Formel-1-Streit: Müssen Sportkommissare endlich fix bleiben?
Carlos Sainz und andere Formel-1-Fahrer sehen die Strafenpraxis der FIA kritisch: Feste Sportkommissare könnten das Problem lösen
(Motorsport-Total.com) - Formel-1-Fahrer Carlos Sainz findet es "positiv", wie der Automobil-Weltverband (FIA) nach dem Niederlande-Grand-Prix mit dem Einspruch seines Williams-Teams umgegangen ist. Denn im Zuge der Neubetrachtung des strittigen Zwischenfalls mit Racing-Bulls-Fahrer Liam Lawson nahmen die Verantwortlichen die Strafpunkte gegen Sainz wieder zurück.
"Das ist ein gutes Zeichen", sagte Sainz vor dem Grand Prix von Aserbaidschan 2025 in Baku (alle Einheiten hier im Formel-1-Liveticker verfolgen!)."Ich sage nicht, dass jeder Fall so behandelt werden sollte, aber wenn es so offensichtliche Situationen gibt wie diese, ist es gut, dass es Mechanismen gibt, um das wieder geradezurücken."
Besonders in einem Fall, der für Sainz "schwarz-weiß" und damit "offensichtlich" war: "Dafür hätte es niemals eine Strafe geben dürfen", meint der Spanier. "Wir mussten nur ein oder zwei Beweise vorlegen, um die Diskussion wieder zu öffnen und die Sache richtigzustellen."
Der Unterschied zwischen "Richtlinie" und "Regel"
Aber ist das Thema damit abschließend geklärt? Sainz wittert weiteres Konfliktpotenzial, weil der Weltverband den Formel-1-Fahrern vor allem Richtlinien an die Hand gibt. "Eine Richtlinie ist aber keine Regel, sondern eine Orientierung für die Beurteilung eines Vorfalls", erklärt Sainz.
"Es gibt keine Regel, die sagt, dass ich nicht außen in einer Kurve fahren darf. Es gibt eine Richtlinie, die besagt: Wenn du außen bist, sehr wahrscheinlich nicht zurückziehst und es zu einer Kollision kommt, dann wirst du sehr wahrscheinlich bestraft."
Der Zwischenfall mit Lawson sei das "perfekte Beispiel" dafür, wie schwierig diese Richtlinie umsetzbar ist: "Wenn das Auto innen die Kontrolle verliert und den Unfall verursacht, spricht nichts dagegen, außen in der Kurve zu bleiben, solange du selbst keinen Crash verursachst."
Sainz wünscht sich gesunden Menschenverstand
Die vielen Vorgaben aber machen es den Fahrern schwer, sich stets korrekt zu verhalten. "Im Auto denke ich ehrlich gesagt nicht an Richtlinien", sagt Sainz. "Ich denke an sauberes Racing und daran, was ich für fair halte. Ich fahre nach dem Muskelgedächtnis aus 20 Jahren Motorsport."
"Wenn es dann zu einer Berührung oder einem Unfall kommt, von dem ich weiß, dass ich keine Schuld habe, dann muss man gesunden Menschenverstand einsetzen."
Doch das ist leichter gesagt als getan, vor allem unter "Druck von Medien, Fahrern und allen", die möglichst live eine Entscheidung der Sportkommissare einfordern, so Sainz.
"Was helfen würde: Wenn die 'Schiedsrichter' immer dieselben wären. Dann könnte ich nach Mustern und jahrelanger Zusammenarbeit einschätzen, wie sie entscheiden." Weil das aber nicht der Fall ist, sind Prognosen schwierig.
Sind permanente Sportkommissare die Lösung?
Das klingt wie der Wunsch nach permanenten Sportkommissaren in der Formel 1. Doch dem entgegen steht die Kostendiskussion: Wer würde das bezahlen?
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"Ich finde, wir als Gruppe sollten uns einigen", sagt Sainz und schlägt vor: Zwei der drei Kommissare sollen permanent für die Formel 1 arbeiten, der dritte "rotierend zu Ausbildungs- und Fairnesszwecken".
"Und ganz ehrlich: Wir sollten nicht über die Gehälter reden. Es gibt genug Geld im Sport, um diese Stellen zu finanzieren - genau wie die Gehälter aller anderen."
Sainz: Beim Rennleiter geht es ja auch
Wenn also nicht die Kosten der große Hemmschuh sind - was dann? "Es sind sich eben nicht alle einig", meint Sainz. "Manche argumentieren mit dem Fußball: Dort gibt es auch immer unterschiedliche Schiedsrichter und keiner beschwert sich. Andere Sportarten haben dagegen feste Schiedsrichter."
"Und natürlich gibt es die Sorge, dass ein mehrfach bestrafter Fahrer irgendwann behauptet: 'Der Steward hat etwas gegen mich!' Ich verstehe beide Seiten. Aber meine Meinung ist klar: Mit dem Rennleiter funktioniert es auch."
"Ich genieße die Zusammenarbeit mit dem neuen Rennleiter, wir verstehen allmählich, wie er Entscheidungen trifft, und unsere Beziehung entwickelt sich. Das ist nur möglich, weil er fix dabei ist und nicht ständig wechselt. Das gleiche Prinzip sehe ich bei den Sportkommissaren."
Doch laut Sainz liegen die Probleme auch woanders, nämlich bei den FIA-Richtlinien zum korrekten Verhalten auf der Strecke. "Die sollen eigentlich klarer machen, wer wahrscheinlich die Verantwortung [für einen Zwischenfall] trägt. Aber den erhofften Effekt hat das nicht. Denn nur in der Theorie ist es klar, aber in der Praxis nicht."
Alexander Albon ist "immer noch unsicher"
Das sieht auch Sainz-Teamkollege Alexander Albon so. Er sagt: "Ich weiß immer noch nicht wirklich, wie man richtig racen soll. Ich bin immer noch unsicher, was erlaubt ist und was nicht."
"Gut ist, dass die FIA uns Einblicke in ihre Entscheidungen gibt und wir gute Diskussionen führen können. Es ist nicht 'wir gegen sie', sondern sehr kollaborativ. Und eigentlich wollen wir nur Konsistenz. Darum geht es. Trotzdem ist genau das so schwer zu regeln, weil jede Situation anders ist."
Doch Albon kennt auch andere Szenarien: "Im Kartsport oder generell im Nachwuchsbereich war es viel klarer. Man wusste einfach durch Gefühl und Erfahrung, was man tun darf und was nicht. Jetzt weiß ich nicht mehr, was fair ist und was nicht, was zum guten Ton gehört und was nicht. Das ist mein Problem."
Permanente Sportkommissare könnten hier Abhilfe schaffen, glaubt auch Albon. "Man wüsste dann, was erlaubt ist und was nicht. Man entwickelt ein Gefühl, und das kann sich von Rennen zu Rennen ändern."
Ocon erkennt "Unsicherheiten" bei den Fahrern
Genau das spricht laut Haas-Fahrer Esteban Ocon für die immer gleichen Sportkommissare: "Ich war nie ein Fan von rotierenden Ingenieuren oder Mechanikern. Das haben wir bei Alpine zeitweise gemacht - und ich habe es gehasst. Denn du willst etwas aufbauen, aber dem Nächsten fehlt das Vorwissen. Mit wechselnden Sportkommissaren ist es ähnlich."
Ocon spricht von einer "gewissen Unsicherheit" für die Formel-1-Fahrer, "weil wir nicht genau wissen, was sie von uns erwarten. Es wäre einfach mit immer den gleichen Leuten."
Immerhin erkennt Ocon einen "großen Fortschritt" im Vergleich zu früher: "Heute sind die Sportkommissare sehr klar [in ihren Aussagen] und transparent." Das hatten sich die Fahrer stets gewünscht. Trotzdem gibt es weiterhin Diskussionen.