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Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Max Verstappen
Eine Laudatio auf den neuen Weltmeister und seinen Förderer: Warum Abu Dhabi ausgleichende Gerechtigkeit war und die Formel 1 für Verstappen dankbar sein sollte
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser/-innen,
© Motorsport Images
Die Stunde des Triumphs: Weltmeister Max Verstappen mit seinem Vater Jos Zoom Download
es ist Tradition, dass in dieser Kolumne am Montag nach der Titelentscheidung in der Formel 1 niemand "schlecht schläft" (das passiert heute bei meinem Kollegen Stefan Ehlen auf dem Schwesterportal Motorsport.com), sondern unter der Headline "Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat" eine Laudatio auf den neuen Weltmeister stattfindet.
Aber bevor ich zu Max Verstappen komme, möchte ich noch kurz ein paar Gedanken loswerden.
Letztendlich hat, zumindest am gestrigen Sonntag in Abu Dhabi, pures Glück diese WM entschieden. Als wir um 18:30 Uhr deutscher Zeit unsere Formel-1-Analyse auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de starteten, stand noch nicht fest, wer am Ende des Livestreams Weltmeister sein würde.
Übrigens, und das nur als Randnotiz, die zum Lächeln anregen soll: Genau so, wie es unser Orakel und inoffizielles Maskottchen #KimiDerKater schon am Samstag vorhergesagt hat! (Kimi jetzt auf Instagram folgen!)
Meiner ersten Einschätzung nach hatte man Lewis Hamilton und Mercedes den Fahrertitel gestohlen. Artikel 48.12, und darauf bezog sich Mercedes im eingereichten Protest (beziehungsweise in einem der beiden), besagt ganz klar, dass "any cars that have been lapped by the leader will be required to pass the cars on the lead lap and the Safety-Car".
Und: "Unless the clerk of the course considers the presence of the Safety-Car is still necessary, once the last lapped car has passed the leader the Safety-Car will return to the pits at the end of the following lap."
Warum die Entscheidung so kontrovers diskutiert wird
Also, vereinfacht zusammengefasst: Bevor das Rennen wieder freigegeben wird, müssen alle überrundeten Autos am Führenden vorbeigehen. Eine Regel, die vor Jahren eingeführt wurde, damit die Nachzügler nicht zwischen den führenden Autos herumrollen, wenn das Rennen wieder freigegeben wird.
Und: Sobald das letzte überrundete Auto den Führenden überholt hat, erfolgt die Freigabe des Rennens am Ende der nächsten Runde. In Abu Dhabi wäre das das Ende von Runde 58 gewesen. Im Klartext: Das Rennen hätte (vermeintlich) hinter dem Safety-Car zu Ende gehen müssen.
Mercedes-Protest: So erklärt die FIA das Urteil!
Wären alle Regeln eingehalten worden, wäre Lewis Hamilton jetzt Formel-1-Weltmeister. Warum hat die FIA den Protest von Mercedes trotzdem abgewiesen? Weitere Formel-1-Videos
Doch unsere erste Einschätzung in der Analyse war nur die halbe Wahrheit. Michael Masi argumentierte (und die Rennkommissare folgten seiner Logik), dass Artikel 48.13 im Zweifel Artikel 48.12 aussticht. Und Artikel 48.13 besagt: Sobald das Signal "Safety-Car in this Lap" gegeben wird und die orangen Lichter an Bernd Mayländers Aston Martin ausgehen, wird das Rennen am Ende der gleichen Runde neu gestartet.
Ich möchte nicht bewerten, ob das FIA-Urteil (gegen das Mercedes möglicherweise noch in Berufung gehen könnte) richtig oder falsch ist. Aber dass es am Sonntagabend Rechtsanwälte gebraucht hat, um eine Entscheidung herbeizuführen, zeigt schon, dass für Verstappen letztendlich auch ein bisschen Glück im Spiel gewesen sein muss.
Hamilton hatte das Rennen (und damit auch die WM) schon halb in der Tasche. Christian Horner dachte am Kommandostand bereits darüber nach, was die richtigen Worte sein würden, wenn er sich nach Rennende, in der Stunde der bittersten Niederlage, an sein Team wenden würde müssen.
Und dann kam doch noch alles anders.
Weltmeister Max Verstappen: Die Laudatio
Doch - und jetzt kommen wir zu dem Teil, der wirklich als Verstappen-Laudatio durchgeht - auch wenn man über die feinen Details des FIA-Urteils sicher streiten kann und noch lange wird: Ein bisschen war der Titel für Verstappen, so er denn standhält, auch ausgleichende Gerechtigkeit.
In Baku verlor der Red-Bull-Pilot sicher scheinende 25 Punkte, weil ihn Pirelli kurz vor Schluss im Stich ließ. In Silverstone fightete er gerade mit Hamilton um den Sieg, als es zur ersten großen Kollision des Jahres kam. Mindestens 18 Punkte weg, eher 25. In Budapest wurde er von Valtteri Bottas aus dem Rennen gekegelt.
Ohne dieses Pech wäre Verstappen schon lange vor Abu Dhabi Weltmeister gewesen.
Ja, auch rund um Hamilton gab es kontroverse Entscheidungen, die Punkte gekostet haben. Aber würde man die unglücklich verlorenen Punkte der Saison 2021 auf eine Balkenwaage schlichten, Verstappens Schälchen würde ziemlich rasant zu Boden rauschen.
In Abu Dhabi waren Hamilton und Mercedes zweifellos das schnellere Paket als Verstappen und Red Bull. Am Start bot Hamilton seine ganze Klasse auf und stach Verstappen dank der schnelleren Reaktionszeit aus - den härteren, vermeintlich schlechteren Reifen für die ersten Meter zum Trotz. Was auch daran liegen mag, dass keiner die Reaktionszeiten so intensiv trainiert wie der weiterhin "nur" siebenmalige Weltmeister.
Weltmeister zwischen Genie und Wahnsinn
Aber ein paar Mal ließ Verstappen jenen rennfahrerischen Genius aufblitzen, der vermutlich der wichtigste Grund dafür ist, dass ihm zwei Drittel unserer User den WM-Titel mehr gewünscht haben als Hamilton.
Wie er gleich nach dem verlorenen Start in Kurve 6 so spät bremste, wie das in der modernen Formel 1 kein anderer kann, das war ein bisschen Wahnsinn und ganz viel Genie. Verstappen hielt die Linie, drängte dabei aber als Kollateralschaden Hamilton ab. Es war meines Erachtens nach richtig, dass ihm Hamilton die Position in jener Situation nicht schenken musste.
Man kann über diese Manöver diskutieren: Kurve 4 in Brasilien, Kurve 1 in Saudi-Arabien, Kurve 6 in Abu Dhabi. Ich kann verstehen, dass man ihm das nicht alles durchgehen lässt. Aber Tatsache ist: Kein anderer Fahrer der Formel 1 attackiert so herzerfrischend, mit so viel Tapferkeit, manchmal auch rücksichtslos und mit dem Messer zwischen den Zähnen.
Hamilton findet das "crazy". Die Fans lieben "Mad Max" dafür!
Über den Zweikampf, der dann in der letzten Runde die WM entschieden hat, gibt's ohnehin keine Diskussionen. Mit den härteren und um 39 Runden älteren Reifen muss sich Hamilton beim Neustart wie ein Lamm gefühlt haben, das zur Schlachtbank geführt wird.
Ich rechnete damit, dass Verstappen sein Messer in Kurve 6, spätestens in Kurve 9 hervorholen wird, um dem Lamm die Kehle durchzuschneiden. Doch Verstappen wäre nicht Verstappen, würde er nicht sofort die erste Chance packen, die sich ihm bietet - und die erste Chance sah er schon in Kurve 5. Wow!
Zickzack auf der Geraden: War das wirklich okay?
Auf das blitzsaubere Überholmanöver folgte eine weniger saubere Aktion auf der langen Geraden, als er nämlich zickzack fuhr, um es Hamilton so schwer wie möglich zu machen, sich im Windschatten anzusaugen. Fünfmal wechselte er dabei die Spur. Erlaubt ist das eigentlich nur einmal. Dass sich Mercedes nach dem Rennen nicht auch darüber beschwert hat, muss im heillosen Chaos nach der Zieldurchfahrt irgendwie völlig untergegangen sein.
Es war einst ausgerechnet Niki Lauda, der die Diskussion über "Let them race" losgetreten und den Begriff maßgeblich geprägt hat. Eine Formel, die einem Racer wie Verstappen wie auf den Leib geschneidert scheint.
Der 24-Jährige schert sich nicht um die Feinheiten irgendwelcher FIA-Paragrafen. Er ist ein Rennfahrer mit Leib und Seele - und was seinen schieren Speed und seine manchmal fast grenzwertige Entschlossenheit betrifft für mich auf einer Ebene mit dem großen Ayrton Senna.
Die Formel 1 sollte dankbar sein, dass eine Naturgewalt wie Verstappen die Bühne betreten hat, allen Kontroversen zum Trotz. Ohne ihn wären Hamilton und Mercedes auch 2021 ohne jede Gegenwehr Weltmeister geworden. Und das hätte Millionen von Fans gelangweilt.
Daniel Ricciardo, Pierre Gasly, Alexander Albon, jetzt auch Sergio Perez: Verstappen hat sie alle alt aussehen lassen (Ricciardo anfangs weniger, aber immer mehr, je länger die beiden Teamkollegen waren).
Dabei sind die Herren keine Nasenbohrer: Ricciardo hat in Monza auf McLaren einen Grand Prix gewonnen, Gasly gilt als eines der heißesten Talente außerhalb der Topteams, und Albon wurde als Newcomer gehandelt, bis seine Karriere von Verstappen, zumindest zwischenzeitlich, einfach zertrümmert wurde.
Perez ist der Mann, der im Racing Point 2020 einen Grand Prix gewonnen hat und WM-Vierter wurde. Was mich zu einer Frage führt, die mich schon lang beschäftigt: Was hätte wohl Verstappen mit dem Racing Point angestellt? Wie gut würde er in einem AlphaTauri aussehen?
Meine kühne These: Red Bull hat ein Auto, das nicht sehr viel besser ist als Verstappens Teamkollegen. Alles andere ist der Max-Faktor.
Der "Doktor": Verantwortlich für fünf WM-Titel
Und den hat einst Helmut Marko zwar nicht entdeckt, aber zumindest in die Red-Bull-Familie geholt. Meinen Landsmann möchte ich in dieser Kolumne nicht unerwähnt lassen. Die Verstappens hatten 2014, als sie von mehreren Formel-1-Teams umgarnt wurden, auch ein Angebot von Mercedes vorliegen. Toto Wolff konnte ihm damals aber kein Renncockpit anbieten.
Marko konnte das schon, bei Toro Rosso, und er hatte 2016 auch den Mut, Verstappen ins kalte Wasser bei Red Bull zu schmeißen, als ihm mit Daniil Kwjat der Geduldsfaden riss. Verstappen bedankte sich mit dem ersten Sieg im ersten Rennen. Eine Sternstunde.
Man mag über den manchmal kauzigen Doktor der Rechtswissenschaften denken, was man will. Er hat dutzende vielversprechende Talente gnadenlos abserviert, weil er in ihnen nicht das sah, was er in Verstappen zu sehen glaubte. Vor vielen anderen. Genau so, wie das damals auch bei Sebastian Vettel der Fall war, um den BMW nicht so verbissen gekämpft hat wie Red Bull.
Red Bull hat in der Formel 1 jetzt fünf Fahrertitel erobert. Und alle fünf gehen auf das Konto von Marko-Fahrern. Auch das gehört zu den Heldensagen, die über die unvergessliche Formel-1-Saison 2021 geschrieben werden.
Formel-1-Stammtisch: Diskutier mit uns!
Über das völlig verrückte Finale von Abu Dhabi 2021 wird noch lange leidenschaftlich diskutiert werden. Auch wir wollen das tun. Auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de starten wir noch vor Weihnachten mit einem monatlichen (virtuellen) Stammtisch, bei dem Kanalmitglieder mit Redakteuren aus unserem Motorsport-Network-Team über die Formel 1 diskutieren und uns Fragen stellen können.
Ganz unverkrampft und mit einem Bierchen in der Hand soll dieses Format stattfinden (Termin wird rechtzeitig im Community-Tab auf YouTube angekündigt), und den Preis eines Bierchens, nämlich 3,99 Euro pro Monat, kostet es auch, Kanalmitglied zu werden und jeden Monat Zugang zu unserem Stammtisch zu erhalten.
Dann und wann wollen wir neben Kanalmitgliedern auch Stargäste und Experten in die Runde einladen. Und so einen ganz neuen Zugang zu unser aller liebster Nebensache der Welt, der Formel 1, anbieten.
Also am besten jetzt gleich den Kanal kostenlos (!) abonnieren und die Glocke aktivieren, um kein neues unserer Formel-1-Videos mehr zu verpassen. Denn unsere gewohnten Videoinhalte bleiben natürlich auch weiterhin frei zugänglich, ohne Bezahlschranke. Ich würde mich aber freuen, den einen oder anderen bei unserem ersten exklusiven Mitgliederstammtisch begrüßen zu dürfen.
Und bitte in einem Punkt im Voraus um Nachsicht: Ich bin eher ein Wein- als ein Biertrinker ...
Ihr Christian Nimmervoll
Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "Breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen.