• 22. Juli 2023 · 15:39 Uhr

Regenrennen: Warum die Suche nach einem Spritzschutz so komplex ist

Die FIA hat in Silverstone jüngst neue Schutzbleche getestet - Diese haben die Sicht der Piloten zwar kaum verbessert, laut Nicolas Tombazis war der Test dennoch gut

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 hat mit einem Test in Silverstone einige Tage nach dem Großen Preis von Großbritannien einen Schritt getan, um sicherzustellen, dass Rennen in Zukunft nicht mehr nassem Wetter zum Opfer fallen.

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So oder so ähnlich könnten die Schutzbleche in der Praxis aussehen Zoom Download

Leider war der erste Einsatz des Prototyps der Radabdeckungen beziehungsweise des Spritzschutzes ("spray guards"), wie er von einigen inoffiziell genannt wird, auf der Rennstrecke nicht sofort ein Erfolg.

Als erster Schritt und im Hinblick auf das Sammeln von Daten und die Korrelation war es dennoch eine nützlicher Test und bot der FIA zumindest einen Ausgangspunkt, um ein Problem anzugehen, das durch den Großen Preis von Belgien 2021 in den Fokus gerückt wurde.

"Natürlich wäre es optimal gewesen, wenn sich alles perfekt bestätigt hätte und wir schon im Oktober oder so eine Lösung hätten, die wir anwenden könnten", sagt Nicolas Tombazis, Formelsport-Leiter der FIA.

"Aber das war nicht der Fall", gesteht er und betont: "Wir sind fest entschlossen, dieses System zum Laufen zu bringen, denn wir sind der Meinung, dass es früher oder später den Unterschied ausmachen wird, ob ein Rennen abgesagt wird oder ob es stattfindet."

"Und ich denke, wenn [das System] während seiner Lebensdauer ein Rennen und 100.000 Menschen vor einer Situation wie in Spa 2021 bewahrt, wenn es auch nur einmal einen Unterschied macht, dann ist es das wert", so Tombazis.

So lief der Test in Silverstone ab

Das umstrittene Rennen in Belgien und der Anblick, wie die Autos hinter dem Safety-Car herfuhren und ein Ergebnis ohne echtes Rennen verkündet wurde, haben die Bemühungen um eine Reduzierung der Gischt und eine bessere Sichtbarkeit beflügelt.

Ziel war es, etwas zu schaffen, das an den Formel-1-Autos angebracht werden kann, wenn der Regen so stark ist, dass ein Fahren unter normalen Umständen nicht möglich wäre.

Es war viel Arbeit nötig, um die Teile zu entwickeln, die in Silverstone getestet wurden. Die Prototypen bestehen im Wesentlichen aus zwei Teilen, wobei die Oberseite jedes Rads mit einem Schutzblech abgedeckt ist.

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Von vorne würde das spezielle Regenpaket kaum auffallen Zoom Download

Ein zweites Element, das ein wenig wie ein seitliches Bargeboard aussieht, ist in Bodennähe angebracht. Die gesamte Anordnung ist an der Aufhängung befestigt und bewegt sich daher mit dem Rad.

Für den Test hat Mercedes einen W14 modifiziert, den Mick Schumacher auf einem künstlich bewässerten Abschnitt in Silverstone mit der neuen Vorrichtung gefahren ist. Oscar Piastri von McLaren lieferte eine Referenz dafür, wie viel Gischt ein normales Auto produziert, während er dem Mercedes folgte und Feedback zu den Auswirkungen auf die Sicht gab.

Der Hauptzweck des Tests bestand darin, Daten darüber zu sammeln, wie sich Wasser verhält, wenn es hinter einem Formel-1-Auto aufgewirbelt wird, und dem Aerodynamik-Team der FIA dabei zu helfen, diese Informationen aus der Praxis mit ihrer Forschung in Einklang zu bringen.

Warum die Simulationen so schwierig ist

FIA-Aerodynamikchef Jason Sommerville und seine Kollegen standen vor einer interessanten Herausforderung, denn die Modellierung von Wassertropfen ist nicht einfach.

Modelle, die für den Einsatz in Straßenfahrzeugen entwickelt wurden - wie sich Regen zum Beispiel um Spiegel herum verhält - boten einen nützlichen Ausgangspunkt. Dennoch war es keine einfache Aufgabe, wie Tombazis erklärt.

"Nachdem wir Ende vergangenen Jahres mit diesem Projekt begonnen und eine ganze Reihe von CFD-Simulationen durchgeführt hatten, wurde uns schnell klar, dass es nicht so simpel ist, einfach etwas auf das Auto zu strecken, loszulegen und fertig", sagt er.

"Erstens sind CFD-Simulationen ziemlich kompliziert, weil man auch die Wasserpartikel simulieren muss. Zweitens ist die Physik bei Wassertröpfchen in einem Strömungsfeld ziemlich kompliziert", betont Tombazis.

"Und selbst dann braucht man eine Korrelation, denn wir wissen nicht genau, wie viel Wasser vom Boden gesaugt wird und wie viel von den Reifen weggeschleudert wird. Und man weiß zum Beispiel auch nicht genau, welchen Durchmesser die kleinen Tröpfchen haben. Die Simulation wird also schnell ziemlich kompliziert. Deshalb brauchten wir eine Korrelation."

Die große Herausforderung bestand darin, ein System zu entwickeln, das in der Formel 1 funktioniert, die Aerodynamik möglichst wenig beeinträchtigt und auch bei hohen Geschwindigkeiten sicher am Auto befestigt bleibt.

Deshalb war der Silverstone-Prototyp kein Erfolg

"Wir wollten nicht zu viel Performance der Autos verlieren und die Aerodynamik zu sehr beeinträchtigen", sagt Tombazis und erklärt: "Teilweise ist das unvermeidlich." Außerdem müsse "ihre Halterung an der Aufhängung ziemlich robust sein, damit sie bei 300 km/h nicht wegfliegen", erklärt Tombazis, der zugibt, dass die Prototypen aus Silverstone die Gischt nicht sonderlich reduziert haben.

"Die verwendeten Vorrichtungen waren relativ klein, sie bedeckten nur kleine Teile der Räder", sagt er und verrät: "Ich persönlich war nicht sehr zuversichtlich, dass sie funktionieren würden. Ich habe mir überlegt, ob die Abdeckung ausreicht. Wird es eine ausreichende Wirkung haben?"

"Und wie sich herausstellte, haben sie keinen spürbaren Unterschied gemacht. Aber wir haben eine Menge Korrelationen und eine Menge Daten gewonnen, die wir nun mit größerer Sicherheit zueinander in Beziehung setzen können. Ich denke also, es war ein nützlicher erster Test", betont er.


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"Wir waren den Teams sehr dankbar, die mit uns daran gearbeitet haben. Wir haben auch bewiesen, dass unser Set-up an der Strecke recht gut funktioniert, denn es ist nicht so einfach, wie man Dinge misst. Wir hatten also eine vernünftige Möglichkeit, die Sache zu beurteilen."

Er stellt aber auch klar: "Wir sind noch nicht so weit mit der Konfiguration. Und wir müssen es einfach noch einmal versuchen. Nicht viele technische Projekte funktionieren auf Anhieb perfekt. Also müssen wir einfach noch ein bisschen mehr arbeiten."

"Es liegt noch immer ein großer Teil des Reifens frei", erklärt er und betont: "Wir haben das Konzept eindeutig nicht bestätigt, aber ich denke auch nicht, dass dies genug ist, um zu sagen, dass es nicht funktioniert."

System dürfte keine Schlupflöcher ermöglichen

Ein komplizierter Aspekt ist die Bewertung der vom Diffusor erzeugten Gischt. Denn darauf haben die Radabdeckungen keinen Einfluss. "Es ist ein dazugehörendes Problem, das mit Diffusoren zu tun hat", sagt Tombazis.

"Aber im Großen und Ganzen haben Sportwagen dieses Problem weniger. Ich bin also optimistisch, dass wir eine Chance haben. Aber wie ich schon sagte, müssen wir das Forschungs- und Entwicklungsprogramm fortsetzen, bis wir es wirklich genau quantifizieren können."

Die nächste Variante wird wahrscheinlich noch einige Monate auf sich warten lassen, und einen weiteren Test wie den in Silverstone zu arrangieren, wird kein Kinderspiel sein, vor allem, weil in Singapur die Serie von Überseerennen beginnt und Teams und Autos unterwegs sind.

Wenn irgendwann ein Gerät erfolgreich erprobt und zugelassen wird, gibt es auch praktische Überlegungen. "Sobald wir etwas haben, von dem wir glauben, dass es zu einer spürbaren Reduzierung der Gischt führt, müssen wir diese Form definieren, sie als technische Vorschrift verabschieden, und darüber diskutieren", sagt Tombazis.

"Wir haben bereits ein wenig mit den Teams in der TAC-Sitzung [Technical Advisory Committee] diskutiert. Wir werden genau darüber sprechen müssen, wie die Vorschriften aussehen müssen, damit der Einbau dieses Systems obligatorisch wird. Das ist keine Raketenwissenschaft, aber man muss sich damit beschäftigen."

"Alle Autos müssten in der Lage sein, etwas von einer vorgeschriebenen Form zu montieren. Wir wollen keinen weiteren Weg für die aerodynamische Entwicklung eröffnen", so Tombazis.

Über die Formel 1 in die Nachwuchsklassen?

"Und es wäre etwas, bei dem der Rennleiter entweder vor oder während eines Rennens sagt, dass dies geschehen muss. Wenn es während des Rennens passiert, muss es natürlich eine rote Flagge geben und die Leute werden es anbringen und dann wird es weitergehen."

"Wenn es richtig konstruiert ist, dauert es nicht länger als fünf bis zehn Minuten, es zu montieren", erklärt Tombazis. Wird es in Zukunft also eine Ausschreibung geben, um die Vorrichtung als Standardteil herzustellen?

"Wir haben das nicht ausgeschlossen", sagt Tombazis und verrät: "Es ist möglich, aber wir sind nicht sicher, ob es nur ein vorgeschriebenes Design sein wird, das jeder genau so herstellen muss, oder ob es eine Ausschreibung geben wird. Wir haben uns noch nicht entschieden."

"Normalerweise, wenn es eine Ausschreibung gibt, dann würde das wahrscheinlich damit enden, dass ein Team sich verpflichtet, es herzustellen, und es dann an andere Teams verkauft."

Der nächste Schritt wäre die Entwicklung von Systemen, die in den Nachwuchsklassen verwendet werden können. "Es gab in der Geschichte einige Dinge, die in der Formel 1 eingesetzt wurden und dann in andere Kategorien kamen", sagt Tombazis.

"Das Halo ist natürlich eine davon, und der gesamte Aufprallschutz des Chassis wird in anderen Kategorien verwendet. Ich denke, das ist der normale Prozess", betont er und erklärt: "Die Formel 1 ist in diesen Dingen etwas reaktionsfreudiger und schneller. Und Dinge können von gut finanzierten Teams schneller entwickelt werden."

Teams wollen FIA weiterhin unterstützen

"Aber das Ziel wäre natürlich, eine Lösung zu finden, die für alle funktioniert", so Tombazis. Die Formel-1-Teams bleiben derweil unterstützend. Jeder weiß, was für eine Katastrophe es für den Sport wäre, wenn es ein weiteres Spa 2021 gäbe, oder noch schlimmer, wenn die Autos überhaupt nicht auf die Strecke gehen könnten.

"Es gibt noch viel zu tun", sagt Andrew Shovlin von Mercedes. "Aber es ist ein Problem, für das es nützlich ist, eine Lösung zu haben. Denn ich denke, die Teams und sicherlich auch die Fans hassen es, wenn ein Rennen nicht stattfinden kann, weil die Bedingungen zu schwierig sind."

"Momentan sind sie noch nicht bereit, produziert und reguliert zu werden. Es gibt also definitiv noch etwas zu tun. Sie verbessern die Gischt, die man von den Reifen bekommt, aber man bekommt immer noch sehr viel vom Diffusor ab, weil der Heckflügel [das Wasser] hochzieht", erklärt er.

"Aber es sind interessante erste Schritte, und wir stellen das Auto und einige Teile zur Verfügung, um die Entwicklung voranzutreiben. Es ist das Projekt der FIA, zu entscheiden, wie es weitergeht und was in Zukunft passiert", so Shovlin.

Die Teams haben derweil zwangsläufig Bedenken wegen der aerodynamischen Auswirkungen auf ihre Autos, aber Shovlin stimmt zu, dass man den Gesamtkontext betrachten sollte. "Wenn der Verlust für alle gleich groß ist, spielt das Ausmaß des Verlustes keine große Rolle", sagt er.

"Es muss natürlich einen spürbaren Unterschied machen. Außerdem muss man das Rennen unterbrechen, um diese Teile einzubauen, oder das Rennen darf noch nicht begonnen haben. Aber wie gesagt: Es ist nicht unser Projekt. Wir wurden nur beauftragt, ein Auto zu testen, und die FIA wird es steuern und entscheiden, wohin die Reise geht."

"Aber das Ziel, den Fans, die dafür bezahlt haben, am Sonntag an die Strecke zu kommen, ein Rennen zu bieten, ist auf jeden Fall lohnenswert. Und ich finde es gut, dass der Sport diese Initiativen hat, mit denen er versucht, Lösungen für die größeren Probleme zu finden", betont Shovlin.

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