• 21. November 2022 · 09:13 Uhr

Warum Verstappen kein "Wingman" sein wollte: "Wäre das fair gewesen?"

Max Verstappen hätte es unfair gefunden, Charles Leclerc für seinen Teamkollegen zu blockieren, um Platz 2 in der Fahrer-WM für Red Bull zu erobern

(Motorsport-Total.com) - Es war die 34. Runde im Grand Prix von Abu Dhabi 2022, Sergio Perez war eine halbe Minute zuvor gerade zum zweiten Mal an der Box gewesen, und Max Verstappen hatte plötzlich die Stimme seines Renningenieurs Gianpiero Lambiase am Ohr.

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Bereits am Start hätte Verstappen Perez theoretisch auch durchlassen können Zoom Download


Lambiase: "Okay, Max, wir brauchen erhöhtes Reifenmanagement, erhöhtes Reifenmanagement, bitte."


Verstappen: "Aber dann holen sie mich ja ein. Was wollt ihr, dass ich tue? Die werden nah rankommen."


Lambiase: "Du bist vier Zehntel schneller als Leclerc in Sektor 2."


Lambiase: "Leclercs letzte Runde war eine 30.2, Max. Es sieht sehr danach aus, dass er bis zum Ende durchfährt. Also manage bitte deine Reifen."

Verstappen hatte zu dem Zeitpunkt 4,8 Sekunden Vorsprung auf seinen ersten Verfolger Charles Leclerc, und Perez hatte durch seinen zweiten Boxenstopp gerade den zweiten Platz im Rennen aufgegeben. Er hatte jetzt die um zwölf Runden frischeren Reifen als der Ferrari-Pilot, aber auch 20,0 Sekunden Rückstand, bei (knapp) 25 noch zu fahrenden Runden.

So hätte Verstappen den "Wingman" machen können

Die Überlegung, Verstappen jetzt anzuweisen, sich zurückfallen zu lassen, Leclerc einzubremsen und so Perez schneller an den Ferrari zu lotsen, schien naheliegend. Und vielleicht war die Aufforderung, Reifen zu schonen, auch so etwas wie eine codierte Empfehlung, genau das zu tun.

Denn: Der Hinweis an Verstappen, er sei im zweiten Sektor so deutlich schneller als Leclerc, der sollte womöglich signalisieren, dass er aufgrund seines Topspeeds praktisch nicht überholbar ist. Sektor 2 besteht nämlich, das muss man dazu wissen, im Grunde genommen nur aus den zwei langen Geraden zwischen Kurve 5 und Kurve 9, unterbrochen durch die Schikane 6/7.

Lambiases Ansage, Verstappen sei dort "vier Zehntel schneller" als Leclerc, war nur ein Teil der Wahrheit. Genauer gesagt: eine Momentaufnahme. In Runde 34 war Verstappen dort tatsächlich um 0,353 Sekunden schneller. In Runde 31 hatte er Leclerc im zweiten Sektor 0,096, in Runde 33 0,351 Sekunden abgenommen.

In Runde 32 war aber sogar Leclerc um 0,046 Sekunden schneller. Verstappen wirkte in jener Runde durch Kurve 5 etwas zaghaft, und er wollte von seinem Renningenieur wissen: "Funktioniert die Motorbremse noch? Ich bin mir nicht sicher."

Doch sollte Red Bull insgeheim tatsächlich gehofft haben, dass sich Verstappen zurückfallen lässt, um seine Reifen zu schonen, wurde man enttäuscht. Ganz im Gegenteil: Der Weltmeister zog das Tempo sogar noch an und baute den Vorsprung auf Leclerc bis Runde 40 auf 7,2 Sekunden aus.

Warum Verstappen Leclerc nicht einbremsen wollte

Eine Aufforderung des Teams, über seinen Kopf hinweg, die Ferraris einzubremsen, habe es während des Rennens nicht gegeben, versichert Verstappen. "Das wäre aber auch", findet er, "eine schwierige Entscheidung gewesen."

Erstens, weil so sein 15. Saisonsieg gefährdet gewesen wäre. Und zweitens "hätte ich mich natürlich breit machen können, aber ist das wirklich faires Racing? Es wäre sicher nicht die schönste Art und Weise gewesen, eine Saison so zu beenden."

Verstappen-Fans applaudieren: Ein großer Sportsmann, der Ferrari nicht einbremsen und mit fairen Mitteln gewinnen will.

Kritiker halten dagegen: Als es vor einem Jahr um seine eigene WM-Position ging, hatte er keine Skrupel wegen des fairen Racings. Damals feierte er Perez dafür, dass er Lewis Hamilton blockierte wie eine rollende Schikane, als "Legende".

War Red Bull zu wenig aggressiv?

Verstappen glaubt, dass Perez die inoffizielle "Vize-WM" ganz woanders verloren hat: "Es sah ja so aus, als würde 'Checo' genug aufholen, um noch ein Manöver zu versuchen. Aber dann verlor er ziemlich viel Zeit beim Überrunden von Pierre (Gasly) und Alex (Albon; Anm. d. Red.). Das habe ich auf den großen Screens gesehen."

Das war in Runde 56. Perez glaubt, die Situation habe ihm "wahrscheinlich eine Sekunde, oder eher sogar noch mehr" gekostet, als er eingangs Kurve 6 innen schon die Nase reinhielt, Gasly aber nicht sofort bereitwillig Platz machte.

Die Rekonstruktion der Rundenzeiten zeigt: Perez fuhr in Runde 56 im zweiten Sektor eine Zeit von 38,413 Sekunden und eine Rundenzeit von 1:29.446 Minuten. In Runde 55 hatte er im zweiten Sektor 38,431 Sekunden gebraucht, und für die ganze Runde 1:29.205 Minuten. Gasly kostete also weniger als die "Sekunde oder mehr", die Perez subjektiv wahrgenommen hat.

Perez versteht, dass der "halbe Teamkollege" in seinen eigenen Rad-an-Rad-Kampf vertieft war und deswegen nicht sofort zur Seite fuhr, sagt aber auch: "Unter normalen Bedingungen wäre das sicher eine Strafe für Pierre gewesen. Aber es war halt das letzte Rennen. Mir ist das jetzt egal. Ich will nur noch nach Hause und nicht mehr darüber diskutieren."

Start: Verstappen macht die Tür nicht auf

Es hätte auch noch andere Möglichkeiten für Verstappen gegeben, für Perez den "Wingman" zu machen. Etwa am Start, wo der Mexikaner schon fast auf gleicher Höhe war und sich ein Führungswechsel angeboten hätte. Verstappen hätte seinen Teamkollegen dann nach hinten abschirmen können.

"Im zweiten Stint war der Verschleiß auf dem Medium ziemlich hoch. Da hätten wir im Nachhinein betrachtet als Team vielleicht mehr für 'Checo' pushen können", räumt Verstappen ein. "Aber im Nachhinein sagt sich das immer leicht. Zu dem Zeitpunkt dachten wir ja, wir müssen die Reifen schonen."

Die Idee, dass er Perez auch hätte überholen lassen können, scheint Verstappen gar nicht erst in seinem Repertoire zu haben. Seiner Meinung nach hätte er aber um Runde 29 herum, als Perez mit den um fünf Runden älteren Reifen unmittelbar hinter ihm war, das Tempo etwas mehr anziehen können.

Perez: "Ich werde von Max aufgehalten"

Perez wurden von seinem Renningenieur jeweils vor Kurve 5 die Rundenzeiten von Verstappen und Leclerc durchgegeben, und als Leclerc in Runde 27 und 28 zweimal hintereinander um ein paar Zehntel schneller war, funkte Perez: "Ja, ich werde von Max aufgehalten."

Zu dem Zeitpunkt hatte er 2,2 Sekunden Rückstand auf Verstappen und 2,5 Sekunden Vorsprung auf Leclerc. In Runde 22, als Leclerc von seinem ersten (und einzigen Boxenstopp) wieder auf die Strecke kam, hatte der Abstand noch 7,2 Sekunden betragen.

"Ich war hinter Max, er auf einem Stopp, ich auf zwei, und da konnte ich meinen Stint nicht maximieren", bedauert Perez. "Wir haben nicht so gepusht, wie wir pushen hätten sollen. Und wir dachten, dass der Reifenverschleiß höher sein würde, als er letztendlich war. Sonst hätten wir in der Phase schneller fahren können."

Die Taktik von zwei Stopps auf einen umzustellen, "haben wir zwischenzeitlich diskutiert", räumt Perez ein. Leclerc fuhr 37 Runden mit dem Hard. Bei Perez wären es ohne zweiten Stopp 43 gewesen. Die hat Daniel Ricciardo im McLaren auch geschafft.

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