• 26. Juli 2020 · 09:38 Uhr

Corona-Kalender einfach zu viel: Wann kollabieren die F1-Mitarbeiter?

Nach dem ersten "Triple-Header" in Österreich und Ungarn werden die ersten Klagen von Mechanikern laut, die sogar ein Sicherheitsrisiko befürchten

(Motorsport-Total.com) - Die Formel-1-Saison 2020 ist für alle Mitarbeiter des Grand-Prix-Zirkus mit großem Abstand die härteste aller Zeiten. Aktuell sind nicht weniger als 13 Rennen innerhalb von 18 Wochenenden geplant, darunter gleich drei der besonders unter Mechanikern verhassten "Triple-Header". Eine Belastung, die Spuren hinterlassen wird.

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Müde Mechaniker: Die Maskenpflicht macht ihre harte Arbeit noch härter Zoom Download

Die britische Tageszeitung 'The Sun' hat das Thema vergangene Woche aufgegriffen. Man sei von mehreren Mitarbeitern von Teams kontaktiert worden, heißt es in der vielbeachteten Story. "Ich habe das Gefühl, Teil eines Experiments zu sein. Ich habe die Nase gestrichen voll", wird ein Mitarbeiter zitiert, der anonym bleiben möchte.

Besonders schlecht kam beim "Fußvolk" des Formel-1-Zirkus an, dass etwa Mechaniker und Ingenieure zwischen den drei Grands Prix in Spielberg und Budapest strenge Regeln einhalten mussten. So durften die Mechaniker aufgrund der Coronavirus-Bestimmungen in Ungarn nicht einmal ihr Hotelzimmer verlassen, um kurz Essen zu gehen oder Getränke einzukaufen.

Gleichzeitig sahen die Mechaniker auf Social Media, wie die Herren Formel-1-Stars nach Hause jetteten und dort zwischen den Rennen luxuriös ausspannen konnten. Charles Leclerc und Valtteri Bottas etwa blieben zwischen Spielberg 1 und Spielberg 2 nicht in Österreich und wurden dafür auch gerügt.


Mechaniker wochenlang von zu Hause weg

"Ich vermisse meine Familie", sagt der anonyme Mitarbeiter eines Formel-1-Teams der 'Sun'. "Und es nervt mich, dass wir uns streng an die Regeln halten müssen, während die Fahrer und das Management jede Woche nach Hause fliegen. Ich muss in meiner Blase bleiben. Offenbar bedeuten Wohlstand und Status, dass man gegen das Virus immun ist."

Aus vielen Mechanikern spricht der Frust über die extremen Belastungen dieser außergewöhnlichen Saison. Rechteinhaber Liberty Media ist bemüht, so viele Rennen wie möglich in den bis Mitte Dezember andauernden Terminkalender zu quetschen, um Umsätze so gut es geht zu retten. Wie immer geht es ums große Geld. Das "Fußvolk" bleibt dabei auf der Strecke.

Denn was viele Zuschauer nicht bedenken: Während die Fahrer nur zu Medienterminen und den Sessions arbeiten müssen, stehen die Mechaniker unter Dauerbelastung. Am Rennwochenende selbst dauert ein Arbeitstag rund 16 Stunden. Und wenn die Herren Superstars am Sonntagabend in ihre gecharterten Jets steigen, müssen die Mechaniker das ganze Equipment abbauen und zum nächsten Grand Prix bringen.

Irgendwann, sagt ein Mechaniker, wird es einen Unfall geben, weil die akute Gefahr besteht, dass einer der LKW-Fahrer am Steuer übermüdet einschläft. Sorgen, die von den Teams ernst genommen werden: "Uns muss schon klar sein, dass diese 'Triple-Header', vor allem die später in der Saison, eine echte Herausforderung werden", sagt etwa Andreas Seidl von McLaren.

"Für mich - und ich glaube, das geht es fast allen so - ist die größte Herausforderung, so lange weg von zu Hause zu sein. Es geht gar nicht mal so sehr um die Arbeit an der Rennstrecke. Das ist auch hart. Aber das größere Thema ist, dass unsere Mitarbeiter ihre Frauen und Kinder so lange nicht sehen können."

Der erste "Triple-Header" sei halb so schlimm gewesen, argumentiert Seidl, weil die Kräfte am Saisonbeginn noch frisch sind. Aber nach nur einem rennfreien Sonntag geht es jetzt mit zweimal Silverstone und einmal Barcelona weiter; und nach wieder nur einer Woche Pause folgen dann Spa, Monza und Mugello innerhalb von drei Wochen.

Silverstone: Vorteil für McLaren & Co.

Silverstone, sagt Seidl, "ist für die britischen Teams nicht so schlimm wie für die anderen, weil wir da zumindest die Möglichkeit haben, so spät wie möglich anzukommen, mit einer kurzen Anreise, und weil wir dazwischen Pause machen können". Nur: Ihre "Blase" dürfen die Mitarbeiter der Teams streng genommen auch im Heimatland nicht verlassen, wenn sie die Vorschriften der Formel 1 ernst nehmen.

Seidl nimmt die Sorgen seines Teams ernst, bittet es aber gleichzeitig um Solidarität: "Angesichts der besonderen Umstände in dieser Saison ist dieses Jahr etwas, was wir einfach irgendwie überstehen müssen. Gleichzeitig möchte ich aber klar sagen, dass das nicht unser Standard für die nächsten Jahre werden darf", betont er.


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"Wir versuchen natürlich alles, dem Team das Reisen und die Unterbringung in den Hotels so angenehm wie möglich zu gestalten. Aber jeder versteht, dass 2020 eine besondere Saison ist, mit diesem Ausbruch des Coronavirus. Es ist für das Überleben der Teams zwingend notwendig, dass wir all diese Rennen fahren."

Denn die Einnahmen aus den Rennen, die doch stattfinden können, bleiben nicht nur bei Rechteinhaber Liberty Media hängen, sondern werden nach einem komplexen Schlüssel auch unter den zehn Teams aufgeteilt. Von denen sind einige akut von der Insolvenz bedroht. Die Mechaniker müssen die Belastungen demnach zähneknirschend hinnehmen, wenn sie auch 2021 noch einen Job haben wollen.

"Wir müssen als Team zusammenhalten, wenn wir diese Krise auf finanzieller Seite bestmöglich überstehen wollen", appelliert Seidl. Er weiß, wovon er spricht: McLaren musste kürzlich schon 1.200 Mitarbeiter entlassen. 70 davon haben innerhalb der McLaren-Gruppe für das Formel-1-Team gearbeitet.

Anders als Mechaniker, Ingenieure, Journalisten, Fotografen oder auch Mitarbeiter der Organisation ist der Job für die Fahrer im Wesentlichen auf Donnerstagnachmittag bis Sonntag beschränkt. "Für uns ist es nicht so schlimm", sagt etwa Lando Norris. "Im Vergleich zu den Mechanikern und Ingenieuren arbeiten wir ja am allerwenigsten."

Norris: Formel-1-Fahrer hilft den Mechanikern

Der McLaren-Pilot sammelte am Ende des ersten "Triple-Headers" viele Sympathiepunkte, als er, statt Netflix zu gucken und dabei zu entspannen, am Sonntag nach dem Grand Prix von Ungarn den Schraubenschlüssel in die Hand nahm und seine Mechaniker dabei unterstützte, sein Auto auseinanderzunehmen und reisefertig zu verpacken.

"Wir müssen schon schauen, dass wir die Leute nicht überfordern", findet Norris. "Vor allem die Mechaniker, die zum Beispiel auch die Boxenstopps machen, denn die haben großen Einfluss auf die Performance im Rennen. Bei einem Boxenstopp kannst du Positionen gewinnen oder verlieren. Für mich ist das alles okay. Aber auf die Jungs müssen wir echt achten."

Der sechsmalige Weltmeister Lewis Hamilton konnte beim ersten "Triple-Header" der Saison noch "kein Problem" feststellen, wie er sagt. Aber: "Ich kann schon sehen, wie das bei den nächsten Back-to-Backs, die da noch kommen, ein Thema wird."

"Die Männer und Frauen im Team reden selten über ihre Gefühle und kanalisieren das normalerweise in Arbeit. So ticken wir halt. Normalerweise hörst du niemanden, der sich beschwert. Aber wir müssen das im Zaum halten. Ich hoffe, dass das dieses Jahr eine einmalige Sache bleibt. Ich drücke die Daumen", so der Mercedes-Fahrer.

Die Formel 1 hat auf die ersten Klagen übrigens schon reagiert. Beim Imola-Wochenende (Rennen am 1. November) wurde das Freitagstraining gestrichen; gefahren wird nur am Samstag und Sonntag. Das ist möglicherweise ein Test für die Zukunft, denn aus Profitgründen möchte Liberty Media den Kalender auf bis zu 25 Rennen aufstocken und dafür im Gegenzug die Wochenenden verkürzen.

Für Seidl ist das aber nicht die Antwort: "Solange die Jungs genauso lang von zu Hause weg sind, ist die Arbeit an der Strecke nicht das größte Problem", unterstreicht er. "Die größte Challenge ist, dass sie so lange von Frauen und Kindern getrennt sind. Ob wir am Freitag Training fahren oder nicht, hat darauf aber keinen Einfluss, denke ich."

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