Strategie-Analyse: Wird Leclercs zweiter frischer Medium-Reifensatz zum Trumpf?
McLaren steht zwar in der ersten Startreihe, doch hält Ferrari einen Trumpf in der Hand? Charles Leclerc könnte einen Reifenvorteil haben
(Motorsport-Total.com) - McLaren hat sich für das Formel-1-Rennen in Barcelona mit Oscar Piastri und Lando Norris die erste Startreihe gesichert, doch ein Mann aus dem Mittelfeld könnte die Karten im Grand Prix von Spanien neu mischen: Charles Leclerc.
Der Ferrari-Pilot geht hinter Mercedes und Red Bull nur von Startplatz sieben ins Rennen, doch strategisch hat er ein Ass im Ärmel. Denn anders als die meisten anderen Topfahrer hat Leclerc noch zwei frische Sätze Medium-Reifen, was ihm im Rennverlauf mehr Flexibilität gibt - und womöglich den entscheidenden Vorteil.
Reifenwahl: Warum der harte Reifen Probleme macht
Der Circuit de Barcelona-Catalunya ist bekannt für seine hohe Reifenbeanspruchung: raue Asphaltoberfläche, schnelle Kurven, hohe g-Kräfte. Und obwohl Pirelli in dieser Saison bei vielen Rennen weichere Mischungen bringt, hat das Unternehemn in Spanien an der härtesten Auswahl festgehalten: C1, C2 und C3.
Allerdings zeigte sich in den Trainings schnell, dass der harte C1-Reifen kaum Grip bietet. "Wir haben gesehen, dass der C1 sehr wenig Grip hat, er rutscht stark", erklärte Pirellis Chefingenieur Simone Berra. "Auch die Balance passt nicht - das Auto ist vorne und hinten sehr entkoppelt. Man hat Untersteuern im mittleren Kurvenspeed und Übersteuern in den Highspeed-Passagen."
Ein weiteres Problem: Um die Hinterreifen zu schonen, neigen die Teams dazu, ihre Autos mit einem Schuss Untersteuern abzustimmen. In Barcelona wirkt sich das besonders negativ auf den Vorderreifen - speziell vorne links - aus, der durch die schnellen Kurven besonders belastet wird. Dadurch entsteht ein Zielkonflikt: Schont man die Hinterachse, überlastet man die Vorderachse - und verliert im schlimmsten Fall auf beiden Seiten Performance.
Zwei Stopps wahrscheinlich - aber wann?
Nach aktuellem Stand deutet alles auf ein Zwei-Stopp-Rennen hin - so wie auch im Vorjahr, als fast alle Fahrer zwei Reifenwechsel einlegten. Der C1 ist trotz nominell größerer Haltbarkeit durch die schlechte Balance und den fehlenden Grip keine realistische Option für lange Stints. Deshalb richtet sich der Fokus auf C2 und C3, also Medium und Soft.
"Das Niveau des Verschleißes ist bei C2 und C3 ziemlich ähnlich", sagt Berra. "Der C3 hat mehr Grip, aber auch etwas mehr Abbau. Der C2 ist konstanter, bietet dafür weniger Haftung. Insgesamt liegen sie sehr nah beieinander - beide sollten gut fürs Rennen sein."
Die Startphase wird entscheidend: Die meisten Fahrer in den Top 10 haben nur noch einen Satz neuer Softs zur Verfügung - den sie sehr wahrscheinlich im ersten Stint einsetzen werden. Denn auch in Barcelona gilt: Track-position ist Gold wert. Wer am Start nach vorne kommt, hat beste Karten.
Die Boxenstopps beginnen voraussichtlich ab Runde zwölf bis 14. Wer früher stoppen muss, hat ein Problem. Danach entscheidet sich, welche Reihenfolge an Reifensätzen die richtige ist: Soft-Medium-Soft? Oder Soft-Medium-Medium - womöglich mit gebrauchten Pneus im letzten Stint?
Leclercs Joker: Zwei frische Medium-Sätze
Hier kommt Charles Leclerc ins Spiel. Der Ferrari-Fahrer konnte sich im Qualifying nur Platz sieben sichern - auch, weil ihm vorzeitig die frischen Softs ausgingen. Doch der "Verzicht" auf einen zusätzlichen Satz im Zeittraining könnte sich jetzt als Vorteil herausstellen: Leclerc ist der einzige Topfahrer mit zwei frischen Medium-Reifensätzen.
Das verschafft ihm nicht nur Flexibilität - etwa für zwei nahezu gleich lange Stints auf Medium -, sondern auch eine strategische Unabhängigkeit vom Geschehen vor ihm. Sollte es vorn zu Rangeleien kommen wie 2023 zwischen Norris und Verstappen, kann Leclerc mit konstantem Tempo und späteren Stopps möglicherweise Boden gutmachen.
Pirelli-Motorsportchef Mario Isola erklärt: "Theoretisch - wenn ich nur je einen neuen Hard und Medium habe und der Soft stärker abbaut als erwartet - wäre Soft-Hard-Medium die ideale Reihenfolge, weil man den Medium für den leichteren letzten Stint aufspart."
"Aber ich habe auch gehört, dass manche Teams Soft-Medium-Hard in Erwägung ziehen, weil sie glauben, dass sich die Strecke bis zum Rennende so stark verbessert, dass der harte Reifen dann weniger rutscht und besser funktioniert." Sein Fazit: "Wer da am Ende recht hat, weiß ich nicht. Aber das ist zumindest die Theorie."
Und wenn es regnet?
Wahrscheinlich ist das nicht. Zwar war es zum Rennstart 1991 in Barcelona mal grau und feucht, legendär ist das Duell zwischen Nigel Mansell und Ayrton Senna mit den Kondensstreifen über den Flügeln, doch seit dem Wechsel in den Frühlingskalender ist Regen in Montmelo eine Rarität.
Das letzte echte Regenrennen liegt fast 30 Jahre zurück: 1996 feierte Michael Schumacher in einem unterlegenen Ferrari seinen ersten Sieg für die Scuderia - mit über 45 Sekunden Vorsprung. Ein Comeback des Wetterspektakels ist laut Prognose aber sehr unwahrscheinlich.