Tim Mayer als neuer FIA-Präsident? So stehen die Chancen des US-Amerikaners
Mit Tim Mayer bekommt der amtierende FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem einen Kontrahenten im Wahlkampf - Wie stehen die Chancen des US-Amerikaners?
(Motorsport-Total.com) - Mit dem US-Amerikaner Tim Mayer bekommt der amtierende FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem einen unerwarteten Herausforderer: Der 59-Jährige stellte bei einer Pressekonferenz vor dem Großen Preis von Großbritannien in Silverstone sein Wahlprogramm als Präsidentschaftskandidat vor.
Es ähnelt jenem Programm, mit dem vor vier Jahren auch der aktuelle Amtsinhaber in die Wahl gegangen war. "Mohammed bin Sulayem trat mit guten Ideen an: Mehrwert für kleinere Clubs, Transparenz, Reformen", räumt Mayer ein. "Die Botschaft stimmte, die Umsetzung ist gescheitert. Anstelle von Reformen haben wir Inszenierungen erlebt."
Mayer wirft bin Sulayem vor, dass dessen Amtszeit lediglich "die Illusion von Fortschritt" vermittle. Selbst die vielfach betonte finanzielle Erholung der FIA, ein zentrales Argument des amtierenden Präsidenten, bezeichnet er als illusorisch. Ob diese Einschätzung zutrifft, müssten letztlich allerdings die Wirtschaftsprüfer beurteilen.
Sicher ist: Obwohl sich die beiden Kandidaten gewissermaßen als Gegensätze darstellen, ist das Kräfteverhältnis zwischen ihnen alles andere als ausgewogen. Denn die Wahl des FIA-Präsidenten ist im Kern ein strategisches Zahlenspiel. Und bin Sulayem hat bislang sehr geschickt dafür gesorgt, dass die Zahlen zu seinen Gunsten sprechen.
Unterstützerliste als größte Herausforderung
Die erste Hürde für jeden Kandidaten ist die Vorlage einer Unterstützerliste mit anderen FIA-Mitgliedern, die sich ausschließlich hinter ihn stellen. Diese Liste muss einen potenziellen Präsidenten des FIA-Senats, einen Stellvertreter, sieben Vizepräsidenten für Sport sowie einen stellvertretenden Präsidenten für den Bereich Automobile, Mobilität und Tourismus umfassen.
Die Vizepräsidenten müssen aus unterschiedlichen Weltregionen stammen: zwei aus Europa, je einer aus Afrika, Asien-Pazifik, Nordamerika, Südamerika sowie dem Nahen Osten und Nordafrika. Gelingt es einem amtierenden Präsidenten, die volle Unterstützung nur einer dieser Regionen zu sichern, kann er potenzielle Gegenkandidaten bereits im Vorfeld blockieren.
Ein Beispiel: Als David Ward seine Kandidatur gegen Jean Todt im Jahr 2013 zurückzog, hatten sich bereits elf von zwölf nordamerikanischen Automobilclubs für Todt ausgesprochen. Das erwies sich letztlich als strategischer Vorteil, und das vorzeitige Aus für Ward.
Sollten die formalen Voraussetzungen aber erfüllt sein, entscheidet im zweiten Schritt die eigentliche Wahl. Die FIA zählt derzeit 245 Mitgliedsorganisationen in 149 Ländern. Jedes Land verfügt über 24 Stimmen, die sich auf Sport- und Mobilitätsclubs verteilen. Weil diese Zusammensetzung länderspezifisch unterschiedlich ist, haben manche Länder mehr Gewicht im Wahlprozess als andere.
Sainz senior als "Stalking Horse" von Mayer?
Inzwischen gilt als gesichert, dass die angebliche Kandidatur von Carlos Sainz senior nie ernst gemeint war. Vielmehr erfüllte er die Rolle eines sogenannten "Stalking Horse". Dieser Begriff stammt ursprünglich aus der Jagd und wird in der Politik verwendet, wenn eine Figur vorgeschickt wird, um verdeckt das Feld für einen anderen Kandidaten zu sondieren.
Ein bekanntes Beispiel stammt aus der britischen Politik: 1989 trat der weitgehend unbekannte Abgeordnete Anthony Meyer gegen Premierministerin Margaret Thatcher an. Zwar verlor er wie erwartet, doch genug Parteimitglieder stimmten gegen Thatcher oder enthielten sich, sodass sich eine Opposition formierte. Weniger als ein Jahr später war sie nicht mehr im Amt.
In ähnlicher Weise lässt sich Sainz' Rolle im aktuellen FIA-Wahljahr deuten. Durch seine Ankündigung, eine Kandidatur zu erwägen, testete er den Umfang der Opposition gegen die derzeitige Führung. Gleichzeitig zwang er bin Sulayem, einen Teil seiner Unterstützer offenzulegen - in Form eines Briefes, unterzeichnet von zahlreichen nationalen Automobilclubs, vorwiegend aus spanischsprachigen Ländern.
Mayer wiederum betont, dass es keinerlei Verbindung zwischen seiner Kandidatur und jener von Sainz gebe. Im Gegensatz zu Sainz hat Mayer bereits offiziell angekündigt, zu kandidieren, und ein konkretes Programm vorgestellt. Das ist ein klarer Schritt über bloße Absichtserklärungen hinaus.
Wer steht hinter Kandidat Tim Mayer?
Nun steht für Mayer der nächste Schritt an. Er muss seine Unterstützerliste vorlegen und die neuen Vorgaben erfüllen, die die FIA-Generalversammlung im Sommer beschlossen hat. Dazu gehört unter anderem ein Verfahren zur Überprüfung der "beruflichen Integrität".
Bislang hat Mayer noch keine konkreten Namen aus seinem Team öffentlich gemacht. Allerdings wird in FIA-Kreisen bereits spekuliert. Im Gespräch ist etwa Robert Reid, der frühere Rallye-Co-Pilot, der kurz vor dem diesjährigen Großen Preis von Bahrain als Vizepräsident für Sport zurückgetreten war.
Auch David Richards, Vorsitzender von Motorsport UK, der früher bin Sulayem unterstützt hatte und mittlerweile zu seinen schärfsten Kritikern zählt, wurde von Mayer bei der Pressekonferenz in Silverstone als möglicher Berater erwähnt.
"Ich habe das große Privileg, sehr hochrangige Beratung zu erhalten, was wir tun müssen," sagte Mayer. "Die Präsidentenliste... da gibt es noch ein paar offene Stellen. Wir haben versucht, diese Kampagne unter dem Radar zu halten. Wir mussten das tun."
"Im Motorsport oder in der Mobilität gibt es keine Geheimnisse, also wenn wir mit Leuten sprechen, wäre es kein Geheimnis." Mayer erwähnte außerdem die ehemalige FIA-Geschäftsführerin Natalie Robyn, die 2024 nach kurzer Zeit zurückgetreten war, und sagte, er würde sie "morgen zurückholen", wenn er könnte.
Gegenkandidat mit Kritik am FIA-Präsidenten
Bisher hat Mayer eine zentrale Rolle für alle eingenommen, die sich gegen bin Sulayem positionieren. Er formuliert klare und teilweise sehr scharfe Kritik. So bezeichnete er das aktuelle Präsidium sogar als "Schreckensherrschaft". Dieser Begriff ist bewusst gewählt und verweist auf eine besonders gewaltsame Phase der Französischen Revolution.
Interessanterweise befindet sich das Hauptquartier der FIA an der Place de la Concorde in Paris. Genau dort wurden 1793 Ludwig XVI. und Marie-Antoinette enthauptet. Doch um das entscheidende Zahlenspiel bei der Wahl zu gewinnen, wird Mayer mehr benötigen als deutliche Worte gegen den Amtsinhaber.
Ein häufig unterschätzter Aspekt ist, dass Formel 1 und Motorsport nur einen kleinen Teil des gesamten Aufgabenbereichs der FIA ausmachen. Die Mitgliedsclubs verfolgen sehr unterschiedliche Interessen und setzen eigene Schwerpunkte. Der Wahlkampf ist deshalb im Kern ein Austausch von Leistungen und Erwartungen. Die zentrale Frage lautet, was ein Präsident konkret für die Clubs tun kann oder will.
Mayer muss FIA-Mitgliedsclubs überzeugen
Genau hier liegt die größte Herausforderung für Mayer, und das weiß er auch. "Wir sind in einer Situation, in der es für die Mitgliedsclubs sehr wichtig ist, dass sie den Mehrwert sehen, dass sie sehen, dass sie einen Nutzen bekommen," sagte er.
"Um ehrlich zu sein: Mohammed war ziemlich gut darin, ihnen zu erklären, was er für sie tut," meint der gebürtige Brite. "Aber er muss es von oben bis unten tun, nicht nur hier und da für einige Mitgliedsclubs. Es muss im gesamten Verband gelten."
Was Mayer also tun muss, um die Wahl zu gewinnen, liegt auf der Hand. Er muss die Clubs davon überzeugen, dass "sie mehr Wert bekommen können, als sie im Moment bekommen". Am Ende geht es, ganz einfach gesagt, um Mathematik.