Lando Norris: Am Montag nach Silverstone-Sieg war ich ziemlich down
Erster Heimsieg, Euphorie pur - doch nur Stunden später fällt Lando Norris in ein Loch: In Spa spricht der McLaren-Pilot über innere Leere, Golf und mentale Stärke
(Motorsport-Total.com) - Der erste Heimsieg beim Formel-1-Rennen in Silverstone hätte ein Höhepunkt in Lando Norris' Karriere sein sollen - doch die Freude hielt nur kurz. Nur zwei Wochen nach seinem Triumph in Großbritannien gibt der McLaren-Fahrer ungewöhnlich offen Einblick in seine Gefühlswelt - und überrascht mit der Aussage: "Ich war am Montag danach ziemlich down."
Ein Satz, der hängen bleibt. Und der umso bemerkenswerter wirkt, weil er in einem Sport fällt, in dem Emotionen oft der Coolness geopfert werden. Auslöser war eine Pressekonferenz des Golf-Weltranglistenersten Scottie Scheffler, der vor Kurzem öffentlich erklärte, dass selbst große Siege ihn innerlich leer zurücklassen.
Schefflers aktuelle Dominanz im Golfsport wird immer mehr mit der von Tiger Woods zu Beginn der 2000er-Jahre verglichen, doch der Amerikaner gestand vor der Open Championship - eines der prestigeträchtigsten Golfturniere des Jahres - vor etwas mehr als einer Woche: "Das ist kein erfüllendes Leben. Es ist erfüllend in dem Moment, aber nicht aus tiefstem Herzen."
Norris: Ich bewundere, dass er so ehrlich ist
"Ich mochte, was Scottie gesagt hat", erklärt Norris in Spa-Francorchamps. "Ich respektiere, dass er so ehrlich über seine Gefühle spricht. Er macht sein Ding. Und das auf einem Niveau, auf dem früher Tiger [Woods] gespielt hat - das ist unglaublich."
Norris selbst sei oft mit ähnlichen Gedanken konfrontiert. "Ich kann mich mit vielem, was er sagt, identifizieren. Das Wichtigste ist doch: Lass die Leute einfach so sein, wie sie sein wollen. Sie müssen nicht das sagen oder tun, was du erwartest."
Denn auch bei ihm habe das Hoch nach Silverstone nicht lange angehalten, so Norris. "Ich brauchte ehrlich gesagt die zwei Wochen Pause. Die erste Woche, um runterzukommen, mich zu erholen - und dann wieder neu zu fokussieren."
Denn auch wenn der Heimsieg ein Karriereziel war: "Ich habe das Gefühl, der Erfolg von Silverstone hat nichts mit dem Rennen an diesem Wochenende zu tun", sagt Norris. "Es interessiert am Ende niemanden, wer die letzten fünf oder zehn Rennen gewonnen hat. Es geht immer nur darum, wer morgen am besten ist."
Emotionale Leere als Dauerthema im Spitzensport
Was Norris beschreibt, ist kein Einzelfall. Immer mehr Athletinnen und Athleten sprechen heute offen über mentale Herausforderungen. Sei es Gymnastin Simone Biles, die 2021 aus psychischen Gründen Olympia-Finals absagte. Oder Box-Weltmeister Tyson Fury, der nach seinem größten Sieg in tiefe Depressionen stürzte.
Auch Formel-1-Weltmeister Damon Hill beschrieb in seiner Biografie das Gefühl, trotz Titelgewinns nie wirklich angekommen zu sein. Ein Muster: Der Moment des Triumphs ist intensiv - aber vergänglich. Danach kommt oft Leere, Unsicherheit oder Überforderung.
Golf, Ehrlichkeit - und eine Narbe als Erinnerung
Was für Außenstehende nach Luxusproblemen klingen mag, ist für Betroffene real. Norris jedenfalls schöpft aus Schefflers Worten Kraft - und aus dem Golfsport generell: "Ich liebe Golf, ich bin ein großer Fan. Aber ich supporte trotzdem Rory [McIlroy] am meisten - und die Briten", fügt er mit einem Grinsen hinzu.
Und auch sein leicht ramponiertes Gesicht erinnert ihn noch täglich an den historischen Moment in Silverstone. "Meine Nase heilt ganz gut. Ich habe jetzt zwei kleine Narben - aber sie sind schöne Erinnerungen", sagt Norris. "Wenn ich jemals in den Spiegel schaue und mich an etwas Großartiges erinnern will, dann reicht ein Blick auf meine Nase."
Und übrigens: Trotz seiner nachdenklichen Pressekonferenz vor den British Open, war es mal wieder Scottie Scheffler, der das Turnier am Sonntag nach vier Tagen für sich entscheiden konnte. Bei der Zeremonie danach feierte er seinen vierten Major-Titel mit seiner Frau Meredith sowie seinem einjährigen Sohn Bennett, doch angesichts seiner Aussagen es ist fraglich, wie lange das Gefühl des Triumphs anhielt.
"Es fühlt sich an, als würde man sein ganzes Leben lang arbeiten, um ein paar Minuten lang den Sieg eines Turniers zu feiern", meinte Scheffler noch vor dem Turnier. "Dieses euphorische Gefühl hält nur ein paar Minuten an. Das ist etwas, womit ich täglich zu kämpfen habe." Sätze, die wohl auch bei Lando Norris Spuren hinterlassen haben.