• 17. November 2022 · 20:22 Uhr

Sebastian Vettels Formel-1-Abschied: "Fühlt sich schon etwas anders an"

Formel-1-Fahrer Sebastian Vettel vor seinem letzten Grand Prix: Mit welcher Stimmung er an den Start geht, was seine Pläne sind und was er vermissen wird

(Motorsport-Total.com) - Sebastian Vettel kommt mit einem Lächeln ins Fahrerlager der Formel 1 in Abu Dhabi, und mit einer verspiegelten Sonnenbrille. Seine Augen sieht man nicht. Und unsichtbar ist auch, was in ihm vorgeht zum Auftakt seiner letzten Grand-Prix-Veranstaltung. Wie viel Wehmut schwingt mit und wie viel Vorfreude auf das, was kommt? In der Pressekonferenz gibt Vettel zumindest einen kleinen Einblick in sein Seelenleben vor dem Formel-1-Rücktritt.

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Sebastian Vettel bei seiner Ankunft im Formel-1-Fahrerlager in Abu Dhabi 2022 Zoom Download

Gleich zu Beginn sagt Vettel, er wisse eigentlich gar nicht, wie er sich vor dem Wochenende fühle. Und er scherzt: "Vielleicht solltet ihr Fernando [Alonso] fragen, der hat das schon mal durchgemacht!"

Es gehe ihm aber gut vor dem Wochenende, versichert Vettel: "Ich fühle mich okay. Nach so vielen Jahren und Rennen hat man am Donnerstag eine gewisse Routine. Es ist irgendwie schwierig zu fassen. Ich bin mir aber natürlich dessen bewusst, was passiert, und ich freue mich darüber, so gut es geht."

Keine Prognosen von Vettel, wann es emotional wird

Ob die Emotionen wohl beim Fahren am größten sein werden, wird Vettel gefragt. Er wagt keine Prognose, sondern meint schlicht: "Werden wir sehen."

"Ich schätze, an einem Punkt wird es ein bisschen anders. Es fühlt sich schon heute etwas anders an, auch wenn vieles Routine ist, wie ich schon sagte. Aber ja: Wie viel und wie, das weiß ich noch nicht. Ihr müsst mich also schon nochmal danach fragen, falls ihr mich erwischt!"

Die bleibenden Momente aus der Formel-1-Zeit

Und jetzt, wo Vettel schon in der Pressekonferenz sitzt, wird er natürlich gefragt. Zum Beispiel nach Erinnerungen aus seiner Formel-1-Zeit, die ihm bleibenden werden. Ob es da vielleicht den einen Grand Prix gibt, den er besonders in Ehren hält.

Vettel aber winkt ab: "Ich glaube, es wäre nicht fair, nur eine Erinnerung herauszupicken. Und ich kann jetzt ja nicht eine Stunde lang reden und ich will das auch gar nicht. Aber: Ich darf mich glücklich schätzen, dass es so viele Momente gibt, aus denen ich auswählen kann." Er erinnere sich nach so vielen Jahren aber "unmöglich an alles", gibt er zu bedenken.

Dass der erste Sieg 2008 in Monza und der erste WM-Titelgewinn 2010 in Abu Dhabi einen besonderen Stellenwert für ihn haben, das geht aus seinen folgenden Äußerungen hervor. Denn "die ersten Male stechen sicherlich heraus", sagt Vettel. "So ist das immer."

Wie Vettel die Aston-Martin-Zeit bewertet

Weiter meint er: "Jede Phase hatte ihre Höhepunkte. Ich habe auch die letzten beiden Jahre genossen, obwohl sie aus sportlicher Sicht vielleicht kein echter Höhepunkt waren. Es gab nichts zu feiern, so gesehen also auch keine Erfolge."

"Ich habe trotzdem einiges gelernt, habe mich weiterentwickelt, bin gereift und hatte eine tolle Zeit mit dem Team. Auf der Strecke haben wir zwar keine Belohnung erhalten, aber ich glaube, es wäre nicht fair, nur ein Rennen oder einen Moment rauszupicken."


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Hier werden die in der Pressekonferenz anwesenden Journalisten hellhörig. Was er denn bei Aston Martin gelernt habe, will ein Medienvertreter von Vettel wissen. Der Deutsche verweist darauf, dass er eigentlich schon 2020 "erstmals" ans Aufhören gedacht habe, der Gedanke aber noch nicht so stark gewesen sei.

Der gewünschte Erfolg blieb aus für Vettel und das Team

"Ich hatte das Gefühl, ich wollte fahren, und ich war dankbar für die Chance, die ich [bei Aston Martin] bekommen habe", erklärt Vettel. "Die Hoffnungen waren natürlich groß, weil das Team 2020 so gut gewesen war. Das Ziel lautete, daran anzuknüpfen. Es kam aber anders."

In der Tat: Aston Martin fuhr mit Vettel den eigenen Ansprüchen hinterher, Vettel setzte nur punktuell Akzente wie bei seinem Podestplatz in Baku oder auch mit einem Top-5-Platz in Monaco. Häufig allerdings reichten seine Aston-Martin-Fahrzeuge nur aus für kleine Punkte am hinteren Ende der Top 10, wenn überhaupt.

Doch Vettel meint, die Aston-Martin-Jahre seien aus anderen Gründen "wichtig" für ihn gewesen: "Einmal aus fahrerischer Sicht, aber auch, weil ich die Gelegenheit bekam, abseits der Strecke noch mehr zu reifen. Ich habe ein paar Dinge angestoßen, die uns allen sehr, sehr wichtig sind. Ich hatte die Freiheit und den Raum, das auch tun zu können."

"Aber auch aus sportlicher Sicht: Ich hatte nicht so viele Rennen, in denen ich aus den Top 10 losgefahren bin. Das ist dann ein ganz anderes Rennen. Es ist stressiger, hektischer, es passiert viel mehr."

"Wenn du aus den Top 5 losfährst, dann hast du ein sauberes Rennen und brauchst dir keine Gedanken zu machen. Von weiter hinten aber ist immer alles möglich."

Vettel entdeckt die Formel 1 neu im Mittelfeld

Er habe bei Aston Martin eine ganz neue Facette an der Formel 1 entdeckt, sagt Vettel. "Ich wusste gar nicht, wie viel Einsatz ein Team im Mittelfeld erbringt. Wenn du vorne bist, kriegst du gewissermaßen gar nicht mit, dass es solche Teams gibt, aber da ist man mit viel Engagement bei der Sache, kriegt nur die Belohnung dafür nicht. Das betrifft Teams und Fahrer."


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"Der Einsatz ist so groß wie an der Spitze, aber [die Medien] interessieren sich nur für die ganz vorne. Das ist eben so im Sport und so soll es ja auch sein. Aber diese unterschiedlichen Aspekte haben mich vieles über unseren Sport gelehrt, über mein Rennfahren, aber auch über das Leben."

Was er vermissen wird an der Formel 1

Ob er all das vermissen werde, wird Vettel gefragt. Die Action, das Adrenalin im Cockpit? "Das weiß ich noch nicht", antwortet Vettel. "Ich habe mir aber definitiv Gedanken gemacht über viele Dinge, und auch über das Adrenalin."

"Für mich ist das Höchste der Gefühle immer noch Suzuka. Denn diese Strecke zeigt einfach die schiere Leistung der Autos. Da hatte ich immer ein Hochgefühl im Vergleich zu anderen Strecken. Das wird mir fehlen und das lässt sich auch nicht ersetzen."

Er habe jetzt aber die Chance, etwas ganz anderes zu tun und er habe "sicherlich viele Möglichkeiten", so Vettel. "Ich befinde mich da in einer privilegierten, glücklichen Position. Wenn wir aber von Adrenalin sprechen, dem Gefühl im Auto, wenn du die Kräfte spürst, den Grip und alles auf der Strecke - das wird verschwinden."

"Aber an irgendeinem Punkt trifft das jeden von uns, außer Fernando! Da muss man unterm Strich einfach damit klarkommen und vielleicht etwas anderes finden, das es in kleinem Maßstab ersetzen kann." Was konkret das sein könnte, dazu sagt Vettel nichts.

Vettel in einer anderen Rennserie?

Vielleicht die Teilnahme an einer anderen Rennserie? Vettel räumt zumindest ein, dass er sich dazu Gedanken mache. O-Ton: "Ja, natürlich schaut man sich andere Sachen an. Ich weiß es aber noch nicht. Das ist die Antwort."

Er wolle zu Beginn seines Formel-1-Ruhestands vor allem keine Pläne schmieden, sondern er freue sich erst einmal "auf das Nichts", meint Vettel. Er schiebt hinterher: "Zumindest zu Beginn. Dann schauen wir mal, was das mit mir macht."

Er habe nämlich "noch vieles andere im Kopf", unterschiedliche Interessen und Ideen außerhalb des Rennsports. "Aber: Ich habe das jetzt so lange gemacht und der Motorsport nimmt einen zentralen Platz in meinem Leben ein. Es wäre also wohl schwierig, zu behaupten, es würde mir nicht fehlen. Wie sehr und ob ich mir etwas anderes suchen würde, das müssen wir abwarten."


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Wenn er sich Stand heute für etwas entscheiden müsste, dann denke er zum Beispiel an Rallyes. Begründung: "Aus irgendwelchen Gründen haben mir Rallyes immer sehr gefallen. Ich halte das aber für eine sehr große Herausforderung, weil es so anders ist als das, was wir hier machen, klassisch auf der Rundstrecke."

Endlich mal nicht mehr an einen Kalender gebunden sein

Ob das etwas für ihn sein könnte, "weiß ich nicht", sagt Vettel. Und: "Es wird sich zeigen."

Er wolle sich nämlich eigentlich keinem Terminkalender mehr unterwerfen, sondern die neue Freiheit genießen nach dem Ende seiner Formel-1-Laufbahn. "Ich muss mich nicht im Januar vorbereiten, zum Team reisen, mich bereit machen für die neue Saison, das neue Auto anschauen", sagt Vettel.

"Es gibt viele Dinge, an denen ich mich in den vergangenen Jahren festgehalten habe. Jetzt freue ich mich darauf, dass all das wegfällt. Nicht, weil ich all das gehasst habe. Ich hasse den Rennsport nicht, ich liebe ihn. Es gab dieses Jahr so viele Momente, in denen ich geliebt habe, was ich tue."

Raus aus der Komfortzone, hinein ins Abenteuer

Nun aber folge ein neues Kapitel, eine "neue Herausforderung", so Vettel. "Ich sehe das als eine Möglichkeit, vieles über mich selbst zu lernen und mich in die Position zu versetzen, die ich vorher nicht einnehmen konnte und mit der ich mich nicht wohlfühle."

"Denn die Wahrheit ist: Nach so vielen Jahren kannst du den Job im Schlaf. So will ich es nicht sagen, denn das klingt arrogant. Aber: Du kannst den Job mit viel Routine und viel Erfahrung machen. Es gibt nicht mehr viele Überraschungen."

"Ich freue mich deshalb darauf, überrascht zu werden, über mich selbst zu lernen und mehr Zeit mit meinen Kindern und der Familie zu verbringen, mit ihnen zu lernen. Das wird eine ganz andere Herausforderung für mich, in einem ganz anderen Tempo."

Er komme aber nun auch dazu, "Dinge zu tun, für die ich bisher keine Zeit gehabt habe", sagt Vettel, erneut ohne ins Detail zu gehen. Was ihm in der Formel 1 verwehrt blieb und was er gerne schon getan hätte, das führt er nicht weiter aus.

Nur so viel: "Ich freue mich darauf, keinen Kalender zu haben, auf dem steht, was ich im März vorhabe oder im April oder im Mai. Irgendwann aber muss ich ein paar Dinge finden, die mich beschäftigen, denn ich bin von Haus aus jemand, der sich gerne mit etwas beschäftigt."

Aber nicht mehr hauptberuflich mit der Formel 1. Denn dieser Lebensabschnitt von Sebastian Vettel endet am 20. November 2022 mit dem Abu-Dhabi-Grand-Prix.

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