• 28. August 2018 · 09:16 Uhr

1988: Ein Italien-Grand-Prix für die Ewigkeit

Vor genau 30 Jahren: Wie Gerhard Berger vier Wochen nach Enzo Ferraris Tod in Monza für ein rotes Wunder sorgte und sein Siegerauto später verscherbelte

(Motorsport-Total.com) - Dieses Wochenende geht der Formel-1-Klassiker in Monza in Gedenken an Sergio Marchionne über die Bühne: Der tragische und völlig überraschende Tod des Ferrari-Bosses, der den FIAT-Konzern sanierte und beim Formel-1-Rennstall die Zügel fest in der Hand hatte, hinterlässt in Maranello ein Vakuum und sorgte in Italien für Trauer. Ähnlich wie vor 30 Jahren der Tod des legendären Ferrari-Gründers Enzo Ferrari. Was dann in Monza folgte, war ein rotes Wunder. Der Italien-Grand-Prix 1988 im Rückspiegel:

Nur einmal pro Jahr besucht Enzo Ferrari die Formel 1: Und zwar traditionell am Freitag in Monza. Doch dreieinhalb Wochen vor dem Klassiker im königlichen Park erfährt die Welt, dass es dazu 1988 nicht kommen wird. Der "Commendatore" ist am 14. August 1988 im Alter von 90 Jahren einem Krebsleiden erlegen. Ferrari-Pilot Gerhard Berger weilt gerade am malerischen Gardasee, als ihn die Nachricht erreicht.

"Das war für mich ein Schock, den ich im Herzen als körperlichen Schmerz spürte" sagt der letzte Pilot, der via Handschlag vom Boss selbst engagiert wurde. In diesem Moment erinnert sich der 28-Jährige an die Worte der Legende: "Wenn du die Lust auf die Revanche verlierst, bist du am Ende."

Warum Berger Ferraris Tod ahnte

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Der 90-jährige Enzo Ferrari erliegt 1988 in Modena einem Krebsleiden Zoom Download

Diesen Satz sollten wir - die Mitglieder des Ferrari-Teams - uns zu Herzen nehmen, überkommt es Berger: "Er sollte für einen Sportler - eigentlich aber wohl für alle Menschen - eine Lebensweisheit sein." Man sei es es der Legende Ferrari geradezu schuldig, dass "wir uns mit aller Kraft nach diesem Leitspruch richten".

Der Tod des extrem öffentlichkeitsscheu gewordenen Teamgründers, der beim Papstbesuch in Maranello vor zwei Monaten nicht mehr anwesend sein konnte, kommt für Berger nicht ganz überraschend: "Dass Enzo Ferrari bald sterben würde, merkte ich schon in Silverstone, als seine persönlichen Reaktionen auf meine Pole-Position fehlten."

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Beim Ferrari-Papstbesuch im Juni 1988 ist Enzo Ferrari nicht mehr präsent Zoom Download

So blieb sein Dankesbrief - sonst stets geschrieben mit violetter Tinte - aus. Noch im Vorjahr soll Ferrari vor Glück geweint haben, als ihm die Nachricht überbracht wurde, Berger habe mit seiner Estoril-Pole eine 40 Qualifyings andauernde Durststrecke gebrochen. Da Berger Ende 1987 zwei Siege in Folge feierte und in der zweiten Saisonhälfte der schnellste Mann war, hingen die Titelhoffnungen der Tifosi 1988 am Österreicher.

Die unheimliche Serie von McLaren

Doch vor dem Heimspiel in Monza ist die Ernüchterung enorm: McLaren feierte in elf Rennen elf Siege, Ayrton Senna liegt in der WM mit 75 Punkten drei Zähler vor Alain Prost. Berger ist mit nur 28 Punkten abgeschlagener Dritter, Ferrari bloß chancenloser Statist. "Das war das erste Jahr mit dem Pop-off-Ventil, und Honda hatte einen Weg gefunden, bei der Feder des Ventils einen Überdruck zu erzeugen und so mehr Leistung herauszuholen", erklärt Berger im Podcast 'Beyond the Grid', warum man chancenlos ist. "Außerdem hatten sie ein sehr gutes Auto und mit Prost und Senna zwei fantastische Fahrer."

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Dominanz pur: Bis Monza hat McLaren-Honda 1988 alle Rennen gewonnen Zoom Download

Kein Wunder, dass das Köpferollen in Maranello nicht lange auf sich warten lässt: Der 36-jährige Rennleiter Rennleiter Marco Piccinini, Enzo Ferraris intimster Einflüsterer, muss mit Saisonende gehen. FIAT-Chef Vittorio Ghidella schleust zahlreiche FIAT-Leute ein, reißt die Kontrolle an sich - und tönt: "Wir nehmen in der Formel 1 jede Herausforderung an. Der Tod von Enzo Ferrari ändert daran nichts."

Die nächste Herausforderung: erstmals seit dem Doppelsieg durch Jody Scheckter und Gilles Villeneuve im Jahr 1979 wieder in Monza gewinnen - gegen die haushoch überlegenen Honda-Turbomotoren von McLaren. Denn die Ferrari-Fans wissen: Das Heimrennen vor den Toren Mailands war Enzo Ferrari sogar wichtiger als der WM-Titel.

Barnard kommt Honda-Trick auf die Schliche

Technikchef John Barnard, der gerade am Saugmotor-Auto für die Saison 1989 arbeitet, macht bei einem Besuch der Fabrik in Maranello eine Entdeckung: Dort wird gerade ein Garrett-Turbolader getestet. Als der Brite die Daten überprüft, erkennt er ein um eine Zehntelsekunde besseres Ansprechverhalten. "Ruft sofort in Kalifornien an. Ich will diesen Turbo in Monza!", fordert der Ingenieur, der normalerweise in seinem Büro in Großbritannien für Ferrari arbeitet.

Außerdem kommt er mit Hilfe der Motorentechniker dem Honda-Turbotrick mit dem Überdruckventil auf die Schliche, wodurch der Druck von 2,5 auf drei Bar erhöht werden kann. "Dadurch konnten wir die Leistung unserer Motoren erhöhen", sagt Barnard gegenüber 'autoclassics.com'.

"Kriege ich das Auto?": Bergers kurioser Deal

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Aussichtslose Lage: Rennleiter Piccinini verspricht Berger bei einem Sieg sein Auto Zoom Download

In der Woche des Rennens besucht Berger die Ferrari-Fabrik. Und wird von Rennleiter Piccinini gefragt, wie er die Chancen beim Heimspiel einschätze. "Ich denke, wir werden das Rennen gewinnen", antwortet er prompt zur Überraschung des Italieners. Piccinini reagiert mit einem sarkastischen Lachen. "Wenn ich gewinne, darf ich dann das Auto behalten?", lehnt sich "Lausbub" Berger noch weiter aus dem Fenster. "Passt, dann gehört es dir", antwortet Piccinini in Anbetracht der aussichtslosen Lage.

Als es am Donnerstag mit Presseterminen und Ingenieursbriefings losgeht, ist die Stimmung dennoch gedrückt: Der Pfarrer von Monza besucht traditionell die Ferrari-Box und segnet die zwei Boliden. Auf die Frage von Reporterlegende Heinz Prüller, wer gewinnt, antwortet er: "Berger natürlich!"

Für Bergers Teamkollege Alboreto ist es ein bitteres Heimspiel. Er wird 1989 bei Ferrari ausgemustert und durch Williams-Pilot Nigel Mansell ersetzt. Der Brite ist wegen einer Windpockenerkrankung allerdings nicht in Monza und wird durch das bereits 39-jährige Sportwagen-Ass Jean-Louis Schlesser vertreten, das keine Formel-1-Erfahrung besitzt.

Keine Handschlagqualität? Alboreto sauer auf Williams

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Verzweifelt: Michele Alboreto versucht sein Glück bei Benetton-Teamchef Peter Collins Zoom Download

Für Alboreto wird währenddessen die Luft immer dünner: Obwohl er sich in Silverstone mit Frank Williams für 1989 bereits einig war, bricht dieser die Abmachung und entscheidet sich, neben dem von Benetton kommenden Thierry Boutsen den günstigeren Riccardo Patrese zu behalten. Alboreto fühlt sich in Didcot unerwünscht und sagt Williams endgültig per Telefon ab. "Dieses Problem brauche ich kein zweites Mal, das habe ich schon bei Ferrari."

Auch bei Benetton blitzt Alboreto ab - und reagiert völlig verbittert: "Wenn ihr keine Rennen gewinnen wollt, dann wichst ruhig weiter mit euren jetzigen Fahrern." Eine ganz schöne Breitseite gegen Alessandro Nannini.

Peinlicher Trainingsauftakt für Ferrari, Pole für Senna

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Das Training beginnt für Ferraris Hoffnungsträger Berger mit Problemen Zoom Download

Trotz der internen Unruhe werden die Ferrari-Piloten schon am Freitag von den Tifosi voller Inbrunst unterstützt. Zunächst ohne große Wirkung, denn im ersten Qualifying geht alles schief: Berger fährt zwar früh Bestzeit, hat aber dann Getriebeschaden und sitzt eine halbe Stunde lang im aufgebockten Ferrari. Weil bei Alboreto gleichzeitig der fünfte Gang bricht, kann Berger nicht ins Ersatzauto wechseln - die Ersatzteile für Bergers Getriebe hat man in Maranello vergessen!

Am Samstag dann der Showdown um die Pole: Wie erwartet setzt sich Senna gegen seinen WM-Rivalen Prost durch und holt die zehnte Bestzeit der Saison - das ist Weltrekord! Dafür wird die Paranoia in den Boxen immer größer: Prost, der schon am Freitag über merkwürdige Vibrationen im Bereich der Kraftübertragung klagt, dreht sich im Samstag-Qualifying in der ersten Schikane und bleibt im Kiesbett stecken.

Paranoia bei McLaren und Ferrari

"Ich weiß nicht, wie das passieren konnte", wundert sich der Franzose. Dass Öl auf der Piste war, könne er zwar nicht komplett ausschließen, "aber mir schien es vielmehr so, als ob irgendwas blockiert hätte". Wird der Ex-Weltmeister im Team sabotiert?

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Pole-Rekord: Ayrton Senna übertrumpft mit seiner zehnten Saison-Pole Jim Clark Zoom Download

Ein ähnliches Bild beim in der zweiten Startreihe lauernden Ferrari-Team, bei dem sich Berger gegen Alboreto zum 20. Mal in Folge durchsetzt. "Berger hat einen anderen Computer als ich", beschwert sich Alboreto bei Ingenieur Giorgio Ascanelli. "Ferrari verbietet mir, den gleichen zu benutzen." Bei Ferrari wehrt man sich: Beide kriegen das gleiche Material. Wieso sollen wir ein Auto schlechter machen?

Wie sich Williams-Ersatzmann Schlesser schlägt? Der stellt seinen Boliden mit fast sechs Sekunden Rückstand auf Senna und zwei Sekunden auf Teamkollege Patrese nur auf den 22. Startplatz. "Ich will hier keine Bäume ausreißen und mich Schritt für Schritt heranwagen", rechtfertigt sich der Gruppe-C-Fahrer von Sauber-Mercedes, dessen Onkel Jo Schlesser 1970 beim Grand Prix in Rouen bei einem Feuerdrama tödlich verunglückte.

Berger prophezeit Ausfall

Als es am Renntag in Monza langsam ernst wird, herrscht im ersten Stock von Enzo Ferraris Haus am Lago Garibaldi 11 in Modena ungewohnte Stille. Sohn Piero Ferrari, der im zweiten Stock lebt, sitzt mit seiner Frau und seinen Kindern traurig vor dem Fernseher: "Weil niemand redet. Mein Vater hat immer das ganze Rennen kommentiert. Das war immer aufregend."

Doch auch in Monza ist die Stimmung bei Ferrari am 11. September nicht gerade gut. "Heute falle ich wieder sehr schnell aus", prophezeit Berger dem Schweizer Formel-1-Reporter Roger Benoit. Danach sieht es tatsächlich aus, als die Boxengasse eine halbe Stunde vor dem Start geöffnet wird: Der Drittplatzierte will zum Startplatz fahren, doch der Motor fühlt sich seltsam an. Berger kommt also zurück an die Box und steigt ins Ersatzauto um.

Warum Berger beinahe aus der Box starten muss

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Die Vorbereitungsphase auf das Rennen wird für Berger beinahe zum Drama Zoom Download

Erneut ist der Ferrari-Pilot unzufrieden und kämpft mit Übersteuern. Er fragt über Boxenfunk nach, ob die hängende Drosselklappe beim Einsatzauto repariert wurde, was der Renningenieur bestätigt. Berger kommt daher erneut an die Box und steigt ein weiteres Mal um, um enttäuscht festzustellen, dass das Motorproblem nicht gelöst wurde. Ihm bleibt nur ein weiterer Autowechsel.

Die Uhr tickt unaufhaltsam, Berger hat nur noch 120 Sekunden, ehe die Boxengasse geschlossen wird. Er schafft es im Ersatzauto gerade noch in die Startaufstellung. In den 15 Minuten vor dem Start basteln die Ingenieure am Set-up des Boliden, um ihm das Übersteuern auszutreiben.

Trotz des für Berger verzichtbaren Nervenkitzels scherzt er in den Minuten vor dem Start noch mit seinen Mechanikern. "Am Ende des Rennens werde ich wohl nicht vorne sein, aber vielleicht gelingt es mir ja beim Start."

Anfangsphase: Ferrari-Piloten müssen Gas rausnehmen

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Bergers Versuch, beim Start die McLaren auszutricksen, misslingt Zoom Download

Als das Rotlicht erlischt und die Ampel auf Grün schaltet, schafft es Berger tatsächlich beinahe, sich zwischen die beiden McLaren zu pressen, muss sich dann aber doch mit Platz drei begnügen. Während Berger versucht, den Anschluss nicht zu verlieren, schlittert Teamkollege Alboreto in erste Probleme: "Ich musste vom Gas, weil die Temperatur meines Getriebeöls bedrohlich stieg und mir Sorgen machte."

Berger gibt hingegen bis zur zehnten Runde Vollgas und liegt nur 4,3 Sekunden hinter Leader Senna und Verfolger Prost, ehe er Probleme mit dem Spritverbrauch bekommt und die beiden ziehen lassen muss. Das Duell an der Spitze bleibt allerdings spannend: Prost folgt Senna wie ein Schatten und macht den Brasilianer nervös. "Alain pusht viel zu hart", beschwert er sich. "Wir verbrennen viel zu viel Sprit."

Prost rollt aus: Erster McLaren-Ausfall des Jahres

Doch ab Runde 30 brechen bei Prost die Rundenzeiten ein, er ist plötzlich um fünf bis sechs Sekunden langsamer. In Runde 34 brandet im Autodromo Nazionale di Monza Jubel auf: Berger zieht am McLaren vorbei und ist Zweiter! Eine Runde später rollt der McLaren wegen fehlender Motorleistung an die Box, und Sennas WM-Herausforderer steigt aus.

"Hat man je von einem kaputten Honda-Motor gehört?", schimpft Prost über den ersten McLaren-Defekt des Jahres. "Ausgerechnet mich muss es treffen. Im schlechtesten Moment." Wurde Prost Opfer einer Honda-Verschwörung? Den Japanern wird ein Naheverhältnis zu Senna attestiert.

Gleichzeitig gibt es im Fahrerlager aber auch Spekulationen, Prost habe bereits gespürt, dass sein Motor ein Problem hat, und Senna bewusst gehetzt, um ihn in Spritprobleme zu treiben. "Es stimmt, dass ich schon kurz nach dem Start Fehlzündungen hatte und sicher war, dass ich das Ziel nicht erreichen würde", gibt Prost zu. "Dann wurde es schlimmer, aber ich hatte nichts zu verlieren und habe gepusht."

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Erster Honda-Defekt 1988: Bei Prost sorgt eine neue Zündkerze für Probleme Zoom Download

Der Grund für den Ausfall offenbart sich, als die McLaren-Mechaniker die Motorabdeckung nach oben ziehen. "Wir haben die Zündkerzen entfernt und gesehen, dass eine ausgelaufen ist", offenbart Chefmechaniker Neil Trundle. "Dadurch hat wohl der Motor überhitzt."

Das hat einen interessanten Hintergrund, wie das McLaren-Urgestein verrät: "Honda hat in jenem Jahr in Monza eine andere NGK-Zündkerze eingesetzt, auch wenn mir der Grund nicht bekannt ist. Als Alains Motor dann nur noch auf fünf Zylindern lief, konnten er noch ein paar Runden herausholen, ehe er an die Box fahren musste."

Prost-Schicksal bremst Senna ein

Mit Leader Senna hat McLaren aber immer noch ein heißes Eisen im Feuer. Da aber auch der Brasilianer mit jenen Zündkerzen unterwegs ist, schrillen am Kommandostand beim Teamchef Ron Dennis die Alarmglocken. "Wir haben Ayrton über Funk angewiesen, das Benzingemisch fetter einzustellen, um die offensichtlich nicht optimalen Zündkerzen zu kühlen", erklärt Trundle die weitere Vorgehensweise.

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Das Ferrari-Tandem Berger und Alboreto kommt Leader Senna immer näher Zoom Download

Berger liegt zu diesem Zeitpunkt geschlagene 26 Sekunden zurück, Alboreto sogar 34. Doch die Ferrari können nun plötzlich wieder attackieren. "Ich lag wieder voll im Spritfahrplan", offenbart Berger. Das gilt auch für den völlig entfesselten Alboreto, beim dem sich zudem die Getriebeöltemperatur normalisiert hat. "Gemeinsam kamen wir immer näher an Senna ran", erzählt Berger. "Ich dachte, dass er möglicherweise Probleme hat und gab wirklich alles."

Tatsächlich steht Senna vor einem schwierigen Spagat: Er hat in der Anfangsphase zu viel Sprit verbraucht und muss nun trotz eines fetteren Gemischs Benzin sparen. Und so schrumpft der Vorsprung des Leaders immer weiter zusammen, bis der von den jubelnden Fans vorangepeitschte Berger den McLaren fünf Runden vor Schluss auf den langen Geraden erstmals erblickte.

Wie Senna den Sieg verschenkt

Elf Kilometer vor Schluss dann das Drama: Senna will beim Überrunden in den zwei Schikanen nach Start und Ziel nicht zu viel Zeit hinter Williams-Debütant Schlesser liegen lassen, weil er im Gegensatz zu Berger wegen seiner Spritprobleme die Leistung nicht hochdrehen kann, und es kommt zur Kollision. Das linke Vorderrad des Franzosen trifft Sennas McLaren und katapultiert diesen auf den äußeren Randstein, wobei die Hinterradaufhängung bricht.

"Schlesser kam mit blockierenden Bremsen in die Schikane, und ich dachte, er müsste deshalb die Kurve in einem weiten Bogen fahren und damit die Ideallinie freigeben", schildert der McLaren-Pilot die Situation. "Als ich dann innen neben ihm lag, kam er zurück auf die Linie, und dann ist es halt passiert."

Der Franzose verteidigt sich: "Es kann mir wirklich jeder glauben, dass ich Platz machen wollte. Aber irgendwann muss ich ja schließlich auch in die Kurve einlenken. Ayrton tut mir aufrichtig leid, aber mein Fehler war das sicher nicht." Auch die Experten sind sich uneinig: John Watson sieht die Schuld zu 70 Prozent bei Senna, der zu ungeduldig gewesen sei. Ferrari-Legende Clay Regazzoni meint hingegen: "Der Vorfall geht zu 100 Prozent auf Schlessers Kappe!"

Warum auch Sieger Berger beinahe ausgeschieden wäre

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Bitter: Einen Tag vor seinem 40. Geburtstag schießt Schlesser Senna ab Zoom Download

Als die Ferrari am gestrandeten McLaren vorbeiziehen, verwandelt sich Monza in ein Tollhaus: Die Fans strecken die Fäuste in die Höhe, der Jubel ist trotz des Motorenlärms unüberhörbar. "Es war ein Wahnsinn, was sich da draußen abspielte", beschreibt Berger die Stimmung. Er lässt in den zwei verbleibenden Runden nichts mehr anbrennen, auch wenn Alboreto im Ziel nur eine halbe Sekunde zurückliegt.

"Eine Runde länger, und ich hätte Gerhard noch gekriegt", ist der Zweitplatzierte sicher. Berger hat Glück, wie er der 'Presse' verrät: "Auf der Ziellinie zeigt die Benzinuhr, dass gerade noch Sprit für eine Zehntelrunde Vollgas übrig ist."

Er widmet seinen vierten Grand-Prix-Sieg "allen bei Ferrari, aber vor allem dem alten Herrn. Das ist der schönste Tag meiner Rennfahrerkarriere." Als der völlig verschwitzte Sieger das Podest erklimmt, strömen von überall Zuschauer herbei, der Österreicher hat Gänsehaut.

Die Hölle von Monza: Siegesfeier zwischen Euphorie und Angst

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Masseneuphorie: Die Siegesfeier in Monza ist nicht ungefährlich Zoom Download

"Das war ein unglaubliches Gefühl", soll er viele Jahre später mit leuchtenden Augen der 'Wiener Zeitung' berichten. "Die Menschenmassen haben die Zäune umgerissen und sind alle in Richtung Podium gestürmt. Ich habe von oben runter geschaut und hatte ehrlich Angst um den einen oder anderen, weil da ein echtes Chaos vorherrschte."

Für den Sieger ein einmaliges Erlebnis: "Das gibt's natürlich nur bei Ferrari, und nur in dieser einmaligen Situation, und ich war der, über den die ganze Begeisterung Italiens drüberschwappte." Berger, der die von Rennleiter Piccinini versprochenende Belohnung natürlich nicht vergessen hat, richtet seinen Mechanikern aus: "Das Auto könnt ihr mir gleich einpacken." Und muss mit dem Hubschrauber aus dem Hexenkessel flüchten.

Warum Berger beinahe disqualifiziert wird

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Zu großer Tank? Berger muss um seinen Sieg länger bangen als ihm lieb ist Zoom Download

Doch der Sieg hängt an einem seidenen Faden, wie sich bei der Untersuchung des fast leeren Tanks herausstellt: Die FIA-Kommissare bezichtigen Ferrari bei der ersten Messung, mit einem zu großen Tank zu schummeln. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der sonst so durstige Ferrari-Motor diesmal dem Honda-Triebwerk in Sachen Verbrauch überlegen schien.

Während die erste Messung 151 Liter ergibt, gibt es bei der zweiten Messung Entwarung: 149,5 Liter. "Alles legal", meint FIA-Cheftechniker Gabriele Cadringher erleichtert. Eine Disqualifikation hätte ihm das Leben nicht leichter gemacht. McLaren-Teamchef Dennis muss die Niederlage gegen Ferrari nun endgültig anerkennen. "Sie haben nicht gewonnen, sondern wir haben den Sieg verloren", relativiert er. "Die erste Niederlage 1988 motiviert uns jetzt, 1989 ungeschlagen zu bleiben."

Im Schatten des Ferrari-Jubels geht unter, dass Arrows mit den Plätzen drei und vier für Eddie Cheever und Derek Warwick das beste Ergebnis in der 163 Rennen andauernden Historie eingefahren hat.

Berger verscherbelt den legendären Siegerwagen

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Gerhard Berger darf 2014 noch einmal im 1988er-Ferrari Gas geben Zoom Download

Der Siegerwagen von Monza wird Berger übrigens tatsächlich nach Hause geliefert. "Leider habe ich ihn zwei Tage später verkauft", offenbart er. "Ein Freund hat ihn mir abgekauft."

Für Berger gibt es aber ein Wiedersehen: Im Rahmen des Spielberg-Comebacks 2014 darf er einen F187/88C aus der Privatsammlung von Bernie Ecclestone bei der Legends Parade pilotieren. Und er kommt ins Schwärmen: "Der Ferrari von 1988 war das schönste Auto meiner 15 Jahre in der Formel 1. Diese niedrige Schnauze, lang und schlank wie eine Zigarre, und die wuchtige Kraft der Hinterräder, das war ein Statement, das eigentlich kein Formel-1-Auto danach zustande gebracht hat."

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