österreicher: "Also das war über dem Limit. Wenn er das morgen anschaut, die Szene, dann sieht er die auch anders", glaubt Klien.
"Das war schon Bewegen auf der Bremse, ganz klar. Das ist auch so ein Gentleman's Agreement unter den Fahrern, dass man das nicht macht. Und das war meiner Meinung nach schon zu heftig, da kann man den George Russell schon verstehen", sagt der TV-Experte: "Wenn sich da bei der Geschwindigkeit die Räder berühren, dann kann auch einer aufsteigen. Das muss nicht sein. Vor allem war ja klar: Russell war deutlich schneller, den kann er eigentlich durchlassen."
Doch vor lauter Frust über die verlorene Siegchance sah Leclerc offenbar Rot. Dabei ging das Rennen noch so gut los für den Scuderia-Piloten, der am Start die Führung verteidigen kann: "Der erste Stint war perfekt, auch die ersten Runden im zweiten Stint waren sehr gut. Ich denke, wir hatten das Tempo, um um den Sieg zu kämpfen. Aber der letzte Stint war eine Katastrophe, ab dem Moment, wo das Problem mit dem Chassis auftrat."
Dabei nimmt Leclerc sein Team im Nachhinein in Schutz: "Ich denke, es war wohl nicht so einfach zu erkennen, sonst hätten sie mir wahrscheinlich etwas gesagt. Offenbar war es in den Daten nicht sofort ersichtlich." Der Monegasse erklärt: "Als ich die Probleme zu spüren begann, wusste ich nicht genau, woher sie kamen. Ich dachte zunächst, es läge an einer Änderung am Frontflügel beim Boxenstopp, dass wir da zu aggressiv waren."
Vasseur: "Der letzte Stint war eine Katastrophe"
Auch Ferrari-Teamchef Fred Vasseur bestätigt: "Vielleicht hängt das Missverständnis mit der Funknachricht auch damit zusammen - er fragte uns, ob wir beim Frontflügel einen Fehler gemacht hätten, also bei der Einstellung. Aber das war nicht der Fall. Wir haben einfach die Pace komplett verloren." Über eine Sekunde pro Runde habe Leclerc direkt ab Beginn des finalen Stints eingebüßt.
"Vielleicht war es dann ein Schneeballeffekt", sagt der Franzose: "Ehrlich gesagt war die Situation ziemlich merkwürdig. Wir hatten die ersten 40 Runden des Rennens unter Kontrolle - der erste Stint lief sehr gut, der zweite war etwas schwieriger, aber noch beherrschbar", so Vasseur: "Der letzte Stint jedoch war eine Katastrophe - das Auto war sehr schwer zu fahren, das Gleichgewicht stimmte überhaupt nicht mehr."
Noch hat der Ferrari-Teamchef dazu keine Antworten: "Und um ehrlich zu sein: Wir wissen bis jetzt noch nicht genau, was passiert ist. Wir müssen untersuchen, ob vielleicht etwas am Chassis kaputtgegangen ist oder Ähnliches." Außerdem verweist er darauf: "Das Auto steht noch im Parc ferme, es ist also noch sehr früh." Dass etwas Grundlegendes vorgefallen sein muss, daran lässt Vasseur aber keine Zweifel:
"An einem Punkt dachte ich sogar, dass wir das Rennen gar nicht beenden würden - umso glücklicher können wir sein, dass wir mit P4 überhaupt Punkte geholt haben." Dennoch zeigt er Verständnis für Leclercs Wut: "Es ist sehr frustrierend, denn wir hatten unsere erste Pole der Saison, die ersten zwei Stints liefen ordentlich, und dann haben wir im letzten komplett die Pace - und die Leistung des gesamten Wochenendes - verloren."
Leclerc: "Unsere einzige echte Chance in diesem Jahr"
Dass die zuvor demonstrierte Performance-Steigerung nach der Sommerpause einfach so reproduzierbar ist, daran glaubt zumindest Leclerc "eher nicht", sagt: "Ich denke, McLaren ist momentan das stärkste Team - selbst heute waren sie extrem schnell. Was mir Hoffnung auf einen Sieg gemacht hat, war die Tatsache, dass ich von der Pole gestartet bin. Auf so einer Strecke ist es wegen der "Dirty Air" sehr schwer zu überholen."
Bestätigt sieht sich Leclerc dadurch: "Oscar war wahrscheinlich ein bisschen schneller als ich, aber er konnte eben nicht vorbei." Bis das ominöse Problem auftrat. "Ich glaube nicht, dass wir in die zweite Saisonhälfte gehen mit dem Gefühl, wir könnten irgendwo gewinnen - und genau das macht die Enttäuschung noch größer", so Leclerc: "Denn wir wussten, dass das hier wahrscheinlich unsere einzige echte Chance in diesem Jahr war - und wir hätten sie nutzen müssen."