Lando Norris: "War nie hart zu anderen, immer nur zu mir selbst"
Zwischen Selbstkritik und Siegesambition: Lando Norris ringt mit sich selbst, seinem Auto und der Öffentlichkeit - Wie McLaren seinen Star unterstützt
(Motorsport-Total.com) - "Manchmal habe ich Ausreden für Dinge. Ich bin nie stolz darauf, sie zu benutzen - und in 95 Prozent der Fälle denke ich, dass ich es besser hätte machen können, egal worum es ging." Diese Worte von Lando Norris hallen nach.
Sie stammen aus einem Interview auf der offiziellen Website der Formel 1, das vor dem Grand Prix von Japan geführt wurde, und haben seitdem an Bedeutung gewonnen, wenn man die turbulenten Ereignisse bedenkt, die seither eingetreten sind. Drei Grands Prix, drei auffällige Versäumnisse, die maximal möglichen Punkte einzufahren.
Es passt völlig zu der Haltung dieses bekennenden Introvertierten, dass er sich in einem Zustand ständiger Selbstreflexion befindet und sich an die Spitze der Reihe seiner vielen Kritiker stellt, um als Erster seine vermeintlichen Schwächen zu analysieren.
Manche halten diese Neigung zur Selbstkritik für eine Schwäche - aber für Spitzensportler zählt nur, was funktioniert. Und herauszufinden, was funktioniert, ist Teil der Reise.
Fahrer, die vor ihrem 20. Lebensjahr in die Formel 1 kommen, verbringen einen Großteil ihrer prägenden Jahre in der Öffentlichkeit - mit all dem Druck, der Beobachtung und den Ablenkungen durch allerlei Mitläufer. Jenson Button zum Beispiel befand sich bereits in seiner siebten Saison, als er seinen ersten Sieg errang - und weitere zweieinhalb Jahre vergingen ohne einen weiteren, bis er 2009 seine große Chance nutzte.
Button war 20 Jahre alt, als er 2000 in Australien sein Formel-1-Debüt gab. Damals war er der jüngste britische Fahrer, der je an einem Grand Prix teilnahm, und Gegenstand riesiger medialer Begeisterung - es war noch die Ära des "New Lad".
Er zierte nicht nur die Titelseiten von Motorsportmagazinen, sondern auch von Männerzeitschriften und natürlich der Boulevardpresse. Er genoss den Ruhm sichtlich - nur um später bitter zu lernen, dass sich öffentliche Bewunderung in atemberaubender Geschwindigkeit in Ablehnung verwandeln kann, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden.
Wie Lando Norris in den Fokus geriet
Norris' Karriere verlief etwas anders: Er kam als einer von mehreren britischen Fahrern in die Formel 1 und musste daher nicht die Hoffnung einer ganzen Nation tragen, während er mit einer Reihe unkonkurrenzfähiger Autos zu kämpfen hatte.
Doch mittlerweile haben sich die Erwartungen verschoben: Die Formel 1 ist durch den sogenannten "Netflix-Effekt" globaler denn je geworden, das Profil und die Anziehungskraft der Fahrer weniger national geprägt. Zudem erzielte Norris im vergangenen Jahr in Miami seinen ersten Grand-Prix-Sieg - vor dem Hintergrund wachsender Ermüdung durch eine lange Phase der Dominanz von Red Bull und Max Verstappen.
Plötzlich fand er sich in der Rolle eines Titelanwärters wieder - etwas, das sogar sein eigenes Team überraschte, denn es dauerte, bis man sich geschlossen hinter ihn stellte.
Ist Piastri jetzt WM-Favorit, Hans-Joachim Stuck?
"Strietzel" Stuck ist immer für einen flotten Spruch gut: Oscar Piastri, McLarens Bahrain-Sieger 2025, sei "eine coole Sau", sagt er. Weitere Formel-1-Videos
Nun hat McLaren messbar das schnellste Auto im Feld, wenn auch mit Eigenheiten, die es gelegentlich schwer machen, das volle Potenzial abzurufen - wobei diese sich längst nicht als so tückisch wie jene des Red Bull RB21 erwiesen haben.
Während Norris im Renntrimm seinem Teamkollegen Oscar Piastri oft überlegen ist, hat er mit der perfekten Qualifying-Runde Schwierigkeiten - in einer Saison, in der die Unterschiede zwischen den Spitzenautos auf eine Runde so gering sind wie nie.
McLaren-CEO Zak Brown erklärt dazu: "Es geht wirklich nur um Q3. Er muss nicht schneller fahren - er ist mehr als schnell genug -, aber in den letzten paar Rennen hat er in Q3 wirklich übertrieben. Er muss es einfach ein bisschen mehr auf sich zukommen lassen. Er hat das Auto, er hat das Talent."
"Vielleicht sollte er einfach versuchen, es ein kleines bisschen weniger zu erzwingen. Aber er ist großartig. Er hat schon viele Poles geholt, also freue ich mich auf Miami."
Auch McLaren-Teamchef Andrea Stella sieht es ähnlich. "Er zeigt, dass sein Rennhandwerk absolut brillant ist", sagt er über Norris. "Und wie er selbst bereits sagte - wir müssen nur die Samstage noch etwas polieren, dann werden wir unseren Spaß haben."
Auch Verstappen musste erst wachsen
Doch Norris' öffentlichkeitswirksame Patzer und seine anschließende Selbstgeißelung liefern naturgemäß reichlich Munition für jene Kritiker, die seine emotionale Offenheit als Affront gegen ihr Männlichkeitsverständnis empfinden.
Das ist interessant, bedenkt man, dass auch Verstappen - der mit nur 17 Jahren in die Formel 1 kam - auf dem Weg zur Größe viele Fehler machte. Der Lauf der Zeit und vier Weltmeistertitel lassen diese jedoch im Rückspiegel sehr klein erscheinen.
Kaum mehr zu glauben, aber in Ungarn 2017 entschuldigte sich Verstappen öffentlich bei seinem damaligen Teamkollegen Daniel Ricciardo, weil er ihn in der ersten Runde abgeräumt hatte. Ein Jahr später war das Bild weniger klar - zumindest aus Sicht der Teamführung -, als Max in Baku beide Red Bulls aus dem Rennen nahm.
Beim US-Grand-Prix 2017 zählte Verstappen selbstkritisch seine Fehler im Qualifying gegenüber den TV-Teams auf und bezeichnete es als sein schlechtestes des Jahres. In Monaco 2018 vergoss er laut Helmut Marko Tränen, nachdem er am Ausgang des Swimmingpool-Komplexes die rechte Vorderradaufhängung beschädigte - der Schaden kostete ihn die Teilnahme an einem Qualifying, in dem Ricciardo die Pole holte.
Fotostrecke: Vom Bubi zum Weltmeister: Die Formel-1-Karriere des Max Verstappen
Von null auf Weltmeister in wenigen Jahren: Max Verstappens Motorsport-Laufbahn ist eine Karriere auf der Überholspur. Fotostrecke
Das war nur einer von mehreren chaotischen Momenten zu Beginn der Saison 2018 - darunter der Baku-Crash, Rangeleien mit Lewis Hamilton und Sebastian Vettel in Bahrain und China sowie ein teurer Dreher in Australien. Heute alles längst Geschichte, aber wenn man zurückblickt im Kontext durchaus lehrreich.
"Ich war immer sehr hart zu mir selbst", sagt Norris bei formula1.com, "weil ich nie hart zu anderen war ... Ich war nie hart zu meinem Team, meinen Mechanikern, dem Auto oder dem Set-up. Ich habe immer zuerst an mir gearbeitet, anstatt jemand anderem die Schuld zu geben - und das hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin."
"Ich denke, diese Denkweise hat Vor- und Nachteile. Vieles davon ist gut, weil es mich dazu bringt, an mir selbst zu arbeiten, und ich denke, ich bin sehr gut darin, mich selbst zu verstehen und herauszufinden, warum etwas gut oder schlecht war."
"Aber es gibt auch die Kehrseite, dass man manchmal zu negativ zu sich selbst ist und in diese schlechte Welt abrutscht", gesteht der McLaren-Pilot selbstreflektierend.
Ähnliche Probleme, andere Sichtweisen
Faszinierend am Duell Verstappen gegen Norris - abgesehen von einem Duell gegen Piastri - ist, wie sehr sich ihre Herausforderungen überschneiden, während ihre unterschiedlichen Denkweisen eine ganz andere Sicht auf die Situation mit sich bringen.
Für Verstappen ist das Auto das Problem - das Team muss es verbessern. Red Bull spricht von Problemen bei der Korrelation der Simulationsdaten, und diese Unsicherheit spiegelt sich in der schwankenden Performance des RB21 je nach Strecke und Bedingungen wider. Max' Sichtweise ist daher nachvollziehbar.
Der MCL39 ist von Strecke zu Strecke konstanter, hat aber ebenfalls Schwächen, die das Team erst beginnt zu verstehen. Norris sieht sich als Teil des Problems, da er versucht, seinen Fahrstil an die Unberechenbarkeit des Autos am Limit anzupassen - und dieser Denkprozess führt zu kostspieliger Trägheit in seinen Lenkbewegungen.
Wie Teamchef Andrea Stella nach dem Grand Prix von Saudi-Arabien erklärte - wo Norris in Q3 verunglückte und von Platz 10 starten musste -, beginnt McLaren zu verstehen, wo das Problem liegt und wie man es in den Griff bekommen kann.
"Alles war bereit für ein sehr starkes Wochenende", sagte Stella. "Aber ich denke, in Q3, als Lando versuchte, ein paar Millisekunden mehr zu holen, sehen wir, und das erkennen wir jetzt auch besser in den Daten, dass das Auto nicht so reagiert, wie er es erwartet."
"Dieses Verhalten überrascht ihn gewissermaßen. Es ist eher episodisch ... und es ist eine Episode, die, denke ich, mit einigen der Änderungen zusammenhängt, die wir am Auto vorgenommen haben. Diese haben das Auto insgesamt schneller gemacht, aber sie haben Lando auch ein Stück weit das Gefühl für die Vorhersehbarkeit genommen, sobald er das Auto ans Limit bringt", so die Analyse des McLaren-Teamchefs.
Stella zufolge hat der MCL39 zwar durch Verbesserungen in Aerodynamik und Fahrwerk sehr hohen Grip, aber der Übergang vom maximalen Grip zu Kontrollverlust ist abrupt. Diese Schärfe ließe sich vielleicht durch Weiterentwicklungen mildern - aber bis dahin müsse Norris lernen, damit zu umzugehen.
"Es gibt sehr viel Grip, und dann verschwindet er", erklärt er. "Man fährt 1 km/h schneller - und der Grip ist weg. Dieser Übergang ist ziemlich scharf, und das Feedback des Autos in Bezug auf das Verständnis dieses Limits ist relativ stumpf. Die Fahrer müssen fast raten, wie sich das Auto verhalten wird - es gibt kaum Rückmeldung."
Ob Piastri in diesem "Raten" besser ist - oder einfach nicht so verzweifelt nach diesem einen zusätzlichen km/h sucht -, will Stella naturgemäß nicht öffentlich diskutieren. Aber angesichts der Richtung, die die Saison 2025 nimmt, muss Norris dieses Thema verstehen, wenn er jene Fehler abstellen will, die ihn bisher zurückhalten.