Neue Startprozedur: Droht in Spa das große Chaos?
Ab dem kommenden Rennen, dem Grand Prix von Belgien, liegt die Verantwortung für den Startvorgang in der Hand des Fahrers: Meinungen von Piloten und Teams
(Motorsport-Total.com) - Die Formel-1-Piloten machen derzeit auf unterschiedliche Art von ihrer vierwöchigen Sommerpause Gebrauch. Wenn sie am 23. August um 14:00 Uhr den Grand Prix von Belgien in Spa-Francorchamps unter die Räder nehmen, steht ihnen die Premiere der neuen Startprozedur ins Haus.
Der Start in Spa (Foto: 2013) ist ohnehin knifflig, in diesem Jahr erst recht
Die FIA informierte die Teams vor wenigen Wochen darüber, dass die Starts beginnend mit dem Belgien-Grand-Prix einzig und allein in der Verantwortung des Fahrers liegen sollen. So darf der Schleifpunkt für die Kupplung künftig erst nach dem Start manuell vom Fahrer verändert werden.
Der Start aber muss mit der Schleifpunkt-Einstellung erfolgen, die beim ersten Ausfahren aus der Box am Freitagvormittag vorlag. Jegliche Änderung des Schleifpunkts zwischen dem ersten Verlassen der Box und dem Rennstart ist ab sofort untersagt.
Kommunikation zwischen Fahrer und Team ab sofort eingeschränkt
Zudem wird die Funkkommunikation zwischen Fahrer und Team in den Minuten vor dem Start deutlich eingeschränkt. Während der Formationsrunde dürfen Funksprüche seitens des Teams nur noch dann abgesetzt werden, wenn sie sicherheitsrelevante Gründe haben oder es ein technisches Problem am Auto gibt. Ein solches Problem muss jedoch "kritisch" sein, wie die FIA in ihrer Mitteilung an die Teams wissen ließ. In diese Kategorie fallen beispielsweise ein Reifenschaden oder der Hinweis eines anderen Fahrers auf ein Problem am Auto.
An den Kommandoständen wird es vor dem Start ab sofort ruhiger zugehen
"Probleme" wie etwa eine zu niedrige Reifentemperatur während der Einführungsrunde fallen nicht in die Rubrik "kritisch" und dürfen somit vom Team nicht mehr via Funk angesprochen werden. Weiterhin zulässige Funksprüche sind indes Hinweise auf Öl in einer bestimmten Kurve oder auf gelbe oder sogar rote Flaggen. Auch der Hinweis auf einen Positionstausch ist zulässig, sollte sich ein Fahrer auf der Runde in die Startaufstellung, aus welchem Grund auch immer, nicht an die richtige Reihenfolge halten.
Alle Funksprüche während der Einführungsrunde, die über die genannten Ausnahmen hinausgehen, stellen ab sofort einen Bruch von Paragraf 20.1 des Sportlichen Reglements dar und haben eine Strafe zur Folge. Wie diese Strafe ausfällt, liegt im Ermessen der Rennkommissare.
Startvorgang in der Verantwortung des Fahrers
"Die Formationsrunde ist ein ununterbrochenes Gequassel von Sachen, die ich machen muss, von Anfang bis Ende", bezieht sich Nico Rosberg auf den bisherigen Stand der Dinge und spannt den Bogen zur Neuerung ab Spa: "Das wird jetzt alles gestoppt, muss ich alles selbst machen. Das ist eine große Änderung, in die man sich reinarbeiten und an die man sich gewöhnen muss. Da können auch Fehler passieren."
Während Motorsportchef Toto Wolff anmerkte, dass Mercedes bereits am Ungarn-Wochenende Starts in Vorbereitung auf die Neuerung ab Belgien probte ("Vielleicht haben wir da Zukunft gegen Gegenwart eingetauscht."), gab Niki Lauda als Aufsichtsratsvorsitzender des Mercedes-Teams lediglich zu Protokoll: Es kann nicht sein, dass wir zweimal hintereinander nicht so gut wegkommen. Das darf nicht passieren." Folgt in Spa angesichts der neuen Prozedur der dritte misslungene Mercedes-Start in Folge?
Fotostrecke: GP Ungarn, Highlights 2015
Drei Helmut-Marko-Schützlinge auf dem Podium: Daniil Kwjat (Red Bull), Sebastian Vettel (Ferrari) und Daniel Ricciardo (Red Bull) widmen ihren Erfolg auf dem Hungaroring dem verstorbenen Kollegen Jules Bianchi. Fotostrecke
Rosberg macht sich keine großen Sorgen. "Fehler werden nur dann passieren, wenn die Kupplung anders greift als erwartet. Da muss man jetzt abwarten, inwiefern die Variabilität der Kupplung größer wird. Wenn die komplett konstant ist, dann werden die Starts nach wie vor so sein wie immer, denn der Ablauf ist ja gleich", meint der Mercedes-Pilot und begrüßt die Neuerung: "Ich finde es gut, denn jetzt haben wir Fahrer den Start wieder hundertprozentig in der Hand. Das bringt mehr Variabilität in die Starts."
"Wenn die Starts stärker manuell gesteuert werden, ist das eine gute Sache", findet auch Valtteri Bottas. "Ich freue mich darauf, es wird interessant", sagt der Williams-Pilot, der genau wie das Mercedes-Duo Hamilton/Rosberg während der Freien Trainings in Budapest schon "Trockenübungen" absolviert hat.
Rosberg: "Hatte noch nie das Kommando über den Start"
Nico Rosberg, der seit 2006 Formel 1 fährt, wird das "Gequassel" nicht vermissen
Auf die Frage, wann er in der Formel 1 das letzte Mal selbst das Kommando über den Start hatte, antwortet Rosberg: "Noch nie." Zwar mussten die Fahrer "schon was machen, aber die Ingenieure haben immer viel geholfen", bemerkt der Deutsche, der seit 2006 in der Königsklasse antritt.
Während Rosberg der Premiere der neuen Startprozedur entspannt entgegenblickt, hält sich Ferrari-Pilot Kimi Räikkönen mit einem Urteil noch zurück. "Wir werden in Spa sehen, ob es wirklich einen Einfluss darauf hat, wer gut und wer weniger gut startet. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das noch schwer abzuschätzen. Eines ist aber klar: Für die Teams und für die Fahrer wird es komplizierter. Die Chance, etwas falsch zu machen, ist sicherlich größer", so der Finne.
Lotus-Pilot Pastor Maldonado ist überzeugt, dass "die Starts auf jeden Fall weniger konstant werden. Man wird einfach nicht wissen, wo der Schleifpunkt der Kupplung ist. Diese Informationen haben wir vom Team bislang immer bekommen. Das selbst herauszufinden wird unmöglich sein, weil das alles elektronisch passiert".
Räikkönen hinterfragt Änderung
Maldonado glaubt, dass sich die Änderungen langfristig gesehen vor allem auf die Teams auswirken werden: "Für die Fahrer werden die Starts gleich bleiben, aber das Auto ist nicht dafür konzipiert, den Start so durchzuführen, wie es die FIA jetzt will. Deswegen wird es mehr auf die Teams ankommen und nicht die Fahrer."
Drohen Katastrophen-Starts in Spa?
Drohen deshalb auf der "Ardennen-Achterbahn" in Spa Katastrophenstarts mehrerer Fahrer und Teams? "Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon", will sich Maldonado überraschen lassen, ist aber überzeugt: "Keiner wird für Spa das Auto umbauen, denn es müsste schon eine bedeutende Veränderung am Getriebe vorgenommen werden."
Felipe Massa, der in Silverstone den besten Start zeigte, macht sich keine Sorgen
Niki Lauda bestätigt. "Der Fahrer muss jetzt das auswendig machen, was ihm normalerweise gesagt wird. An der Technik hat sich aber nichts verändert", so der dreimalige Weltmeister gegenüber 'RTL' in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender des Mercedes-Teams.
So kommt Williams-Pilot Felipe Massa, der in Silverstone von Startplatz drei geradewegs in Führung ging und im vergangenen Jahr sogar eine Trophäe für den besten Start bekam, zum Schluss: "Ich glaube, dass ich beim Start auch weiterhin konkurrenzfähig sein werde. Ich hatte immer großartige Starts. Ich denke nicht, dass es viel ändern wird. Man hat zwar weniger Informationen, aber die Abläufe sind immer noch die gleichen."
Der Start zum Grand Prix von Belgien wird zeigen, ob Massas Überzeugung gerechtfertigt ist oder ob sich die vorsichtigen Bedenken von Maldonado und Räikkönen bewahrheiten werden.