Reifenrätsel: Warum der C6 das Qualifying durcheinandergewirbelt hat
Der neue C6-Reifen stand beim Qualifying in Imola im Fokus und hat für einige Veränderungen gesorgt, doch was macht das mit dem Rennen und der Zukunft?
(Motorsport-Total.com) - "Die C6-Reifen zu verstehen war schwierig", sagt Alexander Albon nach seinem siebten Platz im Qualifying zum Großen Preis der Emilia-Romagna. Bis zu einem gewissen Grad war das genau der Grund, sie hierher zu bringen. Die Formel-1-Teams investieren einen Großteil ihrer Jahresbudgets in Forschung und Simulationen, um Unsicherheiten zu eliminieren - aber Vorhersehbarkeit ist der Feind spannender Rennen.
Pirelli hat den C6 zu Beginn der Saison als noch weichere Reifenmischung eingeführt. Ursprünglich sollte er in Monaco sein Debüt geben, mit dem Plan, ihn auch in Montreal, Singapur und Las Vegas einzusetzen, falls sich sein erster Einsatz bewährt.
Das änderte sich, als deutlich wurde, dass sich die Performance und Lebensdauer der übrigen Mischungen zu stark angenähert hatten - was Ein-Stopp-Rennen zur strategischen Standardwahl machte.
Deshalb zog Pirelli sein Debüt in Imola vor - zum Teil, weil man ohnehin erwog, im Vergleich zum Vorjahr eine weichere Stufe zu gehen, vor allem aber, um herauszufinden, ob man bei zukünftigen Events Mischungen "überspringen" kann.
Was Pirelli - ebenso wie die Formel 1 und die FIA - erreichen möchte, ist eine größere Vielfalt an strategischen Optionen: Situationen, in denen der Unterschied zwischen Ein- und Zwei-Stopp-Rennen weniger eindeutig ist, und in denen Teams die Unterschiede zwischen den Mischungen nutzen können, um mit versetzten Strategien zu arbeiten.
Das Ziel ist ein sogenannter "Peak-End-Effekt" für die Zuschauer - wenn Fahrer mit frischeren Reifen am Ende des Rennens die vor ihnen liegenden Piloten einholen können.
Doch es gilt, ein schwieriges Gleichgewicht zu finden. Wird die Mischung zu weich, läuft man Gefahr, dass sie nur noch im Qualifying genutzt wird.
Das scheint in Imola der Fall zu sein - obwohl es auch einige positive Aspekte gab. Beide Aston-Martin-Fahrer und Mercedes' George Russell setzten auf Medium-Reifen, die sie für besser hielten - nahmen dabei aber möglicherweise einen Nachteil im Rennen in Kauf.
C6 zu weich?
Genau solche Szenarien wollte Pirelli herbeiführen - allerdings wohl eher nicht durch eine weiche Mischung, die kaum eine komplette Runde durchhält.
"Wir haben das schon auf vielen Strecken in diesem und im letzten Jahr gesehen", sagt Albon. "Die weicheren Reifen sind in langsamen Kurven generell besser."
"Aber selbst wenn man dieses Jahr Suzuka nimmt - da fühlte sich der harte Reifen im ersten Sektor am besten an. Es gibt da immer einen Kompromiss, und auf dieser Strecke scheint der C6 einfach ein bisschen zu viel zu sein."
Fotostrecke: Schwarzes Gold: Alle Reifenhersteller der F1
In der Geschichte der Formel 1 engagierten sich neun verschiedene Reifenhersteller: Zwei davon hatten oder haben ihren Ursprung in Großbritannien, zwei in den USA und jeweils einer in Deutschland, Japan, Belgien, Frankreich und Italien. Hochzeiten des später als "Reifenkrieg" bezeichneten Szenarios mit mehreren Zulieferern zum gleichen Zeitpunkt sind die Jahre 1954 und 1958, als sechs verschiedene Firmen ihre Produkte ins Rollen bringen. 1950 beginnt alles mit vier Marken... Fotostrecke
"Es gibt hier zu viele Highspeed-Kurven, und da knickt er einfach ein bisschen ein. Er ist für diesen Streckentyp ein bisschen zu empfindlich", so der Williams-Pilot.
"Das ist nicht ungewöhnlich - wir versuchen ja in der F1 auch, ein gewisses Maß an Abbau im Rennen zu erzeugen. Ich denke, wir gehen insgesamt auf weichere Reifen - aber mittlerweile sind sie manchmal schon für das Qualifying zu weich."
Die Grundstimmung bei den Fahrern und einigen Teamchefs war, dass der C6 über die Dauer einer einzigen fliegenden Runde zu viel Leistung verlor, sodass es besser gewesen wäre, stattdessen den Medium zu nehmen, den C5, der bislang Pirellis weichste Mischung war.
Doch unter dem aktuellen F1-Reglement, das pro regulärem Wochenende nur 13 Reifensätze aus den drei verfügbaren Mischungen erlaubt, bedeutete das einen Kompromiss, den nicht alle Teams eingehen wollten.
Aston Martin pokert
"Das ganze Wochenende war ein bisschen verwirrend - welcher Reifen ist besser, der Medium oder der Soft?", sagt Fernando Alonso über Aston Martins Versuch mit dem Medium. "Also haben wir uns aus dieser Verwirrung heraus entschieden, in jeder [Qualifying-]Session einmal Soft und einmal Medium zu fahren."
"So haben wir jede Möglichkeit abgedeckt. Ich denke, wir waren mit beiden konkurrenzfähig, ehrlich gesagt", so der Spanier. "Alles hat eine Konsequenz, alles hat Vor- und Nachteile. Um so ein Programm im Qualifying fahren zu können, muss man einen harten Reifen opfern."
"Ich denke, alle haben morgen zwei harte Sätze. Wir haben nur einen - aber das ist die Wette, die man irgendwann eingehen muss. Es ist eine schwierige Strecke zum Überholen, also haben wir dem Samstag ein bisschen Priorität gegeben. Mal sehen, ob sich das auszahlt."
Verstappen wollte C5 nicht nehmen
Bis zu einem gewissen Grad ist das Abwägen von Risiko und Belohnung eine Frage der Perspektive. Max Verstappen, der sich mit dem C6 die zweite Startposition sicherte, entschied sich gegen das Risiko.
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"Ich wollte das nicht machen, weil ich die richtigen Reifen für morgen haben wollte", sagt er. "Ich stand dieses Jahr schon ein paar Mal auf Pole, aber das hat danach nicht wirklich geholfen. Wir müssen sicherstellen, dass wir im Rennen Punkte holen - das ist das Wichtigste."
Ein komplizierender Faktor - und einer, der Pirellis Wunsch nach strategischer Vielfalt entgegenwirkt - ist Imolas lange Boxengasse. Sie verleitet die Teams zu einer Einstoppstrategie, da der Zeitverlust beim Stopp (rund 28 Sekunden) sehr schwer wieder aufzuholen ist.
Zwischen Risiko und Disziplin
"Wir wussten, dass in Q3 einige Fahrer den C5 nehmen würden, weil er dieses Wochenende schneller ist", sagt Carlos Sainz, der in Q2 noch Bestzeit fuhr und Q3 als Sechster beendete. "Fernando hat ihn benutzt, Russell auch, und die haben sich besser qualifiziert, als man es eigentlich erwarten würde - was erneut beweist, dass der C5 schneller ist, weil er über eine Runde weniger abbaut."
"Sie haben gemacht, was alle erwartet haben - aber sie kompromittieren damit eventuell ihr Rennen morgen mit einem gebrauchten Reifen. Für uns war es zu wichtig im Rennen, den C5 nicht zu opfern", sagt er.
"Ich hätte es gemacht, aber das Team war sehr diszipliniert, ihn nicht zu verwenden. Aber P5 war heute das Maximum - eine gute Runde mit dem C5 hätte uns drei oder vier Zehntel nach vorne gebracht, aber nur eine Position. Also ist es, wie es ist."
Pirelli spricht bereits davon, den C6 auch in Baku sowie bei den ursprünglich geplanten Rennen einzusetzen - und das Konzept des "Komponenten-Springens" im weiteren Saisonverlauf voranzutreiben. Sollten die Fahrer, die für eine bessere Startposition auf den C5 verzichtet haben, im Rennen keinen Nachteil erleiden, könnte das den Kurs erneut verändern.