• 12. April 2018 · 12:07 Uhr

Nach Ferrari-Panne: Sind Formel-1-Boxenstopps zu gefährlich?

In Australien wurde das Haas-Team Opfer von Boxenstopp-Pannen, in Bahrain ein Ferrari-Mechaniker - Haas-Teamchef Steiner stellt sich unbequemen Fragen

(Motorsport-Total.com) - Ein Formel-1-Boxenstopp ist eine Choreografie, aufgeführt unter höchstem Zeitdruck und mit präziser Perfektion. In rund zwei Sekunden werden alle vier Räder heruntergenommen, angesetzt und die frischen Pneus neu verschraubt. Eine Gradwanderung, die in der Vergangenheit zu Meisterleistungen, aber auch mittelschweren Dramen geführt hat. Nicht nur auf der Rennstrecke gilt es, Zeit zu gewinnen.

Foto zur News: Nach Ferrari-Panne: Sind Formel-1-Boxenstopps zu gefährlich?

Räikkönen musste sein Bahrain-Rennen nach dem Boxenstopp-Fauxpas beenden Zoom Download

Seit 2015 werden die schnellsten Boxenstopps des Jahres mit einem speziellen Preis ausgezeichnet, die einstudierten Bewegungen lösten aber erst im vergangenen Jahrzehnt die chaotischen, nicht angekündigten Räderwechsel ab. 1993 wurde beim Belgien-Grand-Prix der Boxenstopp des Benetton-Teams an Riccardo Patreses Auto mit 3,2 Sekunden gestoppt. Mit Sensoren, die in der Aufhängung verbaut waren, wurde diese Standzeit gemessen. Dieser Stopp wird als schnellster Boxenstopp der 1990er-Jahre angesehen, da 1994 das Nachtanken wieder erlaubt wurde und die Stopps durch das Nachfüllen des Benzins wieder länger dauerten.

Plötzlich standen die Piloten wieder acht bis zwölf Sekunden an der Box. Doch nach mehreren gefährlichen Zwischenfällen, besonders der Feuerunfall von Jos Verstappen 1994 oder der Zwischenfall von Heikki Kovalainen und Kimi Räikkönen 2009 in der Boxengasse von Brasilien bleiben in Erinnerung, wurde das Nachtanken mit der Saison 2010 wieder verboten.

2-Sekunden-Marke von Red Bull & Williams gebrochen

Die Stoppzeiten fielen auf rund vier Sekunden, doch die Teams bemerkten den Spielraum für weitere Verbesserung. Beim Grand Prix der USA 2013 durchbrach Red Bull mit Mark Webber schließlich die 2-Sekunden-Schallmauer. Sie führten einen Stopp in 1,92 Sekunden durch. 2016 egalisierte die Williams-Mannschaft diese Zeit beim Grand Prix in Baku.

Foto zur News: Nach Ferrari-Panne: Sind Formel-1-Boxenstopps zu gefährlich?

Baku 2016: Williams schafft mit 1,92 Sekunden den schnellsten Boxenstopp Zoom Download

Die Teams investierten immer mehr Geld und Personal in die Optimierung von Boxenstopps. 2011 führte Mercedes als erstes Team ein Helium-angetriebenes System ein. Das Gas ist dünner und kann so höheren Druck auf die Schlagschrauber übertragen, das Drehmoment steigt. Aber schon eine Saison später wurde dieser Technikkniff wieder verboten.

Denn der Boxenstopp soll Großteils von Menschenhand durchgeführt werden. Die Regeln sehen vor, dass das Auto von einem Menschen hochgehoben und dass die Schlagschrauber von den Mechanikern bedient werden müssen. Ist das Rad fest, muss jeder dieser Mechaniker auf einen Knopf am Schlagschrauber drücken, um ein Signal abzugeben, dass er fertig ist. Nur der berühmte "Lollipop-Mann" wurde in den Anfangsjahren dieses Jahrzehnts durch ein Ampel-System ersetzt.

Haas-Teamchef: Boxenstopps verleihen den Rennen Würze

Diese Choreografie von rund 20 Mechanikern, drei pro Rad plus zusätzliches Personal, verlangt stundenlanges Training - das bei Haas am Australien-Wochenende nicht erledigt wurde. Die Rechnung wurde dem Team im Rennen präsentiert. Zweimal menschliches Versagen bedeutete eine Doppelnull.

Foto zur News: Nach Ferrari-Panne: Sind Formel-1-Boxenstopps zu gefährlich?

Melbourne: Zweimal wurde die Radmutter bei Haas verkantet aufgeschraubt Zoom Download

Insgeheim sind sich die Teams sicher, dass Zeiten bis zu 1,7 Sekunden möglich sind - der schnellste Stopp 2018 wurde bisher von Red Bull in Melbourne in 2,15 Sekunden durchgeführt. Allerdings muss in dieser kurzen Zeitspanne jeder Handgriff sitzen. Am Bahrain-Wochenende war das bei Ferrari nicht der Fall, ein Mechaniker wurde bei Kimi Räikkönens Boxenstopps überfahren, sein Bein war gebrochen.

Sind die Formel-1-Boxenstopps 2018 zu schnell und deshalb zu gefährlich? "Das ist schwierig zu beantworten. Dem Rennen verleiht es Würze", meint Haas-Teamchef Günther Steiner. "Ein Mensch muss einen Fehler machen können, das ist uns passiert." Das Risiko sei Teil dieses Sports, ist der Südtiroler überzeugt. Nach Australien hat man bei Haas deutlich mehr Boxenstopps geübt, in Bahrain gab es kein Problem mehr mit verkanteten Radmuttern. "Wenn es tatsächlich gefährlich wird, muss man sich das natürlich ansehen. Aber es ist ein gefährlicher Sport."

Foto zur News: Nach Ferrari-Panne: Sind Formel-1-Boxenstopps zu gefährlich?

Fällt der Rekord bald? 2018 war bislang Red Bull mit 2,15 Sekunden am schnellsten Zoom Download

Das Element des Boxenstopps soll laut Steiner in seiner derzeitigen Form erhalten bleiben. "Wenn wir alles automatisieren, dann können wir auch gleich Roboter einsetzen", kontert er. Manchmal klemmt eben ein Rad, oder eines wird nicht richtig festgezogen. "Wer hat daraus die Konsequenzen gezogen? Diejenigen, die es falsch montiert haben." Denn Haas wäre in Melbourne ohne Fauxpas mit beiden Autos in die Punkte gefahren. Steiner mahnt vor voreiligen Schlüssen.

Nach dem Australien-Desaster habe Haas die Boxenstopps analysiert. "Besonders beim zweiten Stopp hätte das Auto nicht losfahren dürfen. Wir haben daher Lehren daraus gezogen, der menschliche Part spielt eben doch eine Rolle, durch das Freigeben mit dem grünen Licht." Bei Haas wisse man, was passiert ist. "Wir werden es in Zukunft besser machen."

Aktuelles Top-Video
Foto zur News: Stroll & Seargant fahren F1, Mick nicht: Ist das unfair, Ralf Schumacher?
Stroll & Seargant fahren F1, Mick nicht: Ist das unfair, Ralf Schumacher?

Die "Silly Season" in der Formel 1 ist im Frühjahr 2024 "sillier" als je zuvor.

Fotos & Fotostrecken
Foto zur News: Formel-1-Mittelfeld-WM: So spannend wäre es  2024 ohne die fünf Topteams ...
Formel-1-Mittelfeld-WM: So spannend wäre es 2024 ohne die fünf Topteams ...
Foto zur News: Schanghai: Die Fahrernoten von Marc Surer und der Redaktion
Schanghai: Die Fahrernoten von Marc Surer und der Redaktion

Foto zur News: Alle Sieger von Sprintrennen in der Formel 1
Alle Sieger von Sprintrennen in der Formel 1

Foto zur News: F1: Grand Prix von China (Schanghai) 2024
F1: Grand Prix von China (Schanghai) 2024
Samstag

Foto zur News: Formel-1-Qualifying: Modus im Wandel der Zeit
Formel-1-Qualifying: Modus im Wandel der Zeit
Folge Formel1.de
Videos
Foto zur News: Stroll & Seargant fahren F1, Mick nicht: Ist das unfair, Ralf Schumacher?
Stroll & Seargant fahren F1, Mick nicht: Ist das unfair, Ralf Schumacher?
Foto zur News: Charlie Wurz: Der nächste Österreicher in der Formel 1?
Charlie Wurz: Der nächste Österreicher in der Formel 1?

Foto zur News: Würde Red Bull auch mit dem 2023er-Auto gewinnen?
Würde Red Bull auch mit dem 2023er-Auto gewinnen?

Foto zur News: Danner: "Was Toto sehr fehlt, ist Niki Lauda"
Danner: "Was Toto sehr fehlt, ist Niki Lauda"
Formel1.de auf Facebook

Werde jetzt Teil der großen Community von Formel1.de auf Facebook, diskutiere mit tausenden Fans über die Formel 1 und bleibe auf dem Laufenden!

Anzeige Unser Formel-1-Shop bietet Original-Merchandise von Ferrari Racing Teams und Fahrern - Kappen, Shirts, Modellautos und Helme von Charles Leclerc und Carlos Sainz