Alexander Albon: Ärgert mich, dass wir Fahrer wie Schwächlinge rüberkommen
Sind die Fahrer Weicheier, weil sie im Regen in Belgien nicht gefahren sind? Gegen diese Wertung von außen sträubt sich Alexander Albon
(Motorsport-Total.com) - Das Regenrennen in Belgien hat einmal mehr ein altbekanntes Problem offengelegt: Sicht. Oder besser gesagt, der völlige Mangel daran. Während die Formel 1 auf technischer Ebene große Fortschritte gemacht hat, bleibt das Racing bei starkem Regen eine der größten Herausforderungen - nicht wegen Gripmangel, sondern wegen der Sichtverhältnisse.
"Was bringt uns der Full-Wet-Reifen, wenn wir ihn nie benutzen?", fragte Alexander Albon nach dem Spa-Wochenende rhetorisch. "Das war das perfekte Szenario, um ihn einzusetzen." Doch auch er weiß: Das Problem liegt nicht allein am Gummi. "Es sind nicht die Reifen, die schlecht sind - wir können einfach nichts sehen."
Albon erklärt, dass die Fahrer häufig zu Unrecht als Schwächlinge dargestellt werden: "Wir Fahrer wirken dann, als wären wir schwach oder würden uns beschweren. Aber wir sind diejenigen, die bei 250 km/h 20 Meter weit sehen - oder eben nicht. Das ist ein riesiges Risiko."
Der Williams-Pilot betont, dass es nicht darum geht, nicht fahren zu wollen, sondern nicht fahren zu können. "Wir wollen Rennen fahren, wir lieben den Regen. Aber niemand will ein anderes Auto blind mit 250 km/h rammen."
Sichtproblem statt Reifenthema
Auch Carlos Sainz sieht den Kern des Problems in der fehlenden Sicht, nicht in der Performance der Reifen: "Das größte Problem für uns ist die Sicht. Das hält uns vom Fahren ab."
Dabei spricht er auch den heiklen Balanceakt der FIA an: "Vielleicht hätten wir früher starten können, aber man muss sich auch in die Lage derer versetzen, die am Ende auf den Knopf drücken. Wenn dann etwas passiert, sind sie verantwortlich."
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Sainz schlägt vor, innovativ zu denken - etwa durch den Einsatz spezieller Asphaltmischungen, wie sie teils auf Autobahnen zum Einsatz kommen: "Es gibt Asphalt, bei dem es auf der Geraden keine Gischt gibt - aber solche Beläge haben die meisten Strecken nicht."
Der Williams-Pilot hätte sich gewünscht, dass die FIA im Vorfeld offensiver mit ihrer Strategie umgeht: "Sie haben uns schon am Donnerstag gesagt, dass sie vorsichtig sein werden. Vielleicht hätten sie das auch den Fans sagen sollen."
Brasilien 2016 vs. Spa 2025: Was hat sich verändert?
Viele Fahrer vergleichen heutige Bedingungen mit dem ikonischen Regenrennen in Brasilien 2016. Damals war es extrem nass, aber trotzdem wurde gefahren. Carlos Sainz sagt dazu: "Damals konntest du vielleicht zehn bis 20 Prozent der Strecke sehen - heute sind es null. Und bei null Sicht ist es einfach nur Glück, ob ein Unfall passiert oder nicht."
Oliver Bearman, der junge Brite, bestätigt diesen Eindruck aus eigener Erfahrung: "Damals war die Gischt hinter dem Auto viel kompakter und schmaler. Heute ist sie drei- bis viermal so breit wie das Auto selbst. Sie reicht, um die ganze Strecke zu überdecken."
Esteban Ocon erinnert sich eindringlich an seine erste Spa-Erfahrung 2012, bei der er von ganz hinten gestartet war: "Es war ein Regenrennen - und ich konnte überhaupt nichts sehen. Ich war vielleicht mit 160 oder 170 unterwegs, und als ich auf der Geraden nach rechts zog, sah ich plötzlich ein Auto quer zur Fahrtrichtung - genau in dem Moment, als ich vorbeifuhr."
"Wäre ich auf der linken Seite geblieben, hätte es schlimm enden können. Ich war in dieser Situation - und das macht keinen Spaß", so der Franzose. "Ich finde, die FIA hat in Spa richtig entschieden. Wenn man nur zwei Meter weit sehen kann, ist das eine Einladung zur Katastrophe. Wir haben genug Fahrer in solchen Bedingungen verloren. Das will niemand mehr erleben."
Pierre Gasly bringt es auf den Punkt: "Wir wollen Überholmanöver im Regen sehen, wir wollen Racing sehen - aber kein Rennen, das davon abhängt, ob man zwei Meter vor sich noch was erkennen kann."
"Früher war es genauso beängstigend"
Fernando Alonso, der erfahrenste Fahrer im Feld, sagt: "Seit den neuen Regeln 2017 mit den breiten Reifen ist die Sicht schlechter. Aber eigentlich war es auch in den frühen 2000ern schon beängstigend."
"In Spa gab es leider viele schlechte Beispiele mit geringer Sicht und schweren Unfällen. Jeder will mutig sein, jeder will fahren - auch die Zuschauer zu Hause. Aber wenn dann ein Unfall passiert, dann denkt man sich, dass nichts falsch daran ist, eine weitere halbe Stunde zu warten", so der Spanier.
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Auch er sieht den Asphalt als mögliche Stellschraube: "Der neue, schwarze, supergriffige Belag ist im Nassen wie ein Spiegel. Wir sind früher mit viel Wasser in Sepang oder anderswo gefahren, und es war okay. Jetzt ist es nicht mehr fahrbar."
Ein möglicher Ausweg? "Manche Autobahnen haben null Gischt. Wenn wir diesen Belag standardisieren würden, hätten wir vielleicht eine Lösung. Klar, im Trockenen gäbe es dann riesigen Reifenverschleiß - aber es wäre ein Anfang. Aber ich bin nur ein Fahrer ..."
Verstappen: Manche Unfälle passieren, weil keiner lupft
Auch Max Verstappen mischt sich in die Debatte ein. Für ihn war Spa "zu vorsichtig", auch wenn er Sicherheit grundsätzlich versteht. "Wenn es viel Gischt gibt und du nichts siehst, kannst du auch vom Gas gehen und mehr Abstand lassen, wenn du nicht sicher bist. Oft passieren Unfälle, weil die Leute nicht vom Gas gehen, obwohl sie nichts sehen - weil sie glauben, die anderen tun das auch nicht."
"Ich finde nur, Spa hätte ein großartiges Regenrennen werden können", meint der Red-Bull-Pilot. "Früher gab es tolle Regenrennen in der Formel 1 - heute sind sie selten. Natürlich verstehe ich das Thema Sicherheit. Aber manchmal liegt es auch an dir als Fahrer, ob du es sicher hältst."
"Und wenn das nur noch bei fast trockenen Bedingungen geht, dann müssen wir uns wirklich fragen, wie wir damit umgehen."