Kleine Schritte, große Wirkung? Ferraris Hoffnung auf Fortschritt
Was sich tun muss, damit Ferrari wieder ganz vorne steht: Teamchef Frederic Vasseur erklärt seinen Fahrplan für das Formel-1-Traditionsteam
(Motorsport-Total.com) - Nach Punkten ist Ferrari nach einem Viertel der Formel-1-Saison 2025 nur die vierte Kraft hinter McLaren, Mercedes und Red Bull - zu wenig für die eigenen Ansprüche und das Selbstverständnis als erfolgreichster Formel-1-Rennstall. Das wirft die Frage auf: Hat Ferrari die richtigen Leute, um wieder zum Spitzenteam zu werden?
Teamchef Frederic Vasseur bejaht diese Frage, auch wenn die aktuellen Ergebnisse das nicht zeigen: "Wahrscheinlich haben nur wir im Vergleich zum Saisonende 2024 einen Schritt zurück gemacht, aber das kann sich nächstes Jahr komplett umkehren. Und das kann genauso bei anderen Teams passieren. Wir müssen einfach weiter am Auto arbeiten."
Und das mit verändertem Spitzenpersonal: Enrico Cardile hat Ferrari in Richtung Aston Martin verlassen, aber mit Loic Serra ist vor einem halben Jahr sein Nachfolger als Chassis-Direktor nach Maranello gekommen. Da aber war der Ferrari SF-25 schon "zu 90 Prozent" entwickelt.
"Wir müssen jetzt sicherstellen, dass wir das Maximum aus dem Auto herausholen", sagt Vasseur. "Solange wir dieses Gefühl nicht haben, können wir eigentlich nicht sicher sein, welches Potenzial im Auto steckt. Ich denke, da gibt es noch Spielraum für Verbesserungen."
Welche Einstellung Vasseur bei Ferrari hat
Es sei von außen vielleicht nicht sichtbar, "aber wir steigern uns", beteuert Vasseur - "in unserem Ansatz, in unserem Verständnis. Nur weil du nicht das beste Auto deiner Karriere gebaut hast, heißt das nicht, dass die Struktur nicht funktioniert. Wir haben großes Vertrauen in das Team."
"Klar müssen wir uns verbessern, aber das hängt nicht allein vom Ergebnis ab. Ob du nun P1, P4 oder P10 bist - in meinem Geschäft ist es Teil der DNA, dass man morgen einen besseren Job machen muss als heute. Wenn du Erster bist und diese Einstellung nicht hast, bist du im Folgejahr erledigt."
Hamilton bei Ferrari: Das Ende einer Legende?
Datenexperte Kevin Hermann analysiert mit der OneTiming-Software von PACETEQ den Großen Preis von Saudi-Arabien. Weitere Formel-1-Videos
"Und wir verfolgen genau diesen Ansatz: Wahrscheinlich haben wir beim Auto Fehler gemacht, und wir müssen es besser machen. Aber die Motivation ist da, die Denkweise ist da, und ich bin sicher, dass wir einfach weiterentwickeln, die Probleme analysieren und lösen müssen - und dann wird sich das alles wieder auszahlen."
Warum Ferrari 2025 nicht vorzeitig aufgibt
Die Probleme - dazu zählt in diesem Jahr unter anderem die Abstimmung des SF-25, die "nicht funktioniert", wie sich Vasseur das vorstellt. Der Ferrari-Teamchef warnt jedoch davor, die Saison 2025 vorzeitig aufzugeben: "Das wäre ein Fehler."
"Wenn man sich verbessern will, muss man konkurrenzfähig bleiben. Denn gerade, wenn man um etwas kämpft, achtet man auf die Details. Vielleicht sehe ich das falsch, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Team aus 1.000 Leuten motiviert bleibt, wenn man einfach aufgibt." Ein Rennstall brauche "Ergebnisdruck", um den Teamgeist zu wahren.
Was nicht heißt, dass Ferrari nicht schon an 2026 arbeitet. "Aber für das Team, das an der Strecke arbeitet, ist aufgeben keine Option. Wenn noch 20 Rennen ausstehen, kannst du nicht einfach sagen: 'Wir lassen das jetzt.' Du musst weitermachen, dich weiterentwickeln. In jedem einzelnen Bereich kannst du einen Fortschritt machen", sagt Vasseur.
Auch kleine Fortschritte können helfen
Denn Tatsache ist: Ferrari ist aktuell zu langsam, um mit McLaren, Mercedes und Red Bull mithalten zu können. "Im Schnitt fehlen uns drei Zehntel zur Poleposition, aber weniger als ein Zehntel auf Platz drei. Das heißt: Wir reden von zehn Hundertsteln. Und wenn es zehn Bereiche gibt, in denen du jeweils ein Hundertstel gutmachen kannst, dann sieht das Gesamtbild schon ganz anders aus."
Fotostrecke: Seit 1960: Ferrari-Formel-1-Fahrer ohne Sieg für die Scuderia
Oliver Bearman (2024): Als 18-Jähriger kommt der Brite 2024 in Saudi-Arabien völlig überraschend zu seinem Ferrari- und Formel-1-Debüt, weil Carlos Sainz kurzfristig ausfällt. Er bekommt viel Lob für seine Leistung und P7, aber weil er sein (bislang) einziges Rennen für die Scuderia natürlich nicht gewinnt, taucht sein Name hier auf. Fotostrecke
Für Vasseur ist das "keine Mathematik, sondern eine Haltung", wie er erklärt. "Und ich will, dass jeder unter Druck bleibt, Leistung zu bringen. Diese Einstellung müssen wir beibehalten."
"Ich habe vorhin gesagt, dass wir Fortschritte machen. Das klingt ein bisschen arrogant, wenn man sich die aktuellen Ergebnisse anschaut, aber ich bin wirklich überzeugt, dass wir uns langfristig verbessern. Nur: Das zeigt sich nicht über Nacht."
Barrichello traut Ferrari die Trendwende zu
So sieht es auch der ehemalige Ferrari-Fahrer Rubens Barrichello, der von PokerStrategy zu seinem Ex-Team befragt wurde. Barrichello meint: "McLaren hat fünf Jahre gebraucht, um dorthin zu kommen, wo es jetzt ist."
"Bei Ferrari gab es zu viele Wechsel - bei den Bossen, den Technikchefs, den Ingenieuren und den Fahrern. Deshalb dauert es länger, an die Spitze zu kommen."
Er sei aber zuversichtlich, Ferrari bald wieder im Aufwind zu sehen. Entscheidend dafür sei gutes Führungspersonal. "Und das sind gute Leute", sagt Barrichello.