• 07. März 2024 · 16:32 Uhr

"Dirty Air": Plötzlich ist das F1-Schreckgespenst zurück

Eigentlich sollte das Problem des Hinterherfahrens mit der Regelreform 2022 Geschichte sein, doch sukzessive wurde es wieder auf den Tisch gebracht

(Motorsport-Total.com) - Es klingt wie die Rückkehr eines Zombies: "Dirty Air", mehr als ein Vierteljahrhundert lang der Schreckensbegriff schlechthin für die "Formel Langeweile", war eigentlich schon vergessen. Stattdessen wurden Formel-1-Fans im Zuge der Ground-Effect-Autos ab 2022 mit Begriffen wie "Porpoising" oder "Downwash" konfrontiert.

Foto zur News: "Dirty Air": Plötzlich ist das F1-Schreckgespenst zurück

Das Hinterherfahren ist in der Formel 1 plötzlich wieder zum Problem geworden Zoom Download

Doch nun ist das alte Schreckgespenst plötzlich wieder da. Nach dem Saisonauftakt 2024 in Bahrain klagen mehrere Fahrer über Schwierigkeiten, dem Vordermann zu folgen. Was ist passiert?

Bei den Formel-1-Boliden bis zum Jahrgang 2021 war es üblich, dass der Hintermann bis zu 50 Prozent seines Abtriebs verlor, wenn er direkt hinter einem anderen Fahrzeug fuhr.

Das Reglement 2022 schiebt dem einen Riegel vor, indem die Turbulenzen mit Hilfe des Unterbodens weiter nach oben abgeleitet werden. Zudem wird mehr Abtrieb am Unterboden erzeugt, der weniger anfällig für Turbulenzen ist. Auch der Frontflügel wurde so vereinfacht, dass er weniger anfällig für Turbulenzen ist.

Das alles führte dazu, dass die Autos 2022 nur noch 20 Prozent ihres Abtriebs verloren. Doch schon 2023 stieg dieser Wert wieder auf 35 Prozent. Beim Auftakt in Bahrain scheint es noch schwieriger geworden zu sein.

"Die Pace [von Mercedes] war so ähnlich, dass ich, sobald ich in die schmutzige Luft kam, nicht mehr genug Abtrieb hatte, um eine Chance zum Überholen zu haben oder auch nur ins DRS-Fenster zu kommen", sagte McLaren-Pilot Lando Norris nach dem Grand Prix von Bahrain.

Teams hebeln Reglement aus

Auch sein Teamchef Andrea Stella warf nach dem Rennen die Frage auf, ob es "im Laufe der Saison eine Tendenz gibt, dass mit der Verbesserung der Autos die Dirty Air zu einem Faktor wird, der das Überholen erschwert".

Die Teams haben viel getan, um das Reglement auszuhebeln. Schon bei der Form der Seitenkästen wurde das ursprüngliche "Inwash"-Konzept verschiedener Arbeitsgruppen des Automobil-Weltverbandes FIA schnell abgelöst - sei es durch das gescheiterte "Zeropods"-Konzept von Mercedes oder die zum neuen Standard gewordene "Downwash"-Lösung von Red Bull.

Auch am Frontflügel fanden die Teams kreative Lösungen, um gezielt Luftwirbel zu erzeugen, die mit anderen Wirbeln im weiteren Fahrzeugverlauf interagieren. Mercedes hob dies mit seinem revolutionären Flügel am W15 auf ein neues Niveau. Insgesamt wurde der Frontflügel mit zunehmender Komplexität wieder anfälliger für Luftverwirbelungen.

Und schließlich haben die Teams einen kreativen Weg gefunden, das obere Blatt des Heckflügels freizulegen. Die abgerundeten Ecken des Heckflügels, die die Luftverwirbelungen zerstreuen sollten, sind verschwunden. Durch das freistehende Oberblatt können Verwirbelungen gezielt hinter den Heckflügel gelenkt werden, was sich wiederum negativ auf das nachfolgende Fahrzeug auswirkt.

Das Motorsport Network, zu dem Motorsport-Total.com gehört, hat im Vorfeld des Grand Prix von Saudi-Arabien mehrere Fahrer gefragt, wie sie das wieder aufflammende Problem wahrnehmen.

Sauber-Pilot Guanyu Zhou: "Ich stimme dem voll und ganz zu, denn ich denke, dass die Teams jedes Jahr den Abtrieb insgesamt erhöhen und es dadurch schwieriger wird, hinter anderen Autos herzufahren."


Fotos: F1: Grand Prix von Saudi-Arabien (Dschidda) 2024


"Ich glaube nicht, dass die Teams das extra machen. Es wird nur mit dieser Generation von Autos immer schwieriger für alle, wenn alle Autos innerhalb einer Zehntel liegen. Man muss mehr als 0,8 Sekunden schneller sein als der Vordermann, um im Rennen etwas ausrichten zu können."

George Russell (Mercedes) sieht darin den natürlichen Lauf der Dinge: "Es bleibt entweder gleich oder wird etwas schlechter. Ich würde nicht sagen, dass es leichter wird. Aber ich denke, das ist ganz natürlich, weil wir uns alle immer weiter vom ursprünglichen Reglement entfernen."

Haas-Pilot Nico Hülkenberg "sieht das ähnlich", fügt aber hinzu, dass es wohl auf das Auto ankomme: "Einige Autos kommen damit besser klar als andere. [Es] wird definitiv nicht besser, vielleicht sogar etwas schlechter."

"Aber es hängt auch davon ab, ob man mehrere Autos vor sich hat, zwei oder drei, das macht es schlimmer als nur eins. Es spielen also mehrere Faktoren eine Rolle."

Liegt es an anderen Faktoren?

Nur Charles Leclerc ist anderer Meinung und spricht von einer möglichen Schwäche Ferraris im Jahr 2023: "Ich habe das gehört. Ich weiß nicht, ob das Teil der Verbesserungen ist, die wir im Vergleich zum Vorjahr gemacht haben. Es war Teil der Charakteristik, die unser [2023er] Auto sehr schwierig zu fahren machte. Aber in diesem Jahr ist es für uns etwas einfacher, [mit den anderen Autos] mitzufahren."

Und auch Norris hält es trotz seiner Probleme in Bahrain für verfrüht, Alarm zu schlagen. "Wir sollten erst einmal durchatmen und abwarten, was in den nächsten zwei bis fünf Rennen passiert, bevor wir irgendwelche Vermutungen anstellen. Ein halbes Zehntel oder ein Zehntel schneller reicht jedenfalls bei weitem nicht aus, um jemanden mit DRS zu überholen."

"Und die Abstände zwischen den Autos sind kleiner geworden. Das macht es schwieriger, einen Überschuss aufzubauen, und damit wird auch das Racing schwieriger. Nicht unbedingt, weil das Überholen schwieriger geworden ist, sondern weil die Abstände zwischen den Autos kleiner sind als in den vergangenen Jahren."

Foto zur News: "Dirty Air": Plötzlich ist das F1-Schreckgespenst zurück

Der Mercedes W15 treibt die Komplexität des Frontflügels in neue Sphären Zoom Download

Bahrain gilt zwar nicht grundsätzlich als überholfeindliche Strecke, doch Red-Bull-Pilot Sergio Perez weist darauf hin, dass der Bahrain International Circuit über einen sehr reifenmordenden Asphalt verfügt und daher das Reifenmanagement eine wichtige Rolle spielt. Das wiederum bedeutet, dass die Fahrer bewusst einen gewissen Abstand zum Vordermann einhalten, um ihre Reifen nicht zu ruinieren.

"In Bahrain wird das offensichtlich übertrieben", sagt er. "Es wird also interessant sein zu sehen, was in Dschidda passiert. Ich denke, das Rennen wird viel enger sein und es wird interessant."

Ein neues Reglement wird in der Formel 1 im Jahr 2026 in kraft treten. Dann dürfte ein erneuter Versuch unternommen werden, das Hinterherfahren zu verbessern - und das langfristig.

Fotos & Fotostrecken
Foto zur News: Fahrer, die in einer Saison für mehrere Teams gefahren sind
Fahrer, die in einer Saison für mehrere Teams gefahren sind
Foto zur News: Pirelli-Reifentests in Fiorano 2024
Pirelli-Reifentests in Fiorano 2024

Foto zur News: Miami: Die Fahrernoten von Marc Surer und der Redaktion
Miami: Die Fahrernoten von Marc Surer und der Redaktion

Foto zur News: Alle Sieger von Sprintrennen in der Formel 1
Alle Sieger von Sprintrennen in der Formel 1

Foto zur News: F1: Grand Prix von Miami 2024
F1: Grand Prix von Miami 2024
Sonntag
Folge Formel1.de
formel-1-countdown
Anzeige Unser Formel-1-Shop bietet Original-Merchandise von Ferrari Racing Teams und Fahrern - Kappen, Shirts, Modellautos und Helme von Charles Leclerc und Carlos Sainz