• 24. Oktober 2023 · 07:35 Uhr

Disqualifikation von Hamilton und Leclerc: Alle Hintergründe

Zwei Autos stolperten bei der Formel 1 in Austin über eine Routinekontrolle, die sonst kaum für Probleme sorgt - Wie konnte das passieren? - Eine Spurensuche

(Motorsport-Total.com) - Die Disqualifikation von Lewis Hamilton und Charles Leclerc nach dem Großen Preis der USA war das erste Mal seit Jahren, dass Autos gegen die Abutzungsregeln der Bodenplatten in der Formel 1 verstoßen haben.

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Lewis Hamilton war einer betroffenen mit der abgenutzten Bodenplatte Zoom Download

Tatsächlich gab es in der Geschichte der Formel 1 bemerkenswert wenige Fälle, bei denen die Platten zu stark abgenutzt waren - der berühmteste Fall ist immer noch die Disqualifikation von Michael Schumacher beim Großen Preis von Belgien 1994.

Umso erstaunlicher ist es, dass in einem Bereich des Autos, in dem die Teams sehr darauf achten, dass es keinen Spielraum für Fehler gibt, gleich zwei Topteams an ein und demselben Rennwochenende in die Falle tappten.

Beiden Teams blieb es nur übrig, ihr Schicksal bei den Stewards einfach hinzunehmen, nachdem der Regelverstoß festgestellt worden war. Wie Mercedes-Chef Toto Wolff sagt: "Es gibt keinen Spielraum in den Regeln. Wir müssen es auf uns nehmen, daraus lernen und stärker zurückkommen."

Was die Regeln sagen

Die Toleranz in Bezug auf die Legalität der Bodenplatte ist winzig, da zwischen einer frisch montierten Platte und einer, die alle Strapazen eines Rennens hinter sich hat, nicht mehr als 1 Millimeter Verschleiß bestehen darf.

Um die Einhaltung der Regeln zu überprüfen, misst die FIA die Abnutzung der Platte mit vier Löchern von 50 Millimetern Durchmesser, die an bestimmten, im technischen Reglement festgelegten Stellen in die Oberfläche gebohrt werden.

Im Fall von Leclerc und Hamilton war es das hinterste Loch, das den Test nicht bestand. Dieses Loch muss sich auf der Mittelachse des Autos in einem Abstand von 825 bis 1025 Millimetern vor der Hinterachslinie befinden.

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Der hintere Messpunkt der Bodenplatte ist variabel, die drei vorderen Punkte (zu erkennen an den Metallschienen drum herum) sind vorgeschrieben Zoom Download

Das bietet also eine gewisse Variabilität in Bezug auf die Abnutzung der verschiedenen Fahrzeuge, da es im Gegensatz zu den drei gleich Löchern an der Vorderseite der Platte keinen bestimmten Punkt für das Bohrloch gibt.

Die Bohrlöcher in der Platte (die übrigens nicht mehr aus Holz, sondern aus einem Verbundwerkstoff besteht) sind von bündig montierten Titanschienen umgeben.

Diese bieten weiteren Schutz vor Abnutzung und sind in ihrer Bauart ebenfalls streng geregelt. Dies ist ein Bereich, den die FIA bei der neuen Generation von Autos genau überwacht. Sie hat bereits mehrere technische Richtlinien als Reaktion auf Ungereimtheiten in ihrem Design erlassen.

Ein interessanter Diskussionspunkt nach den Disqualifikationen war, dass die FIA die Bodenplatte nicht bei allen Autos überprüft hat.

Dies ist das übliche Verfahren, da es für den Weltverband unmöglich wäre, nach jedem Qualifying und jedem Rennen die Einhaltung der Vorschriften an jedem einzelnen Auto zu überprüfen. Deshalb wählt die FIA jedes Mal zufällige Elemente von zufällig herausgezogenen Autos aus, um die Einhaltung der Vorschriften zu überprüfen.

Bei dieser Gelegenheit wurden der Red Bull RB19 von Max Verstappen, der Ferrari SF-23 von Charles Leclerc, der Mercedes W14 von Lewis Hamilton und der McLaren MCL60 von Lando Norris ausgewählt, um ihre Planken zu überprüfen.


Fotos: F1: Grand Prix der USA (Austin) 2023


Bei Red Bull und McLaren gab es grünes Licht, bei Ferrari und Mercedes hingegen nicht.

Der Auslöser

Der technische Grund für den übermäßigen Verschleiß der Bodenplatten ist einfach zu erklären. Die Autos fuhren mit zu wqenig Bodenfreiheit, was sie im Laufe des Austin-Wochenendes abnutzte.

Die Ursache dafür liegt in der Wahl der hinteren Fahrhöhe, mit der die Teams an jedem Wochenende experimentieren. Sie kann aber auch durch die Kraftstoffmenge und die Nutzung des DRS beeinflusst werden, wenn sich die Aero-Belastung am Auto erhöht oder verringert.

Normalerweise haben die Teams an einem Grand-Prix-Wochenende genügend Zeit, um die Bodenfreiheit so einzustellen, dass die Platte nicht abgenutzt wird, das Auto aber niedrig genug ist, um maximale Performance zu generieren.

Dieses Gleichgewicht ist an Wochenenden mit Sprintrennen jedoch schwieriger zu erreichen, da die Teams nur eine Trainingssitzung haben, um ihre Einstellungen vor dem Qualifying festzulegen. An einem normalen Formel-1-Wochenende sind es deren drei. (Ist die Disqualifikation ein Stich ins Wespennest?)

Als Folge des verkürzten Zeitplans ist es nicht möglich, die Qualifying- und Long-Run-Programme wie üblich zu absolvieren. Alle Berechnungen der Fahrzeughöhe, die während dieser ersten Trainingssitzung vorgenommen werden, müssen die weiteren Sitzungen wie den Sprint und dessen Qualifying-Shootout berücksichtigen, bei denen die Fahrzeugabstimmung festgelegt ist.

Außerdem können die Teams die Abnutzung der Bodenplatten nicht so einfach überprüfen, wie es normalerweise der Fall ist, weil die Autos im Parc Ferme stehen. Somit ist ein gewisses Maß an Schätzungen notwendig.

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Die Formel-1-Autos müssen an Sprint-Wochenenden früh in den Parc Ferme Zoom Download

Wir haben es in diesem Jahr schon einige Male erlebt, zum Beispiel bei Alpine in Baku, dass Teams nach dem Sprint festgestellt haben, dass die Bodenfreiheit zu niedrig war und die Gefahr bestand, dass die Bodenplatte im Grand Prix zu stark abgenutzt werden könnte. Die Autos wurden aus dem Parc Ferme geholt, um die Fahrhöhe zu ändern, und starteten aus der Boxengasse nach.

Ferrari gab nach dem Rennen bekannt, dass man im ersten Training Zeit damit verbracht hatte, die Bodenfreiheit der Autos zu erhöhen, als klar wurde, welch starken Einfluss die Bodenwellen hatten. Aber das Auto wurde offensichtlich nicht ausreichend höhergelegt.

Interessanterweise deutet auch einiges darauf hin, dass das Wetter eine Rolle gespielt haben könnte. Ein stärkerer Wind als ursprünglich vorhergesagt und eine Änderung der Windrichtung könnten dazu geführt haben, dass das Auto in einigen Bereichen der Strecke weiter nach unten gedrückt wurde als im Training, womit die Bodenplatte durchschlug.

Die Situation in Austin wurde auch durch die unebene Strecke erschwert, die von Max Verstappen als nicht Formel-1-tauglich beschrieben wurde. Ein weiterer möglicher Faktor sind die Reifen, denn es ist sicherlich kein Zufall, dass die beiden Autos, die von den Bodenplattenproblemen betroffen waren, längere erste Stints fuhren.

Wir wissen, dass mit dem Verschleiß der Reifen weniger Lauffläche übrig bleibt, was nicht nur die Haftung verringert, sondern auch mehr Hitze entweichen lässt. Das kann dazu führen, dass der Reifendruck am Ende der Laufzeit der Reifen sinkt, was wiederum eine geringere Bodenfreiheit zur Folge hat.

Sowohl Hamilton als auch Leclerc fuhren längere erste Stints auf dem Mediums, um einen strategischen Offset gegenüber Verstappen und Norris zu schaffen. Das könnte zu einem zusätzlichen Verschleiß der Bodenplatten in dieser Phase des Rennens geführt haben, als die Autos noch vergleichsweise viel Benzin im Tank hatten.

Lektionen gelernt

Alle oben genannten Faktoren trugen dazu bei, dass Mercedes und Ferrari außerhalb des zulässigen Toleranzfensters lagen. Wie Andrew Shovlin, Technikdirektor bei Mercedes, erklärt: "Leider ist dies eine der Tücken des Sprintformats, bei dem wir nur eine einzige Stunde vor dem Parc Ferme fahren können."

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Eine Bodenplatte des McLaren MCL36 Zoom Download

"Der Verzicht auf Longruns im ersten Freien Training in Kombination mit einer so holprigen Strecke, hat dazu beigetragen, dass der Verschleiß höher als erwartet ausfiel. Daraus werden wir lernen."

Es wird interessant zu sehen sein, ob die Teams auf holprigen Strecken mit Sprintformat - wie demnächst in Interlagos - ihre Programme im ersten Training ändern und mindestens einen Run mit vollen Tanks absolvieren werden, um die Auswirkungen auf die Bodenfreiheit besser zu verstehen.

Darüber hinaus werden die Disqualifikationen von Hamilton und Leclerc wahrscheinlich eine neue Debatte darüber auslösen, ob die Parc-Ferme-Regeln für die Sprint-Wochenenden geeignet sind, da sich die Teams so früh auf ein Set-up festlegen müssen.

In Anbetracht der Diskussionen über eine Überarbeitung des Sprintformats könnten die Parc-Ferme-Regeln durchaus geändert werden, um eine Wiederholung der Ereignisse aus Austin zu vermeiden.

Zwar mögen sich Ferrari und Mercedes ein wenig benachteiligt fühlen, doch werden sie vielleicht ein wenig erleichtert sein, dass ihre anderen Fahrer nicht das gleiche Schicksal erlitten haben, da nicht alle Autos nach dem Rennen kontrolliert worden sind.

Denn die Frage, die sich nun jeder stellt, lautet: Wie viele andere Autos wären bei den Kontrollen der Bodenplatten durchgefallen, wenn die FIA alle Fahrzeuge überprüft hätte?

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