• 22. Januar 2014 · 17:22 Uhr

Taffin: "Glaube nicht, dass Modulbauweise Einzug halten wird"

Renaults Motorenchef Remi Taffin im Interview über die speziellen Herausforderungen der Turbo-Motoren auf die Arbeit der Motorentechniker

(Motorsport-Total.com) - Das neue Motorenreglement der Formel 1 sorgt bei allen Beteiligten für jede Menge Kopfzerbrechen. Wie wird künftig das optimale Verhältnis zwischen Benzin- und Elektroantrieb aussehen? Ist angesichts der Limitierung der einzelnen Bauteile eine Modulbauweise sinnvoll? Welchen Einfluss haben äußere Bedingungen auf die Leistungsentfaltung der Turbo-Motoren?

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Renaults Motorenchef Remi Taffin sieht völlig neue Arbeitsansätze für die Techniker Zoom Download

Renaults Motorenchef Remi Taffin spricht im Interview über die technischen Hintergründe des neuen Reglements und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Arbeit der Motorentechniker.


Frage: "Remi, welche Auswirkungen hat der neue Antriebsstrang auf die Vorbereitungen auf ein Rennen?"
Remi Taffin: "Dank der neuen Antriebsstränge, die neben dem normalen Verbrennungsmotor komplexe elektrische Systeme und zudem Energierückgewinnungs-Systeme umfassen, wird die Arbeitslast vor einem Rennwochenende ungefähr verdoppelt. Die Teams werden uns wie gewohnt rund zwei Wochen vor einem Rennen die Basis-Setup-Daten zukommen lassen. Der Motoreningenieur des jeweiligen Teams wird diese Daten dann mit denen des Antriebsstrangs kombinieren - und zwar in realistischer Umgebung im Simulator, um so die Betriebsparameter des Autos für die jeweilige Strecke zu erhalten."

"Diese Daten werden dann an die Teams zurückgegeben, sodass diese dann Analysen bezüglich der Abtriebs- und Griplevel durchführen können. Das Ergebnis sind dann noch detaillierte Setup-Daten. Dieser Prozess wird ständig wiederholt. Es braucht mehrere Durchläufe bis man eine fertiges Setup hat, das man auf der Rennstrecke einsetzen kann. Mit der Zeit wird dieser Prozess sicherlich verfeinert werden, weil wir ständig dazulernen. Wir gehen aber schon jetzt davon aus, dass die Arbeitsstunden pro Team und Rennen im Bereich von über einhundert angesiedelt sein werden. Man kann also sagen, der Aufwand für die Rennvorbereitung wird mehr als doppelt so hoch sein wie in der V8-Ära."


Frage: "Wird sich an den Arbeitsabläufen während eines Rennwochenendes irgendetwas ändern?"
Taffin: "Wir haben einen Betriebsraum aufgebaut, in dem wir die Sessions in Echtzeit verfolgen können. Das ist verglichen mit der Vergangenheit, als die Daten einzig und allein an der Rennstrecke gesammelt wurden, ein riesiger Fortschritt. Abgesehen davon haben wir inzwischen mehr Unterstützung aus der Fabrik, um die Daten, die nach einer Session vorliegen, zu analysieren. Wir werden ab sofort häufiger die Daten von der Rennstrecke an die Fabrik senden. Das bedeutet, dass wir die Prüfstände in Viry häufiger als in der Vergangenheit für "Live-Simulationen" nutzen werden, um so die Performance auf der Rennstrecke zu optimieren."

"Der Umfang ist schwer abzuschätzen, aber ich würde sagen, die Prüfstände werden künftig dreimal so oft genutzt werden wie bisher. Es gibt einfach viel mehr Parameter, die untersucht werden müssen. Beim V8 konnten wir sehr gut vorhersagen, was passieren wird. Gab es ein Problem, dann handelte sich meistens um ein bekanntes Problem. Die neuen Antriebsstränge sind deutlich komplizierter. Das Einzige, was im Grunde vergleichbar ist: Die Tatsache, dass die Getriebeübersetzungen während der Saison nicht verändert werden dürfen, weil diese genau wie im vergangenen Jahr zu Saisonbeginn eingefroren werden. Eine einzige Veränderung ist im Verlauf des Jahres zulässig. Abgesehen davon müssen die acht Gänge aber vor Saisonbeginn bei der FIA hinterlegt werden und bei allen Rennen so verbleiben."

Acht Renault-Techniker für jedes Partnerteam

Frage: "Wie wird die Belegschaft der Motorenhersteller in diesem Jahr aufgestellt sein?"
Taffin: "Der neue Antriebsstrang stellt eine komplett neue Herausforderung dar. Aus diesem Grund haben wir die Motorenmannschaft an der Rennstrecke verstärkt. Jedem unserer Partnerteams stehen acht Techniker zur Verfügung. Diese werden sich um das Energie-Management und um die Einstellungen für den Antriebsstrang kümmern. Damit meine ich die richtige Balance zwischen Benzin- und Elektroantrieb. Grundsätzlich arbeiten wir sehr eng mit unseren Partnerteams zusammen. Vor allem die Strategen und die Renningenieure pflegen einen engen Dialog."

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Renault rüstet Red Bull, Lotus, Toro Rosso und Caterham mit Motoren aus Zoom Download

Frage: "Wird sich die Vorgehensweise zwischen den einzelnen Partnerteams untereinander unterscheiden?"
Taffin: "Nicht grundlegend, denn wir stehen schon jetzt in engem Kontakt mit den jeweiligen Teams. Der Informationsfluss zwischen den beiden Parteien wird aber wesentlich größer und wichtiger werden. Die neuen Antriebsstränge werden sich viel stärker als in der Vergangenheit auf die Rennstrategie auswirken. Beim V8 war es so, dass wir uns vorab auf eine Strategie festlegten. Wir wussten, dass wir bei Rennende beim Optimum oder ein Prozent davon entfernt angelangt sein würden. In diesem Jahr könnte das Delta zwischen Vorausberechnung und Realität mehrere Zehntelsekunden betragen."


Frage: "Wird es in dieser Saison andere Funksprüche als in der Vergangenheit geben?"
Taffin: "Wir werden sicherlich andere Funksprüche hören. So werden wir keine Anweisung mehr an die Fahrer geben, das Gemisch zu verändern. Stattdessen werden wir uns auf die Benzinmenge beziehen, die pro Runde verbrannt werden darf. Vor einem Rennen werden sich die Ingenieure auf ein Verhältnis zwischen Benzin- und Elektroantrieb pro Runde festlegen. Das ist wichtig, weil wir während des Rennens die Benzinmenge viel stärker Auge behalten müssen, um sicherzustellen, dass wir ins Ziel kommen. Die Ingenieure werden den Benzinverbrauch ständig im Auge behalten und den Fahrer informieren, ob er sich gerade über oder unter dem Limit befindet. Der Fahrer wird seine Fahrweise dann entsprechend anpassen müssen."

Modulbauweise unwahrscheinlich

Frage: "Ab dieser Saison stehen jedem Fahrer nur fünf Antriebsstränge pro Saison zur Verfügung. Die einzelnen Komponenten (Turbolader, ERS und so weiter) können aber individuell getauscht werden. Wie behält man bei Renault den Überblick?"
Taffin: "Im Idealfall werden wir es so handhaben wie im vergangenen Jahr, das heißt, wenn wir etwas tauschen, dann alles auf einmal. Die Lebensdauer der einzelnen Bauteile ist in etwa gleich. Unser Ziel ist es, das System so gut wie möglich als Ganzes zu betrachten. Das heißt, wenn wir den Turbolader wechseln, dann wechseln wir auch das ERS und die Batterie. Doch auch wenn wir es nicht anstreben, Bauteile mit unterschiedlicher Laufleistung miteinander zu kombinieren, so kann es sein, dass wir für bestimmte Strecken nur einzelne Teile tauschen, sollte dies notwendig werden."

"So könnten wir beispielsweise in Monza einen neuen Verbrennungsmotor mit einer alten Batterie kombinieren, um mehr Leistung abzurufen. Oder wir könnten in Monaco eine neue Batterie mit einem alten Motor kombinieren, da auf dieser Strecke das Ansprechverhalten des Elektroantriebs eine größere Rolle spielt als die reine Endgeschwindigkeit. Das alles stets im Auge zu behalten, erscheint schwierig, aber ich glaube nicht, dass in der Formel 1 die Modulbauweise Einzug halten wird."

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Der komplexe Antriebsstrang von Renault in der Detailansicht Zoom Download

Frage: "Gibt es im Rennkalender eine Rennstrecke, die angesichts der neuen Rahmenbedingungen eine besondere Herausforderung darstellt?"
Taffin: "Im Wesentlichen wird die Herausforderung nicht größer sein als in den vergangenen Jahren. Monza wird weiterhin die härteste Probe für die Motoren bleiben, während Monaco und Budapest in Bezug auf die Energierückgewinnung kritisch sein werden. Wir werden aber beobachten, dass der Turbo als Gleichmacher der Streckenbedingungen fungiert. So kann es sein, dass die Herangehensweise an Strecken, die in der Vergangenheit nicht als schwierig eingestuft wurden, plötzlich überdacht werden muss."

"Ich möchte ein Beispiel geben: Brasilien war für uns bisher immer ein Rennen, das unkritisch war. Bei diesem Rennen konnten wir auch mal einen Motor einsetzen, der schon zwei Rennen auf dem Buckel hatte. Das lag am Sauerstoffgehalt der Luft. Da der Turbolader aber im Inneren des Motors für völlig neue Gegebenheiten sorgt, spielt der Sauerstoffgehalt der Luft nun im Grunde keine Rolle mehr. Ein anderes Beispiel: In Malaysia konnten wir uns immer darauf verlassen, dass sich die hohe Luftfeuchtigkeit negativ auf die Motorleistung auswirkt, speziell am Ende der langen Geraden. Jetzt, da der Sauerstoffgehalt in der Luft für die Motorentechniker keine Rolle mehr spielt, wird es einen solchen Leistungsverlust nicht mehr geben."


Frage: "Gehst du davon aus, dass die Turbo-Motoren auf Rennstrecken, die hoch über dem Meeresspiegel liegen, länger brauchen, um auf Betriebstemperatur zu kommen?"
Taffin: "Viele Leute werden sich noch daran erinnern, wie lange es an Standorten wie Brasilien oder Südafrika gedauert hat, um die Turbo-Motoren aufzuwärmen. Diesmal dürfte es aber schneller gehen, weil die Technik inzwischen weiterentwickelt wurde. Unterm Strich ist es ohnehin die Leistung auf der Strecke, die zählt."


Frage: "Worin bestehen im Zusammenhang mit den neuen Antriebssträngen die größten Herausforderungen für die Techniker an der Rennstrecke?"
Taffin: "Zunächst einmal muss man einen Weg finden, wie man die Hitze ableitet. Der Turbolader und die Elektromotoren generieren hohe Temperaturen. Auch die Komponenten im Inneren werden heißlaufen. Da das richtige Zusammenspiel zu finden, ist nicht einfach. Die elektromagnetischen Kräfte werden sehr hoch sein. Aus diesem Grund wird es schon eine Herausforderung werden, alle Systeme zeitgleich richtig zu betrieben."

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