• 08. Juli 2016 · 21:58 Uhr

Tricks mit dem Reifendruck: Wie die Teams weiter schummeln

Eine FIA-Direktive soll Vorwärm-Tricks unmöglich machen, doch an Abhilfe glaubt fast niemand - Spielberg-Daten werfen Fragen auf - Wo die Schlupflöcher sind

(Motorsport-Total.com) - Wie einige Teams die von Pirelli aus Sicherheitsgründen vorgeschriebenen Mindestreifendrücke mit Föns und Achsenwärmern austricksten, hat im Fahrerlager längst die Runde gemacht. Seit dem Österreich-Grand-Prix am vergangenen Wochenende will die FIA der Möglichkeit, die Werte nach der Kontrolle zu erhöhen, einen Riegel vorgeschoben haben. Qualifyingleistung und Lebensdauer der Pneus bei Mercedes und Co. sprechen eine andere Sprache. Wird weiter munter geschummelt?

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In der Startaufstellung wurde zuletzt eifrig gefönt: Was lässt man sich nun einfallen? Zoom Download

Vorweg: Im Paddock wird zum Thema geschwiegen. Bei Ferrari etwa leugnet man sogar, dass es die besagten Kniffe überhaupt gegeben hätte. "Wir glauben nicht an Storys, dass einige Teams im Vergleich zu anderen die Drücke signifikant absenken können", so Chefingenieur Jock Clear bei 'auto motor und sport'. Eine Beeinflussung des Wertes bezeichnet der Ferrari-Mann grundsätzlich aber als denkbar: "Vielleicht ein halbes PSI, aber nicht zwei. Das halten wir für unmöglich."

"Es wird viel gesprochen über clevere Lösungen, doch die sind alle illegal. Die FIA bestätigt aber, dass alle Autos legal unterwegs sind", so Clear. Kurioserweise war es sein eigener Pilot Sebastian Vettel, der nach dem Qualifying in Baku - das die Silberpfeile dominierten - den Stein ins Rollen brachte. "Wir haben den Verdacht, dass Mercedes etwas Clevreres mit den Reifen machen kann, um die Regeln ein bisschen zu umgehen." Nach ein paar irren Märchengeschichten klingt das nicht.

Tabuthema Grauzone: Ingenieure schweigen beharrlich

Angeblich sollen sich Force India, McLaren und Red Bull sich der identischen Technik bemächtigt haben. Im Lager der Österreicher dementiert man die Sache lieber erst gar nicht, sondern räumt ein, Grauzonen im Reglement ausnutzen zu wollen. "Wenn man Regeln vorgelegt bekommt, muss der Wettbewerber zeigen, dass er ihnen Folge leistet. Das werden wir tun", sagt Chefingenieur Paul Monaghan über die Änderung des Messprozederes, das in Spielberg erstmals zur Anwendung kam. Er fügt an: "Wir sehen uns eine Direktive an und es liegt an uns, das Maximum herauszuholen."


Fotostrecke: Formel-1-Technik: Updates Spielberg

Das heißt im Klartext, dass Red Bull bei der Messung durch die FIA-Offiziellen (ob nun vor oder nach der Montage) mit den korrekten Drücken aufwarten will. Was danach passiert? Ergebnisoffen, denn während des Fahrbetriebs wird nichts überprüft und es gibt auch keine Vorschriften in Form von Mindest- und Maximalwerten. Williams-Chefingenieur Rob Smedley scheint ebenfalls nicht zu glauben, dass mit dem neuen System alles besser und korrekter würde. "Ich denke nicht, dass es einen großen Unterschied macht, wenn es darum geht, wie verfahren wird", schüttelt er den Kopf.

Teams können über drei Faktoren die Reifenwärme steuern

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Reifen-Heizdecken sind längst nicht mehr das einzige Hilfsmittel der Teams Zoom Download

Wo ist sind die Schlupflöcher? Pirelli selbst hat schon einen Verdacht. Rennleiter Mario Isola sagt auf Nachfrage von 'Motorsport-Total.com': "Es gibt drei Quellen für Wärme: die Felge, die Fahrbahnoberfläche und die Energie, die in den Reifen fließt." An einem Auto lassen sich alle drei Faktoren beeinflussen. Damit auch die Temperatur, damit auch der Luftdruck. "Je nachdem, wie stark man die Reifen belastet, kann man mehr oder weniger Grip erzeugen", meint Isola.

So entsteht mehr oder weniger Reibung, mehr oder weniger Temperatur und mehr oder weniger Luftdruck. "Wichtig ist auch, wie viel Wärme von der Bremse in die Felge geht. So lässt sich die Temperatur regulieren. Und auch über das Rutschen lässt sie sich steuern", zählt der Pirelli-Mann weitere Beispiele auf. Isola ist überzeugt, mit der jüngsten Direktive durchgegriffen und die Sache zumindest teilweise ins Lot gebracht zu haben. Er hofft, Referenzwerten zu generieren: "Mit dem neuen System haben wir eine Konstante geschaffen. Wir messen in den drei Freien Trainings, im Qualifying und im Rennen immer auf die gleiche Art und Weise."


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In der Tat verfügt Pirelli jetzt über viele Referenzwerte und kann vergleichen, ob Reifendrücke verblüffend absinken. Vom Red-Bull-Ring brachten die Ingenieure aber nur wenig Material mit, weil ihnen das wechselnde Wetter in der Steiermark einen Strich durch die Rechnung machte. Im Rennen gab es dafür erneut Anlass, die Augenbrauen hochzuziehen.

Langfristige Lösung: Live-Telemetrie mit Reifendrücken für jedes Auto

Niedrige Werte helfen dabei, die Haltbarkeit der Pneus zu verlängern. Lewis Hamilton fuhr 23 Runden auf Ultrasoft, während einige Konkurrenten schon in Probleme gerieten, als die Zahl der Umläufe nicht zweistellig war. Höhere Werte wiederum sind wünschenswert, wenn es darum geht, eine Qualifying-Runde in den Asphalt zu nageln. Auch das gelang Mercedes mit Bravour.

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Hat Mercedes weiter etwas in petto, womit die Reifendrücke frisiert werden? Zoom Download

Pirelli will erst "nach einigen Rennen" beurteilen, ob die Maßnahme Wirkung zeigt. Die Italiener drohen zusätzlich damit, die vorgeschriebenen Drücke zu senken, sollten sie beobachten, wenn die Werte im Fahrbetrieb weiter signifikant höher liegen als am Start. "Es hängt alles davon ab, was wir jetzt beobachten. Wir können natürlich Hand anlegen", meint Isola und lässt sich von den Teams und Piloten nicht den Schwarzen Peter in die Schuhe schieben, wenn es um die Bemessung geht.

Denn die Berechnungen erfolgen auf Grundlage von Daten aus Simulationen, die die Formel-1-Mannschaften nach Mailand übermitteln. Pirelli passt die Werte dann unter der Zuhilfenahme von Erfahrungswerten aus der aktuellen Saison und der Telemetriedaten der Teams aus den Freien Trainings an. "Wenn wir sehen, dass wir 100 Kilogramm mehr Belastung und zehn km/h mehr Höchstgeschwindigkeit haben, rechnen wir auf Basis dessen hoch", beschreibt Isola das Prozedere.

Worum es bei den Reifendruck-Tricks geht

Weil die Reifendrücke nicht individuell für jedes Auto, sondern mit einem globalen Wert verfügt werden, muss Pirelli sich am empfindlichsten Boliden im Feld orientieren. "Eine Anpassung für jeden Wagen und jeden Fahrer ist nicht drin", winkt Isola ab. Auf seiner Wunschliste für 2017 steht vielmehr eine Live-Erfassung der Reifendrücke, wie sie in Straßenautos längst Usus ist. "Das ist aber nicht einfach. Wir arbeiten deshalb aber schon mit der FIA zusammen."

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Vorwärmen der Bremse und der Radnabe bei Mercedes mit dem "Fön" Zoom Download

Die FIA hatte es in Spielberg unterbunden, dass Teams die Bremsen und die Radnaben mit kleinen, lauten "Fönen" vorwärmen, um sich Vorteile beim Reifendruck am Rennstart zu erschleichen. Denn die Piloten mögen es nicht, wenn sich Pneus zu prall anfühlen und die Ingenieure versprechen sich von niedrigeren Drücken bessere Rundenzeiten auf Longruns und weniger Verschleiß. Dazu wurde mit einem Heizgerät in die Bremsschächte gehalten und die Bremse als Ganze angeblasen.

Denn wenn die Reifen nach dem Aufstecken auf die heißen Komponenten zusätzlich erwärmten, stieg der Luftdruck innen. Hielt man den Pneu auf der entsprechenden Temperatur, bis die FIA zur Kontrolle in der Startaufstellung schritt, gab es keinen Grund zur Beanstandung. Die Gummis kühlten aber ab, sobald es auf die Einführungsrunde ging. Und der Luftdruck sank unter die vorgegebene Mindestmarke. Zuvor checkte die Rennleitung von Pirelli vorgegebene Mindestwerte auf den Achsen. Jetzt erfolgt die Inspektion schon bevor die Pneus auf das Auto kommen.

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