"Nimmt viel Druck weg": Wie Verstappen seine Chance im WM-Kampf einordnet

(Motorsport-Total.com) - Damit hätte vor einigen Monaten wohl niemand gerechnet: Titelverteidiger Max Verstappen (Red Bull) reist mit einem Rückstand von nur zwölf Punkten auf WM-Spitzenreiter Lando Norris (McLaren) zum Saisonfinale. In Abu Dhabi ist für den viermaligen Weltmeister alles möglich - und der fünfte Titel liegt in Reichweite.

"Ich bin begeistert", gibt Verstappen nach dem Katar-GP zu. "Ich freue mich darauf, hinzufahren und es zu versuchen." Gleichzeitig weiß der Niederländer jedoch, dass man "realistisch sein" müsse. Denn ein Sieg allein würde dem Red-Bull-Piloten nicht sicher reichen: WM-Leader Norris darf maximal Vierter werden.

Und selbst der Sieg wäre eine Herausforderung. "Was die reine Pace angeht, sind wir nicht auf demselben Level", meint Verstappen. "Aber gleichzeitig, wenn die Strategie vielleicht eine Rolle spielt oder man zur richtigen Zeit die richtigen Entscheidungen trifft, könnten wir eine Chance haben."

"Ich hoffe, dass wir das Wochenende gut beginnen. Das würde sehr helfen." Genau damit hatte Red Bull in diesem Jahr immer wieder zu kämpfen. "Wir müssen das Auto ins richtige Fenster bringen", erinnert Teamchef Laurent Mekies und betont, dass das "nicht an jedem Rennwochenende völlig unkompliziert" sei.

"Und wenn wir das schaffen, kann Max um den Sieg kämpfen", ist der Franzose überzeugt. Was dann hinter dem Niederländer passiert, könne das Team ohnehin nicht beeinflussen. "Also ändert sich wirklich nichts an unserer Herangehensweise an das Wochenende."

Max Verstappen ist "jetzt viel entspannter"

"Wir fahren hin, versuchen, unser Auto in den Sweet Spot zu bringen, und versuchen, Max ein Set-up zu geben, mit dem er glänzen kann. Und hoffentlich bringt ihn das in den Kampf um die Spitzenposition. Und dann kontrollieren wir nicht, was dahinter passiert."

Hinzu kommt: Verstappen kennt eine ganz ähnliche Situation bereits aus der Saison 2021, als er vor dem Finale in Abu Dhabi punktgleich mit Lewis Hamilton (damals Mercedes) war. "Ich bin jetzt viel entspannter", schmunzelt der Niederländer. "Ich weiß, dass ich zwölf Punkte Rückstand habe. Ich gehe da einfach mit positiver Energie rein."

"Ich versuche alles, was ich kann", betont der 28-Jährige. "Aber gleichzeitig, wenn ich es nicht gewinne, weiß ich trotzdem, dass ich eine großartige Saison hatte. Also spielt es keine große Rolle. Das nimmt viel Druck weg. Ich bin einfach draußen und habe eine gute Zeit, so wie [in Katar]."

Auch dort sei er mit einer offenen Einstellung in das Rennen gegangen. "Ich weiß, dass ich, wenn ich im Auto sitze, immer versuche, alles zu maximieren, was ich kann", erinnert Verstappen an seinen persönlichen Standpunkt. "Und das werde ich auch in Abu Dhabi versuchen."

"Aber gleichzeitig weiß ich auch, dass wir wahrscheinlich auf einige äußere Faktoren angewiesen sind, um eine Chance zu haben." Katar habe allerdings gezeigt, dass "ein Grand Prix nicht immer geradlinig verläuft und dass vieles passieren kann", so der Weltmeister. "Also verlasse ich mich wahrscheinlich ein bisschen darauf."

Red Bull kann "wirklich stolz" auf sich sein

Dass Verstappen überhaupt noch einmal eine realistische WM-Chance hat, ist angesichts des großen Rückstands zur Saisonmitte eine kleine Überraschung. Nach dem Großen Preis der Niederlande war der Abstand bereits auf 104 Punkte angewachsen, ehe die beeindruckende Aufholjagd begann.

"Ehrlich gesagt, es war sehr stark, aber das ist auch etwas, das ich nach mittlerweile elf Jahren in der Formel 1 von mir selbst verlange", sagt der 28-jährige Niederländer, der seit 2015 in der Königsklasse fährt. "Und jedes Jahr wirst du etwas kompletter."

Auch in den Jahren, in denen Verstappen mit großem Vorsprung Weltmeister wurde, gab es Punkte, auf die er kritisch zurückblickt. "Und das kann alles sein - wie du das Auto abstimmst, was du selbst in Bezug auf die Rennen machst oder wie du mit dem Team zusammenarbeitest."

"Dieses Jahr hatten wir einfach eine wirklich harte erste Saisonhälfte, wie jeder weiß." Red Bull könne nun "wirklich stolz" darauf sein, noch immer im WM-Kampf zu stehen. "Mitten in der Saison gab es einen Punkt, an dem es fast so war, als würde man die Motivation verlieren."

Helmut Marko hat WM-Hoffnung nie aufgegeben

Einer, der jedoch stets an die Titelverteidigung glaubte, war Helmut Marko. "Als Laurent in Milton Keynes übernommen hat, habe ich mit den Leuten gesprochen", sagt der Österreicher mit Blick auf den großen Rückstand. "Ich habe ihnen gesagt: 'Trotzdem haben wir noch eine Chance, also lasst uns darum kämpfen.'"

Damit sei Marko anfangs ziemlich allein gewesen. "Aber jetzt sind es mehr Leute", schmunzelt der 82-Jährige. Und das liege auch an der Verpflichtung von Laurent Mekies als neuem Teamchef. "Er hatte einen anderen Ansatz. Er hat das Ganze aus Ingenieurssicht betrachtet."

"Das hat geholfen, das Auto weiterzuentwickeln oder es für den Fahrer vorhersehbarer zu machen", sagt Marko. "Dann kam das Vertrauen - und auch die Geschwindigkeit." Nun glaubt der Red-Bull-Berater sogar, dass Verstappen beim Finale einen kleinen Vorteil hat.

"Es ist immer einfacher, der Jäger zu sein", meint der Österreicher. "Wenn du weißt, dass Max dich jagt, dann wird, glaube ich, jeder auf der Startaufstellung nervös." Beim Großen Preis von Katar feierte Verstappen bereits seinen siebten Saisonsieg und liegt damit inzwischen gleichauf mit Norris und Piastri.

Bringt der Teamgeist den fünften Verstappen-Titel?

"Wir haben definitiv wirklich gute Schritte mit dem Auto gemacht, und an manchen Wochenenden waren wir sehr konkurrenzfähig, sodass wir Rennen gewinnen konnten", betont der Niederländer. "Aber gleichzeitig haben wir auch Rennen gewonnen, bei denen wir es vielleicht nicht hätten tun sollen, indem wir als Team die richtigen Entscheidungen getroffen haben."

"Und dann liegt es natürlich an mir, das bestmöglich umzusetzen. Aber das ist am Ende des Tages eben auch eine echte Teamleistung", lobt Verstappen. "Ich denke, wir sind wirklich gut integriert, und wir wissen genau, was wir voneinander verlangen müssen."

Und genau dieser Teamgeist könnte am Ende der Schlüssel zum fünften WM-Titel für Max Verstappen sein: "Das hilft wahrscheinlich, wenn du in so einem Kampf steckst, in dem du nicht der Schnellste bist, aber trotzdem so ziemlich alles maximierst, was du hast."