Oscar Piastri: Warum es mit Norris keine Senna-Prost-Situation geben wird
Ein Jahr nach seinem kontroversen Debütsieg kehrt Oscar Piastri als WM-Leader zurück nach Ungarn: Er glaubt nicht, dass McLaren ein zweites 1989 erleben wird
(Motorsport-Total.com) - Als Oscar Piastri vor einem Jahr zum Hungaroring reiste, hatte er noch keinen einzigen Formel-1-Sieg auf dem Konto. In Budapest gewann der derzeitige WM-Führende seinen allerersten Grand Prix unter kontroversen Umständen, denn Teamkollege Lando Norris konnte erst nach langen Diskussionen davon überzeugt werden, die Führung freiwillig herzuschenken, die er durch einen früheren Boxenstopp erbte.
"Ich denke, es hat den guten Teamgeist unterstrichen", erinnert sich Piastri zurück. "Es war natürlich eine etwas unangenehme Situation, aber sie hat gezeigt, dass wir unter allen Umständen das Richtige tun, wenn wir auf der Strecke sind. Es hat das Vertrauen gezeigt, das wir ins Team und auch zueinander haben - und dass die Dinge immer wieder ins Lot gebracht werden."
Zwölf Monate später ist die Situation aber eine komplett andere: Mittlerweile steht Piastri bei acht Siegen, und er hat die Führung in der Weltmeisterschaft inne. Der einzige, der ihm den Titel 2025 noch wegnehmen kann, ist Norris, der nur 16 Punkte hinter ihm liegt - alle anderen scheinen schon zu weit weg zu sein.
"Ich denke, ja", antwortet er auf die Frage, ob die WM mittlerweile ein Zweikampf zwischen ihm und Norris sei. "Klar ist: Lando und ich sitzen im gleichen Auto, das ist das beste - also ist er logischerweise meine engste Konkurrenz."
Dementsprechend wäre es vermutlich unwahrscheinlich, dass Norris Piastri in diesem Jahr in einer ähnlichen Situation wie vor zwölf Monaten wieder vorbeilassen würde. Wie hart gekämpft wird, konnte man unter anderem in Kanada sehen, als es zur teaminternen Kollision gekommen war, als Norris seinem Teamkollegen aufgefahren war.
Warum es nicht wie Prost vs. Senna wird
Damals gab es keine Streitigkeiten, weil Norris die Hand hob und den Vorfall auf seine Kappe nahm. Doch Spannungen könnten nur eine Frage der Zeit sein, das hat die Historie der Formel 1 bei teaminternen WM-Duellen gut gezeigt. Aus guten Freunden wurden Feinde, da muss man nur einmal bei Nico Rosberg und Lewis Hamilton nachfragen.
Bei McLaren kennt man dieses Szenario gut genug. Noch immer ist die Fehde der einstigen Kollegen Ayrton Senna und Alain Prost Ende der 80er-Jahre legendär - und ein schlechtes Vorbild für die beiden aktuellen WM-Anwärter.
Halbzeitmeister, die am Ende der Saison kein Formel-1-Weltmeister wurden
Peter Collins (Ferrari) ist in der Formel-1-Saison 1956 der erste Halbzeitmeister, der am Ende trotzdem nicht Formel-1-Weltmeister wird. Den WM-Titel schnappt sich Teamkollege Juan Manuel Fangio. Der junge Collins überlässt dem Argentinier beim letzten Rennen in Italien sein Auto - und damit auch den Titel. Fotostrecke
"Jeder kennt die Geschichte von Senna und Prost und diese Rivalität - und auch andere Rivalitäten außerhalb von McLaren", sagt Piastri. Dennoch sei das intern überhaupt kein Thema und kam auch beim Erstellen der sogenannten Papaya-Regeln nicht zur Sprache.
"Man braucht gar kein konkretes Beispiel, um die Kultur zu schaffen, die wir aktuell im Team haben", betont er. "Wir sind uns beide sehr bewusst, dass wir diese Chance - dieses Auto, dieses Team in dieser Position - möglichst lange erhalten wollen."
"Das Beste, was wir als Fahrer tun können, abgesehen vom Schnellfahren, ist, dem Team gute Stimmung und Selbstvertrauen zu geben und ein gutes Umfeld zu schaffen. Das ist für uns in diesem Jahr - und auch in Zukunft - extrem wichtig", betont er. "Wir alle wissen, wie es schiefgehen kann, aber wir haben viele Gründe, dafür zu sorgen, dass es nicht schiefläuft."
Norris: Wer weniger Fehler macht, wird Weltmeister
Im Team dürfte man hoffen, dass das WM-Duell sauber auf der Strecke ausgetragen wird. Der Vorteil liegt aktuell bei Piastri, allerdings sind noch elf Rennen (und drei Sprints) zu fahren und der Vorsprung beträgt gerade einmal 16 Zähler.
Norris hatte sich zuletzt mit Siegen in Österreich und Großbritannien wieder herangerobbt, allerdings in Belgien am vergangenen Wochenende trotz der Poleposition wieder Boden verloren.
Er weiß, was im weiteren Saisonverlauf den Unterschied machen wird: "Ich denke, es wird darauf ankommen, wer die wenigsten Fehler macht - mehr als auf alles andere", sagt er. "Es geht nicht unbedingt darum, wer am schnellsten ist oder besser überholt oder besser Rennen fährt. Ich habe meine Stärken, er hat seine. Aber es kommt wirklich darauf an, wer weniger Fehler macht."
Das gilt gerade bei dem Fakt, dass McLaren das stärkste Auto hat und man - wie in den letzten drei Rennen - meistens als Erster und Zweiter ins Ziel kommt. Ein Fehler und ein stärkerer Platzverlust können da kostspielig sein.
Gerade das Qualifying ist in dieser Hinsicht entscheidend: "Wenn du in der ersten Kurve vorne bleibst, kannst du meist vorne bleiben. Es gab bisher nicht viele Rennen, in denen sich die Positionen verändert haben", sagt er. "Daher: Wer macht die wenigsten Fehler - darauf wird es ankommen."
Norris: Manchmal reichen auch 95 Prozent
Das Qualifying war bislang ziemlich ausgeglichen zwischen beiden: 7:6 steht es dort aus Sicht von Piastri und immer wieder wechselt es hin und her, wer die Nase vorn hat. Gerade zu Saisonbeginn hatte Norris hierbei noch ein paar Probleme und schlechte Qualifyings hingelegt - etwa die sechsten Plätze im China-Sprint, in Bahrain oder Platz zehn in Dschidda.
Die Fehler von Lando Norris im WM-Kampf 2025
Der Crash mit seinem Teamkollegen Oscar Piastri in Kanada ist bislang der negative Höhepunkt einer Saison, in die Lando Norris eigentlich als WM-Favorit gestartet ist. Doch will der Brite den Titel am Jahresende auch wirklich gewinnen, wird er seine Fehlerquote reduzieren müssen. Wir liefern eine Übersicht über seine bisherigen Pannen. Fotostrecke
Piastri startete hingegen nur in einem Rennen nicht aus den Top 3, doch Norris hat sich zuletzt gefangen. "Einige meiner Fehler am Anfang der Saison kamen daher, dass ich versucht habe, bei 101 Prozent zu fahren", gibt der Brite zu. "Manchmal ist das fantastisch. Das ist dann das Maximum dessen, was ich - und, wie ich glaube, auch ein Fahrer allgemein - erreichen kann."
"Aber manchmal hätte es gereicht, mit 95 oder 90 Prozent zu fahren - und trotzdem auf Pole oder P2 zu stehen", sagt er. "Ich bereue es etwas, dass ich zu Saisonbeginn zu perfekt sein wollte. Inzwischen akzeptiere ich manchmal auch eine 95-Prozent-Runde - und die reicht immer noch."
Piastri: So habe ich mich in zwölf Monaten verändert
Ob es aber auch reicht, um am Saisonende gegen Piastri zu bestehen, das wird sich zeigen. Denn in den vergangenen zwölf Monaten seit seinem ersten Sieg hat sich beim WM-Spitzenreiter einiges getan.
"Ich habe mich in vielen Bereichen ein bisschen weiterentwickelt", betont dieser. "Letztes Jahr hatte ich schon ein paar sehr starke Wochenenden, an denen ich dachte, ich könnte Rennen gewinnen. Aber dazwischen gab es viele durchschnittliche oder auch schlechte Tage."
"Dieses Jahr habe ich viel mehr gute Tage. Ich habe mich als Fahrer weiterentwickelt, aber ich kann auch viel öfter das abrufen, was ich für mein eigentliches Potenzial halte", sagt er. "Das war der größte Unterschied. Es kam nicht von einer bestimmten Sache - es ging darum, auf viele Dinge zu schauen. Und jetzt kann ich häufiger meine beste Leistung abrufen - das macht den Unterschied aus."