• 20. Juli 2014 · 09:00 Uhr

Hockenheim und der harte Kampf um die "schwarze Null"

Erheblicher Zuschauerrückgang in Hockenheim: Was ist in Deutschland anders als in Großbritannien oder Österreich? - Georg Seiler: "England ist verrückter"

(Motorsport-Total.com) - Nach zwei Formel-1-Events in Spielberg und Silverstone, die regelrechten Festivalcharakter hatten, ist die Königsklasse derzeit bei herrlichem Sommerwetter im grauen deutschen Alltag unterwegs. Die Tribünen am aktuellen Rennwochenende auf dem Hockenheimring waren am Freitag und Samstag erschreckend spärlich besetzt, für den heutigen Renntag sind die Aussichten auch nicht viel besser. Die örtlichen Veranstalter ringen um die wichtige "schwarze Null", die Kritikern des Formel-1-Events nicht noch zusätzliche Munition liefern würde.

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Erfolgreicher Silberpfeil in Hockenheim: Und die Tribünen sind traurig leer Zoom Download

"Ich weiß nicht genau, wie viele am Freitag da waren. Es waren nicht so viele, wahrscheinlich auch wegen der Hitze", versucht sich Hockenheim-Geschäftsführer Georg Seiler an einer Erklärung für die vielen freien Tribünenplätze an beiden Trainingstagen. Von Partystimmung im Motodrom war nicht viel zu sehen - bislang jedenfalls. "Wir haben fast nur Drei-Tages-Tickets verkauft. Dann überlasse ich es dem jeweiligen Fan, wann er die Karte zum Einsatz bringt", sagt Seiler.

In der Formel-1-Szene fällt das erschreckend geringe Zuschauerinteresse auf. Die Fahrer schauen bei der Hatz in Richtung Sachskurve auf triste Plastiksitzschalen und nicht auf kunterbunte Fanoutfits. Die Verantwortlichen der Teams stehen angesichts des mangelnden Interesses vor einem Rätsel: Warum funktioniert die Königsklasse in Großbritannien und Österreich, aber nicht in Deutschland - trotz erfolgreicher Silberpfeile, trotz WM-Führung von Nico Rosberg und trotz des viermaligen Champions Sebastian Vettel?

"Schumi" wird von vielen vermisst

"Michael Schumacher war hier der Star, der offenbar schmerzlich vermisst wird", meint McLaren-Teamchef Eric Boullier. Seiler stimmt dieser These zu: "So ist es doch immer. Zu Zeiten von Steffi Graf und Boris Becker waren alle auf Tennis heiß. Ich bin Tennisfan, aber ich muss heute nicht mehr immer sofort wissen, wer in Wimbledon wie gespielt hat. Im Boxen war es durch Henry Maske so, dass alle mitgefiebert haben. Und Bernhard Langer war es beim Golf. Schumacher war halt der erste Formel-1-Star damals."

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in der Ära Michael Schumacher kamen die deutschen Fans zahlreicher Zoom Download

Vettel ist kein Schumacher, Rosberg ebenso wenig. Dies allein kann aus Sicht des Hockenheim-Verantwortlichen allerdings nicht der alleinige Grund sein. "Wir haben einen Rückgang im Vergleich zu 2012, das stimmt. Dafür gibt es Gründe. Die schiebe ich aber nicht unbedingt auf die Formel 1. Wenn 10.000 Fans fehlen, dann teilen sich die Gründe dafür in viele Bereiche auf. Da gehört der Grand Prix von Österreich dazu."

"Ich bin sicher, dass 5.000 Menschen aus dem Süddeutschen, aus Italien und der Schweiz gesagt haben, dass sie in diesem Jahr auf Hockenheim verzichten, um in Spielberg etwas Neues zu sehen. Da sind die ersten 5.000 weg", meint Seiler. "Die anderen 5.000 kreide ich auch unter anderem der Presse an. Außer Fußball-WM war kaum etwas anderes zu lesen und zu sehen." In vielen Redaktionen sei der Wille zur Berichterstattung vorhanden gewesen, aber die Ansage habe gelautet: Fußball über alles.

Immer die Fußballer als Gegner

"Da haben wir auch das Pech, dass wir in den geraden Jahren dran sind", meint Seiler, dessen Formel-1-Event immer in Konkurrenz zu Europa- oder Weltmeisterschaften um Fußball steht. "Der dritte Grund, den ich sehe, sind die Compliance-Regeln in den Firmen. Da kann man keinen mehr einladen. Wenn die Mercedes-Tribüne nur halbvoll ist, dann hat das seine Gründe. Früher hat Mercedes entsprechende Pakete geschnürt. So etwas geht nicht mehr. Da sind den Unternehmen auch die Hände gebunden."

Was Seiler nicht sagt: Auch in Großbritannien unterliegen die Unternehmen strengen Compliance-Vorgaben, die einen "netten Formel-1-Ausflug mit Geschäftspartnern" nicht zulassen. "England ist da verrückter", entgegnet der Geschäftsmann und wechselt schnell das Thema: "Auch die Diskussion um den neuen Sound - ob richtig oder falsch -, hat einige veranlasst, nicht zu kommen. Alle Punkte zusammen machen bestimmt den Verlust von 10.000 Zuschauern aus."


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"Zähle ich diese Anzahl zu den 50.000 dazu, die in diesem Jahr kommen werden, dann wären wir mit 60.000 wieder auf dem Stand von vor zwei Jahren. Dann gäbe es keine Diskussion darüber", sagt Seiler, den die Fragen nach mangelndem Zuschauerinteresse nicht sonderlich angenehm sind. Der Hockenheim-Geschäftsführer macht auch die junge Generation und deren veränderte Interessen verantwortlich. "Die wollen anders bedient werden, die wollen Formel 1 spielen."

Zuschauerschwund ein deutsches Phänomen?

"Die Formel 1 ist im Wandel, es ist etwas in Bewegung. Viele Fans beklagen sich, sie wenden sie vielleicht anderen Serien zu", schildert Eric Boullier den aktuellen Trend, der vermutlich teilweise hausgemacht ist, teilweise aber auch eine Konsequenz der veränderten Haltung einer jungen Generation gegenüber der Mobilität ganz allgemein ist. Der Franzose merkt allerdings an: "Silverstone war ein großer Erfolg - trotz der Tour de France, der Fußball-WM und Wimbledon gleichzeitig."

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Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff erwartet eine Analyse der Situation Zoom Download

Auch die Veranstalter in Österreich mussten sich gegen andere sportliche Großevents behaupten. "Es war jetzt mal wieder der erste Österreich-Grand-Prix. Als wir damals erstmals auf der neuen Streckenvariante gefahren sind, da hatten wir auch 95.000 Zuschauer", wiegelt Seiler direkte Vergleiche mit dem Event in der Steiermark ab. "Wie es in Spielberg im kommenden Jahr sein wird, muss man abwarten. 50.000 Fans der Formel 1 gibt es hier - und die sind jetzt auch hier. Um Formel 1 erfolgreich durchführen zu können, brauchst du 70.000 Fans."

"Wenn am Renntag noch ein paar Zuschauer mehr kommen, dann gibt es mit Ach und Krach eine schwarze Null", meint der erfahrene Veranstalter. Vor zwei Jahren hat man diese Marke gerade so erreichen können. Die knapp 60.000 verkauften Tickets konnten die Ausgaben decken. Die Ausgaben dürften in diesem Jahr kaum verändert sein, also braucht man auch 2014 wieder rund 60.000 Fans für eine Deckung. Woher sollen die nun noch alle kommen? "Wenn es negativ ausgeht, dann muss man auch sehen, dass die Formel 1 auch für andere Veranstaltungen einen Mehrwert schafft", baut Seiler schon einmal vor.

"Man muss das mit aller Vorsicht beobachten. Dramatisieren sollte man es aber auch nicht", meint Boullier zum deutschen Zuschauerschwund. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff ergänzt: "Es ist wichtig, dass wir eine offene Diskussion führen. Wir müssen genau ergründen, warum die Tribünen in Silverstone schon am Freitagmorgen voll sind, in Hockenheim aber nicht. Bernie Ecclestone und viele andere werden bestimmt hohen Aufwand betreiben, um herauszufinden, was man tun kann. Am Nürburgring war es im vergangenen Jahr ähnlich. Ist es ein deutsches Phänomen? Ich weiß es nicht."

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