• 29. Oktober 2022 · 16:16 Uhr

Herz-OP, Mittagessen, Segelboote: So erklärt Red Bull den Budgetverstoß!

Red Bull wird in 13 Punkten vorgeworfen, gegen die Finanzregeln verstoßen zu haben, doch jetzt erklärt Christian Horner, warum er dem Urteil nicht zustimmt

(Motorsport-Total.com) - Christian Horner setzte eine ernste Miene und seine Lesebrille auf, als er sich am Freitagvormittag in Mexiko-Stadt in den großen Pressekonferenzraum setzte und von mehreren A4-Zetteln eine vorformulierte Erklärung ablas. Zweieinhalb Stunden zuvor hatte die FIA nach wochenlangen Spekulationen endlich das Strafmaß gegen Red Bull im Budgetstreit veröffentlicht, und es war dem Teamchef offenbar ein Anliegen, das sogenannte "ABA" aus seiner Perspektive in Kontext zu setzen.

Foto zur News: Herz-OP, Mittagessen, Segelboote: So erklärt Red Bull den Budgetverstoß!

Christian Horner bei der Pressekonferenz am Freitag in Mexiko Zoom Download

Das "accepted Breach-Agreement", eine Art außergerichtliche Einigung, auf die sich die FIA und Red Bull wegen des Verstoßes gegen die Budgetobergrenze geeinigt haben, protokollarisch gedeckt durch das Finanzreglement der Formel 1, beinhaltet sieben Millionen US-Dollar Strafe sowie ein Eingriff in die "ATR" (aerodynamic Test-Restrictions) um zehn Prozent. Zusätzlich muss Red Bull für die Kosten, die durch die Untersuchung entstanden sind, aufkommen.

Aus Horners Sicht begann sich die Geschichte bereits im April 2021, zumindest aus der Nachhinein-Perspektive betrachtet, in die falsche Richtung zu entwickeln. Damals fand eine sogenannte "Interim-Submission" statt, also eine Einreichung einer Zwischenbilanz beim Budgetkomitee der FIA. Und auf das, was Red Bull damals einreichte, gab es "kein Feedback" seitens des Verbandes.

Daraus schloss Red Bull, so schildert es zumindest Horner, dass die Art und Weise, wie welche Positionen in die Bilanz eingebucht werden, in Ordnung sei. "Weil es keinen Einwand gab, haben wir die darin angewandte Methodologie fortgeführt und auch für unsere Einreichung im März 2022 für die Saison 2021 herangezogen", sagt er.

30. September: So kam der Stein ins Rollen

Doch nach und nach brauten sich dunkle Wolken über Red Bull zusammen. Vor dem Singapur-Wochenende tauchte am 30. September in der Fachpublikation 'auto motor und sport' ein Bericht mit dem Titel "Red Bull im Visier" auf, der suggerierte, dass Red Bull die Budgetobergrenze 2021 in einem Rahmen von mehr als sieben Millionen Dollar überzogen haben soll.

Darüber sei Horner, sagt er, "überrascht und schockiert" gewesen: "Enorme Summen wurden genannt und harte Vorwürfe von einigen unserer Mitbewerber formuliert. Wir waren besorgt über die Detailtiefe einiger dieser Berichte und fragten uns, ob es da ein Leck gibt, weil wir zu dem Zeitpunkt ja noch gar nicht angeklagt waren, gegen die Budgetgrenze verstoßen zu haben."

Für den 3. Oktober, erinnert sich der Red-Bull-Teamchef, sei eigentlich ein Meeting zum Antriebsreglement angesetzt gewesen, doch in der Aufregung nach Singapur habe man dabei lediglich über angebliche Verstöße gegen die Budgetobergrenze gesprochen. Zu dem Zeitpunkt war Red Bull über den Regelverstoß durch die FIA noch nicht offiziell informiert.

Ausgerechnet von Sheila-Ann Rao informiert

Das passierte erst am 9. Oktober, also an dem Tag, an dem Max Verstappen zum zweiten Mal hintereinander die Formel-1-WM für sich entscheiden konnte. Eineinhalb Stunden nach Ende des Rennens in Suzuka wurde Horner ausgerechnet durch die FIA-Generalsekretärin Sheila-Ann Rao, eine ehemalige Beraterin von Toto Wolff, darüber informiert, dass ein konkreter Verdacht gegen Red Bull vorliegt.

An dem Punkt begann der Prozess, ein "ABA" zu formulieren. Viele der 75.000 Positionen, die die FIA zwischen April und Juni 2022 in der 2021er-Bilanz von Red Bull Racing überprüft hatte, wurden nochmal überprüft, neue Fragen wurden gestellt, Beweise und Erklärungen angefordert. Horner ist eine Passage in der Aussendung der FIA wichtig, nämlich dass sein Team jederzeit voll kooperiert habe.

Es waren letztendlich dann 5,607 Millionen Britische Pfund, die Red Bull laut Ansicht der FIA zusätzlich ins Budget einrechnen hätte müssen. Weil die ursprüngliche Einreichung aber einen Puffer ließ, blieben zunächst 1,864 Millionen Pfund übrig, die Red Bull in den Augen der Regelhüter zu viel ausgegeben hatte.

Es bleibt ein Verstoß von 0,37 Prozent

Unterm Strich wurden daraus exakt 432.652 Pfund, weil Red Bull 1,4 Millionen Pfund zu viel an Steuern an die britischen Finanzbehörden bezahlt hatte. Dafür stand dem Team eine Rückzahlung zu. Die 1,4 Millionen wurden ins Budget eingerechnet, die Rückzahlung aber nicht wieder abgezogen. Bleibt ein Verstoß um 0,37 Prozent. "Das ist, worüber wir hier sprechen", unterstreicht Horner.

Im "ABA" sind 13 Punkte festgehalten, die laut FIA-Untersuchung einen Verstoß gegen die buchhalterischen Methoden darstellen, die im Finanzreglement festgehalten sind. Horner war es am Freitag offensichtlich ein Anliegen, einige davon genauer zu erörtern. Und er begann mit einem Thema, das es zuletzt immer wieder in die Medienberichte geschafft hatte: dem Catering.

Kritikpunkt 1: Mitarbeiterverpflegung

Wenn die Mitarbeiter der verschiedenen Red-Bull-Firmen in Milton Keynes zum Mittagessen gingen oder was zu trinken wollten, mussten sie dafür noch nie bezahlen. Die Kosten für die Verpflegung, erklärt Horner, sei bei allen Red-Bull-Unternehmen schon immer vom Konzern übernommen worden. Und daran wurde auch nichts geändert.

"Weil das eine Red-Bull-Richtlinie ist, haben wir das als auszuklammernde Kostenposition bewertet. Aggressiv, aber unserer Meinung nach akzeptabel", sagt er. "Die FIA hatte dazu eine andere Ansicht und meinte, das Essen sei nicht auszuklammern."

Der springende Punkt ist aber: Ins Finanzreglement fällt nur Red Bull Racing, die Kantine in Milton Keynes nutzen aber auch Mitarbeiter anderer Red-Bull-Firmen, etwa Red Bull Powertrains oder Red Bull Technology. Und weil das Essen dort gratis ist und es keine Rechnungsbelege gibt, war es unmöglich, die Kosten nach Unternehmen aufzutrennen.

Also habe die FIA entschieden, sagt Horner, "die komplette Cateringrechnung einzubuchen. 1,4 Millionen Pfund an Essen, Getränken, Kaffee. Jeder Journalist, der uns im vergangenen Jahr in Milton Keynes besucht hat, hat zu unserem Budgetüberzug beigetragen. Red Bull Powertrains hat nichts mit Red Bull Racing zu tun. Aber auch deren Cateringkosten sind eingerechnet."

Red Bull im Vergleich mit anderen Teams

Man habe diesbezüglich "eine Meinungsverschiedenheit" mit der FIA: "Bei uns gibt's gratis Essen, bei anderen Rabatte auf Autos. Das ist auch ein geldwerter Vorteil. Aber der eine muss ins Budget eingebucht werden, der andere nicht."

Von einem anderen Team heißt es dazu inoffiziell, dass man kein Gratisessen in der Kantine verteile, aber jede einzelne Mahlzeit registriere, damit sie dem richtigen Unternehmen aus dem Konzern zugerechnet werden kann. Dieser bürokratische Mehraufwand hat bei Red Bull offenbar nicht stattgefunden.

Was die Firmenautos anderer Teams betrifft, so ist Horners Anschuldigung, diese seien nicht verbucht, offenbar nur teilweise richtig. Bei Mercedes, einem großen Automobilhersteller, der statt Red-Bull-Dosen PKWs stark rabattiert ans Personal verteilen kann, ist etwa sehr wohl eine Position dafür innerhalb des Budgetdeckels vorgesehen.

Im Rahmen der Pressekonferenz will dann ein Journalist von Horner wissen, ob nicht auch Ausgaben für die Kantine letztendlich ein geldwerter Vorteil seien. Erstens, weil die Kosten dafür, wenn sie nicht verbucht werden, in andere Bereiche des Teams investiert werden können. Und zweitens, weil Gratisessen ein Anreiz sein könnte, zu Red Bull zu wechseln.

Es ist einer der wenigen wirklich witzigen Momente einer ansonsten sehr förmlich und ernst abgehaltenen Pressekonferenz, als Horner erklärt, etwaige neue Mitarbeiter seien "sicher nicht wegen des Essens in unserer Kantine zu Red Bull gekommen! Jeder, der dort mal gegessen hat, wird dem zustimmen."

Kritikpunkt 2: Krankengeld

Einer der Streitpunkte in der Bilanzierung war das Übernehmen von Krankengeld für eine Mitarbeiterin, die laut Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko "eine Operation am offenen Herzen" hatte. Red Bull hat im Zuge dieses tragischen Schicksals eigenen Angaben nach rund eine Million Pfund an Behandlungskosten übernommen und außerhalb des Budgets verbucht.

"Leider", sagt Horner, "kann man das Reglement auf zwei Arten lesen. Wäre die Person gestorben, hätten wir die Kosten ausklammern dürfen. Zum Glück ist die Person nicht gestorben. Aber dadurch mussten wir die Kosten während dieses Krankenstandes einrechnen."

Ein Argument, das Mercedes-Teamchef Toto Wolff übrigens nicht unkommentiert stehen lässt: "Wir haben auch ein Restaurant und wir haben auch Krankenstände", ergänzt er zu Horners Darstellungen. "Diese Argumentation stimmt so nicht. Wenn du mehr Geld für den Rest übrig hast, dann gibst du es auch für die Technik aus."

Kritikpunkt 3: Zuteilung von Mitarbeitern

Es ist eine der großen Herausforderungen für die Budgethüter der FIA, zu überwachen, welche Mitarbeiter an welchen Projekten arbeiten. Am Beispiel Red Bull: Wer kann mit Sicherheit garantieren, dass nicht der Ingenieur von Red Bull Technology, der sich auf dem Papier um ein Segelboot für den America's Cup kümmert, in Leerläufen auch für das Formel-1-Team Arbeit erledigt?

Fast alle Teams haben inzwischen nicht nur ihre Rennteams, sondern auch Technologiefirmen innerhalb ihrer Gruppe. Der große Vorteil solcher Konstellationen ist: In ruhigeren Zeiten, in denen nicht alle Ingenieure gebraucht werden, kann man sie bei Schwesterfirmen parken, ohne dass ihre Gehälter verbucht werden müssen - aber jederzeit wieder für die Formel 1 aktivieren, wenn man sie braucht.

Horner schildert ein Beispiel: "Wir hatten einen hochrangigen Mitarbeiter mit einem festen Vertrag, dem von einem anderen Team ein märchenhaftes Hollywood-Gehalt angeboten wurde. Wir konnten sehen, dass die Person nicht mehr mit vollem Engagement bei der Sache war. Also haben wir diese Person von unserem Formel-1-Team in unsere Technologiefirma überführt."

Dort hatte der- oder diejenige den Auftrag, am Red-Bull-Sportwagen RB17 mitzuarbeiten, nebst anderen Projekten, die mit der Formel 1 nichts zu tun haben. Das behauptet zumindest Horner. Er sagt: "Die Person hat das Unternehmen dann ganz verlassen. Aber die Gehaltskosten, die die Person verursacht hat, als sie nicht mehr für das Formel-1-Team tätig war, wurden eingerechnet."

Kritikpunkt 4: Nicht gebrauchte Teile

Ein Formel-1-Team produziert im Laufe einer Saison auch Teile, die letztendlich nicht im Test- oder Rennbetrieb benötigt werden. Bei Red Bull ging man jedoch, so erzählt es zumindest Horner, davon aus, dass die Kosten dafür ins Budget eingebucht werden müssen. "Andere Teams", ärgert er sich, "haben das anders gemacht."

Angeblicher Hintergrund: Nachdem Red Bull das Budget bei der FIA eingereicht hatte, wurde laut Horner das Reglement präzisiert, sodass solche nicht gebrauchten Teile auch als sogenannte "Traditionskomponenten" klassifiziert werden dürfen und nicht zwangsläufig eingebucht werden müssen. Das sei ein Unterschied von 1,2 Millionen Pfund in der Bilanz.

Als Red Bull - so zumindest Horners Darstellung in der Pressekonferenz - davon Wind bekam, wollte man das Budget überarbeiten und neu einreichen. "Dann wären wir unter der Grenze geblieben. Das wurde uns aber nicht gestattet, weil es im Reglement nicht vorgesehen ist", behauptet er.

Horner suggeriert damit indirekt, dass andere Teams, die ja in der gleichen Situation waren, von der FIA besser über die angebliche Regeländerung informiert worden seien, sodass diese die betroffenen Positionen noch ausbuchen konnten.

Wolff stellt diese Darstellung aber in Frage: "Es gab keine Änderungen. Die Änderungen gab es für 2023. Da wurde vielleicht was falsch verstanden."

Wenn Red Bull unschuldig ist, warum ...?

Die große Frage, die sich jetzt viele stellen: Sieben Millionen Dollar und zehn Prozent weniger Entwicklungskapazität sind eine empfindliche Strafe. Wenn Red Bull davon überzeugt ist, ungerecht behandelt worden zu sein, warum akzeptiert man die Strafe dann im "ABA"? Man hätte das "ABA" laut Protokoll auch ablehnen und den Fall an unabhängige Richter übergeben können.

"Hätten wir diesen Weg beschritten, hätte das Monate gedauert. Und dann nochmal Monate, wenn es vor das Internationale Berufungsgericht gegangen wäre. Es hätte zwölf Monate dauern können, das Thema zu einem Abschluss zu bringen", sagt Horner.

"Angesichts der rufschädigenden Kommentare im Paddock fanden wir, dass es im Interesse aller Beteiligten sei, dieses Buch zuzuschlagen. Und genau das tun wir heute. Wir akzeptieren die Strafen. Zähneknirschend, aber wir akzeptieren sie."

Horner rechnet vor: "Zusammengerechnet machen die Meinungsverschiedenheiten drei bis dreieinhalb Millionen aus." Ohne diese dreieinhalb Millionen wäre Red Bull locker innerhalb der Budgetgrenze geblieben, sagt er.

Wolff hält das für nichts als Augenauswischerei: "Wir haben alle für die gleichen Dinge Geld ausgegeben. Und am Ende des Tages sind Erklärungen sowieso überflüssig. Neun von zehn Teams sind unter dem Cap geblieben. Eins ist drüber. Und die erzählen jetzt halt ihre Geschichten."

Helmut Marko hält dagegen: "Wir haben nicht nur unsere eigene Meinung. Wir haben das immer von anerkannten Wirtschaftsprüfern checken lassen, und die haben alle gesagt: 'Ja, da seid ihr auf der richtigen Seite.'"

Marko glaubt: "Man wollte an uns ein für die Zukunft abschreckendes Exempel statuieren."

Fotos & Fotostrecken
Foto zur News: Formel-1-Mittelfeld-WM: So spannend wäre es  2024 ohne die fünf Topteams ...
Formel-1-Mittelfeld-WM: So spannend wäre es 2024 ohne die fünf Topteams ...
Foto zur News: Schanghai: Die Fahrernoten von Marc Surer und der Redaktion
Schanghai: Die Fahrernoten von Marc Surer und der Redaktion

Foto zur News: Alle Sieger von Sprintrennen in der Formel 1
Alle Sieger von Sprintrennen in der Formel 1

Foto zur News: F1: Grand Prix von China (Schanghai) 2024
F1: Grand Prix von China (Schanghai) 2024
Samstag

Foto zur News: Formel-1-Qualifying: Modus im Wandel der Zeit
Formel-1-Qualifying: Modus im Wandel der Zeit
Folge Formel1.de
Formel-1-Quiz

Welche Panne kostete Michael Schumacher 1996 den möglichen Sieg beim Frankreich GP?

f1 live erleben: hier gibt's tickets
Miami
Miami
Hier Formel-1-Tickets sichern!

Emilia-Romagna
Imola
Hier Formel-1-Tickets sichern!

Monaco
Monte Carlo
Hier Formel-1-Tickets sichern!
Formel 1 App