Brawn über Schumacher: "Eine wundervolle Persönlichkeit"
Ross Brawn erinnert sich an die gemeinsamen Jahre mit Michael Schumacher zurück - Die beiden gehen als erfolgreichstes Duo in die Geschichte der Formel 1 ein
(Motorsport-Total.com) - Auch mehr als vier Jahre nach seinem zweiten und finalen Rücktritt aus der Formel 1 sind die Rekorde von Michael Schumacher noch immer unerreicht. Seine sieben WM-Titel bleiben ebenso einsame Spitze wie 91 Siege, 77 schnellste Rennrunden und 22 Triples (Sieg, Pole-Position und schnellste Runde bei einem Grand Prix). In seiner ganzen Karriere fast immer an seiner Seite: Ross Brawn. Mit dem "Superhirn" arbeitet "Schumi" bei Benetton, Ferrari und am Ende auch noch einmal bei Mercedes zusammen.
"Das Großartige war, dass Michael und ich gemeinsam gewachsen sind. Wir haben gemeinsam unsere Fehler gemacht und auch unsere Erfolge geteilt", erinnert sich Brawn im Gespräch mit 'RTL' zurück. "In seiner gesamten Formel-1-Karriere war er immer einer, der mit beiden Füßen auf dem Boden stand. Es war sehr einfach, sich mit ihm gut zu verstehen", verrät der 62-Jährige.
"Er hatte die richtige Balance. Das war ein wichtiger Bestandteil seines Erfolges. Er war durchsetzungsfähig, bestimmt und zuversichtlich. Michael hatte keine Angst zu sagen, was er denkt und fühlt. Aber er hat das in der richtigen Art und Weise gemacht - immer konstruktiv", erinnert sich Brawn, der 1991 bei Benetton erstmals mit Schumacher zusammenarbeitet. Mit dem Team aus Enstone gewinnen die beiden 1994 und 1995 jeweils den WM-Titel.
Das erfolgreichste Duo aller Zeiten
Getrennt sind sie anschließend lediglich 1996, als Schumacher sich in Richtung Ferrari verabschiedet - Brawn kommt erst ein Jahr später nach. Mit fünf WM-Titeln zwischen 2000 und 2004 können die beiden ihre Erfolge aus der Benetton-Zeit mit der Scuderia locker noch einmal übertreffen. "Bei Ferrari hatten wir eine außergewöhnliche Gruppe von Menschen, die sich immer aufeinander verlassen konnten", erinnert sich Brawn zurück.
Fotostrecke: Michael Schumacher: Die Ferrari-Jahre
Ein Anblick, an den sich die Konkurrenz erst noch gewöhnen muss: Nach zwei Weltmeistertiteln mit Benetton in den Jahren 1994 und 1995 wechselt Michael Schumacher 1996 zu Ferrari. Der Druck auf den Deutschen ist groß, schließlich wartet das italienische Traditionsteam seit 1979 auf einen Titel in der Fahrer-WM. Der damalige FIAT-Chef Gianni Agnelli drückt es angeblich so aus: "Wenn Ferrari mit Michael Schumacher nicht Weltmeister wird, dann werden wir es nie mehr." Fotostrecke
"Das war ein großer Rückhalt. Michael war ein unglaublich talentierter Fahrer, und noch mehr als das war er ein Teil von diesem Team. Er wusste genau, wann er die Leute antreiben, und wann er sich zurückhalten musste. Er hatte ein Gespür dafür, wann er mit wem reden musste. Die menschlichen Beziehungen im Team waren sehr wichtig", verrät der damalige Technische Direktor der Italiener.
Aufbauarbeit bei Mercedes
Ende 2007 kehrt Brawn etwas überraschend mit Honda in die Königsklasse zurück. 2010 kommt es dort zur Wiedervereinigung des "Dream Teams". Die Truppe aus Brackley, die mittlerweile von Mercedes übernommen wurde, ist zwischen 2010 und 2012 allerdings nur bedingt konkurrenzfähig. In seinen drei Comeback-Jahren bei den Silberpfeilen holt Schumacher keinen weiteren Sieg und nur einen mageren Podestplatz.
Fotostrecke: Michael Schumacher: Die Mercedes-Jahre
Das Comeback: Kurz vor Weihnachten 2009, am 23. Dezember, gibt Michael Schumacher seine Rückkehr in die Formel 1 bekannt. Er hat kurz zuvor einen Dreijahresvertrag bei Mercedes unterschrieben. Fotostrecke
Ende 2012 hängt der Rekordweltmeister seinen Rennoverall endgültig an den Nagel - Brawn macht ein Jahr später Schluss. Rein an den Zahlen gemessen bleibt die Mercedes-Zeit die erfolgloseste in der Brawn/Schumacher-Ära. "Solange er gefahren ist, war Gewinnen sein Leben", erklärt Brawn. Die Aufbauarbeit der beiden macht sich allerdings erst 2014 bezahlt, als die Silberpfeile anfangen, Siege und Titel in Serie einzufahren.
"Niemand, der mit Michael zusammengearbeitet hat, konnte jemals ein schlechtes Wort über ihn sagen", verrät Brawn, der fest davon überzeugt ist, dass Schumacher einen gewissen Anteil an den Mercedes-Erfolgen der vergangenen Jahre hat. Auch Nico Rosberg, der drei Saisons gemeinsam mit "Schumi" für die Silberpfeile fährt, würdigt nach seinem Titelgewinn in diesem Jahr dessen Beitrag.
Ohne Rücksicht auf Verluste...
Doch trotz aller Siege und Titel ist Schumacher in seiner Karriere nicht immer frei von Kritik. "Als Rennfahrer war er ziemlich rücksichtslos und aggressiv", räumt Brawn ein. Seinen ersten WM-Titel im Jahr 1994 gewinnt Schumacher im letzten Saisonrennen durch eine Kollision mit Damon Hill. Beide scheiden aus und der Titel wandert zum ersten Mal in der Geschichte der Formel 1 nach Deutschland.
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Kontoverse Vorfälle wie dieser ziehen sich quer durch Schumachers gesamte Karriere. 1997 versucht "Schumi" erneut, die WM-Entscheidung durch eine Kollision im letzten Rennen zu erzwingen. Doch während der Deutsche nach dem Rammstoß ausscheidet, kann sein Rivale Jacques Villeneuve weiterfahren und gewinnt letztendlich den Titel. Die FIA greift durch und erkennt Schumacher alle Punkte und den Vizetitel 1997 ab.
Brawn über Schumachers "zwei Seiten"
"Die Fans liebten oder hassten Michael. Diejenigen, die ihn hassten, taten das, weil sie nur das sahen, was auf der Rennstrecke passierte", nimmt Brawn Schumacher in Schutz und verrät: "Es gab viele, die keine gute Meinung von Michael hatten. Aber sobald sie ihn persönlich kennenlernten, haben sie ihre Meinung komplett geändert." Schlechte Worte verlieren in Schumachers langer Karriere fast ausschließlich seine Gegner über ihn.
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"Da sind eben diese beiden Seiten: der rücksichtslose Michael Schumacher als Rennfahrer und der Mensch dahinter - eine wundervolle Persönlichkeit." Er selbst gehöre zu den glücklichen Menschen, "die beide Seiten kennen." Über die Jahre entwickelt sich zwischen Brawn und Schumacher auch abseits der Strecke eine Freundschaft. Nach dem schweren Skiunfall des Rekordweltmeisters Ende 2013 besucht Brawn "Schumi" mehrfach.
"Es ist ein Privileg, mit so einem talentierten Fahrer wie Michael Schumacher zusammenzuarbeiten", verrät Brawn. "Aber ein noch größeres Geschenk ist für mich unsere persönliche Beziehung, die wir über all die Jahre hatten. Das war sehr außergewöhnlich und es bedeutet mir mehr als alles andere, diese wunderbare Persönlichkeit zu kennen", so der 62-Jährige.