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Yuki Tsunoda: Warum die englische Sprache für ihn so wichtig ist
Interview mit Yuki Tsunoda: Wie das so ist, als Japaner mit gebrochenem Englisch in Italien zu leben, und warum Online-Gaming für ihn eine große Rolle spielt
(Motorsport-Total.com) - Es gibt Formel-1-Fahrer, deren Aura man nicht übersehen kann, wenn sie einen Raum betreten. Fernando Alonso ist so einer, oder auch Lewis Hamilton. Und dann gibt es Formel-1-Fahrer, die sind eher unscheinbar. Einer davon ist Yuki Tsunoda. Trotzdem - oder besser gesagt: gerade deswegen! - fanden wir, dass wir den erst 22-jährigen Japaner einmal zum Interview bitten sollten.
© Red Bull
Yuki Tsunoda: Der "kleine Japaner" hat es in der Formel 1 schon weit gebracht Zoom Download
"Yuki, unser kleiner Japaner", sagt Helmut Marko manchmal. Was der Red-Bull-Motorsportkonsulent mit einem Lächeln im Gesicht und voller Liebenswürdigkeit im Herzen meint, könnte man in einer politisch manchmal überkorrekten Gesellschaft anno 2022 auch als beleidigend auffassen. Also haben wir im Interview mal nachgefragt, wie das Tsunoda (1,59 Meter) eigentlich selbst sieht.
Als wir ihn am Rande des Grand Prix von Italien getroffen haben, stand noch nicht zu 100 Prozent fest, ob er 2023 weiterhin bei AlphaTauri fahren würde. Marko hat daraus zwar hinter vorgehaltener Hand kein Geheimnis gemacht, doch offiziell kommuniziert wurde das erst am Donnerstag. Jetzt steht also fest: Der "kleine Yuki" fährt mindestens ein weiteres Jahr im Zirkus der Großen mit.
Bei seinem Formel-1-Debüt in Bahrain 2021 hat er einen bleibenden Eindruck hinterlassen und als Neunter auf Anhieb WM-Punkte geholt. Formel-1-Sportchef Ross Brawn überschüttete ihn daraufhin mit Vorschusslorbeeren und bezeichnete ihn als "besten Rookie seit Jahren". Auch Marko war begeistert und sah sich bestätigt.
Doch danach folgten erstmal vier Nullnummern hintereinander, Hand in Hand mit einer ganzen Menge AlphaTauri-Schrott. Erst 2022 ist es Tsunoda gelungen, sich zu stabilisieren - und auch der Abstand zu Teamkollege Pierre Gasly ist geschrumpft. Vielleicht auch, weil er vor etwas mehr als einem Jahr von seinem Team gebeten wurde, nach Faenza zu ziehen ...
Keine morgendlichen Joggingrunden mit Franz Tost
Frage: "Yuki, das Team hat Sie gebeten, nach Faenza zu ziehen, um Ihr körperliches Training zu intensivieren und Sie mental besser betreuen zu können. Ich habe mich immer gefragt, was das konkret bedeutet. Gehen Sie jetzt gemeinsam mit Franz Tost morgens joggen und abends essen?"
Yuki Tsunoda: "Nein. Ich gehe ehrlich gesagt nie mit ihm laufen. Ich habe jetzt einen Psychologen, der sitzt aber in Österreich. Es ist nicht so, dass ich den dauernd sehe."
"Mein Leben in Faenza ist so, dass ich dort viel trainiere. Im Vergleich zum Vorjahr, als ich nach Italien gezogen bin, hat sich eigentlich nicht viel verändert. Aber ich wende jetzt mehr Zeit dafür auf, körperlich zu trainieren."
Frage: "Verbringen Sie mehr Zeit mit Franz Tost, seit Sie nach Faenza gezogen sind?"
Tsunoda: "Manchmal gehen wir zusammen Mittagessen. Aber nicht jeden Tag. Es tut gut, beim Mittagessen mit ihm zu reden, oder auch in der Fabrik, wenn wir uns dort treffen. Dort bin ich öfter, um mich mit den Ingenieuren zu unterhalten."
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Frage: "Wir haben vor Imola eine Fabrikstour für unseren YouTube-Kanal aufgenommen. Franz Tost hat uns dabei erzählt, dass Ihnen die Frau von Teammanager Graham Watson Sprachunterricht gegeben hat."
Tsunoda: "Jetzt aber nicht mehr. Und es war auch nur Englisch, nicht Italienisch."
Warum gutes Englisch für einen Rennfahrer so wichtig ist
Frage: "Ich spreche kein Japanisch. Wenn ich mir vorstelle, dass ich allein in Tokio in einer Wohnung leben würde, wäre mir dort wahrscheinlich ziemlich oft langweilig. Wie geht es Ihnen als Japaner in Faenza? Haben Sie Freunde, die Sie treffen?"
Tsunoda: "Die Englischstunden haben schon geholfen. Vor allem für die Aussprache."
"Die Aussprache ist sehr wichtig. Erstens, weil es dann weniger oft zu Missverständnissen kommt. Und zweitens, weil die Stimmen am Boxenfunk ja nicht kristallklar sind. Da ist die Aussprache umso wichtiger, damit das Feedback so klar wie möglich beim Team ankommt. Das hat definitiv geholfen."
"Aber derzeit habe ich wie gesagt keinen Englischunterricht mehr. Ehrlich gesagt bin ich ganz froh drüber! Es bereitet mir Freude, dass ich mich als Fahrer gerade gut weiterentwickle. Und auch was mein Englisch betrifft, finde ich, dass es schon viel besser ist als vergangenes Jahr. Das ist gut so."
Sind wir in Fremdsprachen nicht alle ein bisschen anders?
Wir drücken im Interview kurz die Pausetaste. Das Bild von "Yuki, dem kleinen Japaner", dachten wir vor diesem Interview und legten deshalb einen Fokus auf das Thema Sprache, könnte auch mit seinen zwar besser werdenden, aber doch limitierten Englischkenntnissen zu tun haben. Es ist ganz normal, dass man in seiner Muttersprache selbstbewusster auftritt als in einer Fremdsprache.
Ich, der Autor dieser Zeilen, erinnere mich noch ganz lebhaft an meine Anfangszeit als Formel-1-Journalist, als ich des Englischen noch nicht so mächtig war wie heute und mangels Vokabular teilweise unbewusst mit Schimpfwörtern um mich warf, "Crap", "Shit" und wie sie alle heißen, einfach weil ich deren Wahrnehmung durch andere nicht richtig einzuordnen wusste.
Da ist die Frage naheliegend, ob der Japanisch sprechende Yuki Tsunoda vielleicht eine ganz andere Persönlichkeit ist als der Englisch oder gar Italienisch sprechende, und ob vielleicht auch das damit zu tun hat, wie er nicht nur von Helmut Marko wahrgenommen wird: Als irgendwie niedlicher, kultiger Japaner in Italien - aber nicht als die starke Persönlichkeit, die er in seiner Muttersprache vielleicht ist.
Die Sache mit den Schimpfwörtern ...
Tsunoda: "Ich habe ein paar Freunde, die empfinden das tatsächlich so. Und ich habe Freunde in Europa, die finden es total witzig, wie meine Aussprache ist, wenn ich Japanisch spreche. Wir lachen da drüber."
"Ein Problem war, dass ich so viele Schimpfwörter verwendet habe. Aber ich gewöhne mich dran. Mein Gefühl ist, dass meine Tonlage, wenn ich Englisch spreche, langsam natürlicher wird, so wie im Japanischen. Weil ich selbstsicherer werde, wenn ich Englisch spreche."
"Im Moment habe ich gefühlt keine Hauptsprache. Ich liebe es aber, Englisch zu sprechen, und langsam habe ich das Gefühl, auch was die Vokabeln betrifft, dass ich mich ganz gut ausdrücken kann. Ich bin zufrieden damit."
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Frage: "So, dann sitzen Sie also, wenn Sie nicht gerade in der Fabrik sind, allein in Ihrer Wohnung in Faenza. Ist Ihnen da manchmal langweilig, wenn Sie kaum Freunde in unmittelbarer Umgebung haben? Oder haben Sie ohnehin zu wenig Freizeit, als dass das oft vorkommen würde?"
Tsunoda: "Das ist ein Grund, warum ich viel Online-Gaming mache. Das Online-Gaming ist wichtig für mich, um Stress abzubauen."
"Dazu kommt, dass ich mich beim Spielen gleichzeitig mit meinen Freunden in Japan unterhalten kann. Ich kann mich leider viel zu selten in Japan mit meinen Freunden treffen. Gaming ist eine gute Möglichkeit, mich zumindest ab und zu mit ihnen zu unterhalten, auch wenn es nur online ist."
"Ich habe inzwischen aber auch ein paar gute Freunde in Mailand und in Italien. Teilweise auch aus dem Team. Die haben mich manchmal schon zu ihnen nach Hause zum Grillen eingeladen."
Frage: "Stehen Sie dann auch mal selbst am Grill?"
Tsunoda: "Ja! Ich bin mit meinem Leben in Faenza ganz glücklich."
Tsunoda und Helmut Marko: Eine besondere Beziehung
Frage: "Helmut Marko spricht in Interviews ganz oft, auf liebenswürdige Art und Weise, von 'Yuki, unserem kleinen Japaner'. Verletzt Sie das, wenn Sie als der 'kleine Yuki' wahrgenommen werden?"
Tsunoda: "Ich weiß nicht. Was ich sagen kann: Wir haben ein gutes Verhältnis. Ich sehe ihn auch als Freund und Mentor und nicht nur als meinen Chef."
"50 Prozent der Zeit reden wir über andere Dinge abseits der Rennstrecke, 50 Prozent übers Rennfahren. Wir verstehen uns gut. Er kümmert sich um mich, seit ich Nachwuchsformeln gefahren bin. Darum bin ich heute Formel-1-Fahrer. Ohne ihn wäre ich das niemals geworden. Ja, wir haben ein gutes Verhältnis."
Frage: "Helmut Marko ist berühmt-berüchtigt dafür, seine Fahrer manchmal sehr früh am Morgen anzurufen. Ist Ihnen das auch schon passiert?"
Tsunoda: "Ein paar Mal! Aber nicht oft. Zum Glück. Ich stehe aber selbst auch meistens früh auf. Das passt schon."
Premiere zu Hause: Vorfreude auf Suzuka
2022 ist ein besonderes Jahr für Tsunoda. Am 9. Oktober wird er zum ersten Mal beim Grand Prix von Japan am Start sein, bei seinem Heim-Grand-Prix, vor Familie und Freunden, die ihn sonst nur via Fernsehen anfeuern können. Tsunoda fährt zwar schon seit 2021 Formel 1, doch wegen der Coronapandemie gab es 2020 und 2021 keinen Grand Prix in Suzuka.
Frage: "Sie müssen in Japan ein Star sein, viel mehr als in Europa. Ich schätze, in Italien können Sie sich halbwegs unerkannt bewegen, aber in Japan ist das doch bestimmt anders, oder?"
Tsunoda: "Ehrlich gesagt glaube ich, dass ich in Italien bekannter bin als in Japan."
"Die Formel 1 ist in Japan eine große Sache, das stimmt. Aber bei weitem nicht mehr so groß wie früher, als Ayrton Senna noch gefahren ist. Es gab lange Zeit keinen japanischen Formel-1-Fahrer, und sogar lange Zeit keinen japanischen Hersteller. Da ist das Interesse gesunken. Aber hoffentlich kann ich etwas dazu beitragen, viele Fans aus Japan für die Formel 1 zu begeistern."
"Ich bin nicht oft in Japan, darum kann ich gerade schwer einschätzen, wie populär die Formel 1 dort derzeit ist. Ich bin drei Wochen im Jahr in Japan, und beim letzten Mal habe ich zwei davon in Quarantäne verbracht. Da war ich nicht viel draußen."
Vorfreude auf Geschenke der japanischen Fans
Frage: "Wann waren Sie das letzte Mal in Japan?"
Tsunoda: "Im Januar. Um Familie und Freunde zu besuchen. Ich freue mich aber auf Japan. Ich habe gehört, dass die Tickets bereits früh ausverkauft waren. Das ist toll. Ich kann es kaum erwarten, vor den japanischen Fans zu fahren!"
Frage: "Suzuka ist berühmt für seine Fans, die alle möglichen schrägen Geschenke für die Fahrer mitbringen. Rechnen Sie mit vielen Teddybären und Heiratsanträgen?"
Tsunoda: "Ich habe noch nie einen Teddybären bekommen! Wäre mal ganz nett."
"Im Ernst: Die japanischen Fans sind extrem kreative Fans. Die bauen sich einen eigenen Helm mit DRS drauf. Sie sind wirklich leidenschaftliche Motorsportfans. Ich kann es kaum erwarten, die kreativen Ideen der Fans zu sehen. Und auch die Geschenke! Das gehört zu den Dingen, auf die ich mich mit am meisten freue."