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Hat Silverstone den wahren Oscar Piastri gezeigt?
Sehen wir künftig einen anderen Oscar Piastri, wenn sich das Titelrennen 2025 mit McLaren-Teamkollege Lando Norris weiter zuspitzt?
(Motorsport-Total.com) - Wenn wir in die zweite Hälfte der Formel-1-Saison 2025 starten, könnte dieser seltene, aber echte Einblick in Oscar Piastris innere Wut und seinen Kampfgeist beim Großen Preis von Großbritannien ein Vorgeschmack auf ein packendes Titelduell mit Lando Norris sein.

© LAT Images
Oscar Piastri in Helm und Overall nach dem Formel-1-Rennen in Silverstone 2025 Zoom Download
Nach einer 10-Sekunden-Strafe wegen "unregelmäßigen Bremsens" hinter dem Safety-Car verlor Piastri einen sehr wahrscheinlichen Sieg an seinen Teamkollegen Norris, der damit bis auf acht Punkte in der WM-Wertung herankam.
Piastri ist dafür bekannt, an guten wie an schlechten Tagen ruhig und abgeklärt zu sein. Doch das, was er als Unrecht empfand, machte ihn sichtlich wütend.
"Ja, ich werde nicht viel sagen. Sonst bringe ich mich in Schwierigkeiten, also ... Glückwunsch an Nico Hülkenberg. Ich denke, das ist das Highlight des Tages, also ... Ja, ich belasse es dabei. Anscheinend darf man hinter dem Safety-Car nicht mehr bremsen", sagte er, während er sich spürbar zurückhielt - seine verhaltene Antwort gab nicht annähernd die innere Rage wieder, die für alle sichtbar war.
Noch deutlicher wurde sein Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, in seiner etwas eigenartigen - wenn nicht gar völlig unrealistischen - Bitte an McLaren, die Positionen wieder zurückzutauschen. Das hätte bedeutet, dass Norris seinen Traum-Heimsieg ohne eigenes Verschulden hätte abgeben müssen.
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McLaren lehnte das natürlich ab, und Piastri räumte später ein, dass er nie mit einer Zustimmung gerechnet hatte. Aber: Wer nicht fragt, der nicht gewinnt. Wie Sky-Experte Martin Brundle sagte: "Das ist das erste Mal, dass wir die wütende Seite des sonst so ruhigen, stillen australischen Assassinen gesehen haben."
Australische Härte
Dass Piastris Verhalten so diskutiert wurde, liegt jedoch nicht daran, dass er plötzlich eine neue Charakterseite entdeckt hätte, sondern daran, dass er ausnahmsweise den echten, kompromisslosen Rennfahrer zeigte, der er immer schon war.
Wer immer noch daran zweifelt, wie sehr Piastri das will, sollte nicht auf seine abgeklärten Pressekonferenzen hören, sondern auf den Weg schauen, den er bis hierhin gegangen ist.
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Mit 14 Jahren zog Piastri mit seinem Vater nach Großbritannien, um eine Karriere im Formelsport in Europa anzustreben. Nach sechs Monaten kehrte der Vater jedoch zur Familie nach Melbourne zurück, während der junge Oscar beschloss, allein zu bleiben, um seinen Traum weiterzuverfolgen.
"Mein Vater sagte: 'Ich gehe zurück nach Australien. Entweder du kommst mit mir zurück oder du bleibst hier, aber dann musst du aufs Internat'", erinnerte sich Piastri vergangenes Jahr in einem Interview mit Motorsport-Total.com. "Ich hatte Spaß am Rennfahren in Europa und wollte natürlich versuchen, meinen Traum von der Formel 1 zu verwirklichen, also wusste ich, dass ich bleiben musste."
Damit schlug Piastri denselben Weg ein wie viele Fahrer aus Australien und Neuseeland vor ihm - darunter sein Manager und Mentor Mark Webber. Es ist kein Zufall, dass Webbers persönliches Mantra "Aussie Grit" lautet - genau das braucht es für Fahrer von "Down Under", um überhaupt auf Augenhöhe mit ihren europäischen Konkurrenten zu kommen.
Dieses Opfer erklärt zumindest teilweise Piastris unerschütterlichen Fokus auf Leistung statt auf Aktivitäten abseits der Strecke - was ihm zu Unrecht das Etikett "langweilig" eingebracht hat. Doch neben seinem unbestreitbaren fahrerischen Talent ist es auch seine Fähigkeit, Rückschläge wegzustecken, die ihn jetzt in diese Position gebracht hat: im dritten Jahr um die Weltmeisterschaft zu kämpfen.
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"Ich weiß, dass ich sehr ruhig wirke, aber ich bin kein Roboter. Ich habe auch Höhen und Tiefen", sagte er. "Manche Leute sind am besten, wenn sie ein bisschen im roten Bereich sind, andere, wenn sie so entspannt wie möglich sind. Ich bin wahrscheinlich eher auf der entspannten Seite, aber es gibt definitiv auch ein Zuviel an Entspannung ..."
Seine Erklärung für seine verhaltenen Funksprüche, selbst auf der Ehrenrunde nach einem Rennsieg, ist ganz einfach: "Ja, es gibt eine Funk-Taste, aber man kann auch Dinge sagen, ohne die Taste zu drücken ..."
Piastri zieht es vor, auf der Strecke zu sprechen. Wie er in seinem harten Duell mit Verstappen in Dschidda gezeigt hat, ist er kein leichter Gegner. Und in Silverstone hat er Norris und McLaren demonstriert, wie kompromisslos er in den kommenden zwölf Rennen für seine Position kämpfen wird.
Ein Vorgeschmack auf einen McLaren-internen Titelkampf
Wenn wir also in die zweite Hälfte der Saison 2025 starten und Verstappen allmählich den Anschluss an die McLarens verliert, ist ein direktes teaminternes Duell zwischen Piastri und Norris um den WM-Titel eine äußerst reizvolle Aussicht.
Wird ihre bislang ungewöhnliche Harmonie halten, oder werden immer mehr Risse auftreten, je stärker McLarens sogenannte "Papaya-Regeln" unter Druck geraten?
McLarens Standhaftigkeit wurde bereits einige Male auf die Probe gestellt. Zuerst mit Piastris spätem Überholversuch gegen Norris beim Großen Preis von Italien 2024, der dazu führte, dass Norris eine Position an Ferraris Charles Leclerc verlor. Dann war da noch Norris' Fahrfehler in Kanada 2025, als er Piastri ins Heck fuhr.
Beide Vorfälle sind Erinnerungen daran, wie eng die Grenzen bei McLaren gesteckt sind, damit dieses faire Rad-an-Rad-Duell überhaupt möglich bleibt.
Das Team unter Zak Brown und Andrea Stella hatte es bislang relativ einfach mit seinen kooperativen Fahrern. Doch das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer bewusst aufgebauten Situation. Norris und Piastri wurden nicht nur wegen ihrer Geschwindigkeit mit langfristigen Verträgen ausgestattet, sondern auch wegen ihrer bewiesenen Fähigkeit, zusammenzuarbeiten und die Interessen des Teams an erste Stelle zu setzen.
Aber das ist in den frühen Phasen einer 24-Rennen-Saison, wenn ein Titelduell noch weit entfernt scheint und Verstappen noch als realer Titelrivale gilt, sehr viel leichter als am entscheidenden Ende der Saison - sagen wir in Las Vegas im November - wenn wirklich alles auf dem Spiel steht.
McLaren wird überzeugt sein, dass dies der erste von vielen Titelkämpfen ist. Aber mit den völlig neuen Regeln ab 2026 gibt es keine Garantie, dass sich diese Gelegenheit für einen der beiden Fahrer jemals wieder ergibt.
Werden Norris und Piastri dann immer noch das Teammantra mittragen? Oder wird die Aussicht auf den ersten WM-Titel ihres Lebens den Kampfgeist, den Piastri in Silverstone so eindrucksvoll gezeigt hat, über die Vernunft siegen lassen?