Erinnerungen an Bianchi: "Das größte Talent im Motorsport"
Die Formel-1-Piloten erinnern sich an ihrem verstorbenen Kollegen Jules Bianchi zurück - Geschichten mit dem Franzosen auf und auch abseits der Rennstrecke
(Motorsport-Total.com) - Der Große Preis von Ungarn steht ganz im Zeichen von Jules Bianchi. Der Franzose, der wenige Tage vor dem Rennen an den Folgen seines schweren Unfalls in Suzuka im Oktober 2014 verstarb, hinterlässt eine Lücke im Fahrerfeld der Königsklasse. Doch Bianchi war nicht nur ein Teil der Formel-1-Familie, viele Fahrer kannten den ehemaligen Formel-3-Champion bereits Jahre bevor er erstmals einen Fuß in die Königsklasse setzte. Vor dem Rennen auf dem Hungaroring erinnern sich die Piloten an die gemeinsamen Momente zurück.
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Jules Bianchi hat in seiner kurzen Karriere einen bleibenden Eindruck hinterlassen Zoom Download
"Zunächst einmal war Jules ein toller Freund", berichtet Williams-Pilot Felipe Massa, dessen Manager Nicolas Todt auch für Bianchis Karriere verantwortlich war. "Als Nicolas zum ersten Mal mit ihm arbeitete, da war er gerade am Ende seiner Kartkarriere. Damals traf ich ihn. Er war ein toller Junge, sehr nett und bescheiden. Außerdem war er ein großartiger Fahrer", erinnert sich der Brasilianer zurück.
"Leider hatte er in der Formel 1 nie die Möglichkeit, in einem konkurrenzfähigen Auto zu fahren, um sein Talent unter Beweis stellen. Ich denke aber, dass er es trotzdem gezeigt hat, als er damals in Monaco in die Punkte fuhr. Er fuhr mit einem unterlegenen Auto und alle wussten, dass er in diesem Rennen etwas Fantastisches geschafft hatte", erinnert sich Massa an Bianchis einzigen Punktgewinn im Jahr 2014 zurück.
"Wir sind zusammen eine Menge Kart gefahren, auch in Brasilien. Er war der beste Kartfahrer, den ich je gesehen habe", sagt Massa und ergänzt im Hinblick auf die Trauerfeier am vergangenen Dienstag: "Es war wirklich schwierig, dort in der Kirche überhaupt zu verstehen, was eigentlich passiert ist. Es war so traurig. Aber ich bin mir sicher, dass er jetzt an einem guten Ort ist, an dem er Rennen fahren kann und es genießt. Er wird uns alle definitiv von diesem Ort aus beobachten."
Viel Lob von allen Seiten
Während Massa lediglich in der Formel 1 gegen den Franzosen fuhr, kreuzten sich die Wege von Bianchi und Manor-Marussia-Pilot Roberto Merhi deutlich häufiger. "2002 traf ich ihn erstmals bei einem Kartrennen. Es war ein Rennen in Spanien und er kam aus Frankreich. Er war sehr jung und kam auf eine Strecke, auf der er noch nie gefahren war. Ich erinnere mich, dass ich wirklich überrascht war, weil er trotzdem sofort sehr schnell war. Er hat alle beeindruckt", verrät der Spanier.
"Auch als ich 2009 erstmals in der Formel 3 fuhr, da kämpften wir wieder gegen ihn, weil er in diesem Jahr der Fahrer war, den es zu schlagen galt. Er hat die Meisterschaft ganz locker gewonnen, obwohl so viele gute Piloten dabei waren. Er gewann sehr viele Rennen und ich denke das zeigt, wie gut er war", so der Spanier. Bianchi setzte sich damals in der Formel-3-Euroserie unter anderem gegen Piloten wie Merhi, Valtteri Bottas und DTM-Champion Marco Wittmann durch.
Fotostrecke: Die Karriere von Jules Bianchi
Jules Bianchi wird am 3. August 1989 in Nizza geboren. Der Spross einer Rennfahrerfamilie (Großonkel Lucien gewann 1968 die 24 Stunden von Le Mans und fuhr im selben Jahr beim Formel-1-Grand-Prix von Monaco als Dritter aufs Podium) zeigt schon in jungen Jahren, dass auch er Benzin im Blut hat. Fotostrecke
"Ehrlich gesagt ist es eine Schande, dass er in einem Formel-1-Auto nie zeigen konnte, was er drauf hat. Er war der beste Fahrer, gegen den ich je gefahren bin", betont der Spanier noch einmal. Auch Romain Grosjean würdigt die Fähigkeiten seines Landsmanns: "2003 hörte ich seinen Namen zum ersten Mal, und er war ein sehr viel besserer Kartfahrer als ich. In allen Kategorien, in denen er gefahren ist, hat er auch gewonnen."
"Dann schafften wir es beide in die Formel 1. Ich hatte das Glück, dass ich es zwei Jahre vor ihm schaffte. In meiner schwierigen Saison 2014 kämpften wir oft gegeneinander. Ich erinnere mich daran, wie ich 2014 in Monaco hinter ihm ins Ziel kam, als er seine ersten Punkte sammelte. Nach dem Rennen bekam er eine Strafe, weshalb er hinter mir gewertet wurde. Das spielt aber keine Rolle: Er beendete das Rennen vor mir auf Platz acht."
"Alle mochten ihn"
Ein weiterer alter Bekannter: Nico Hülkenberg. "Er war 2008 in der Formel 3 und 2012 in der Formel 1 mein Teamkollege", erinnert sich der Le-Mans-Sieger zurück. 2012 testete Bianchi mehrfach für Hülkenbergs Force-India-Team. "Ich erinnere mich, dass ich 2008 in meinem zweiten Jahr in der Formel 3 war und in diesem Jahr die Meisterschaft gewinnen sollte. Er war ein Rookie und gerade einmal in seinem ersten Jahr."
Fotostrecke: Unfall von Jules Bianchi
Beginn der 41. Runde beim Grand Prix von Japan: Jules Bianchi liegt an 17. Position, auf der Ziellinie genau 0,5 Sekunden vor Adrian Sutil, der kurz zuvor an der Box war. Aber zum Duell der beiden kommt es nicht. Fotostrecke
Der Deutsche gewann die Formel-3-Euroserie im Jahr 2008, Bianchi beendete sie auf Rang drei. Zwei Jahre später schaffte es Bianchi in die GP2 - wo er unter anderem auf Sergio Perez traf. "Ich traf ihn, als wir beide in der GP2 waren. In der Ferrari Academy verbrachte ich etwas mehr Zeit mit ihm und man konnte sehen, dass Jules ein besonderer Fahrer war, aber auch ein sehr spezieller Mensch, den alle mochten. Er war sehr bescheiden und ein großartiger Kerl", erinnert sich der Mexikaner zurück.
Gedanken sind bei Bianchis Familie
"Seine Familie ist jetzt auch unsere Familie. Wir möchten sie so gut wie möglich unterstützen, denn Jules wird für immer bei uns sein", verspricht der Force-India-Pilot und Nico Rosberg ergänzt: "Das Begräbnis war sehr traurig, emotional, intensiv. Es war schön, dass so viele Leute gekommen sind. Hoffentlich konnten wir der Familie mit unserer Anwesenheit ein wenig Trost spenden. Es ist eine schwierige Zeit, aber über die Jahre habe ich als Rennfahrer gelernt: Wenn das Visier runtergeklappt wird, muss alles andere beiseite geschoben werden."
Valtteri Bottas, der sich Bianchi im Kampf um den Titel in der Formel 3 einst geschlagen geben musste, erklärt: "Es war eine harte Woche für alle, die Jules gekannt haben, für alle in der Formel 1. Und ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie es für die Familie sein muss. Es war nicht einfach, ihn am Dienstag loszulassen. Er war ein netter Kerl, jeder hat ihn gemocht."
Fotostrecke: Tödliche Unfälle in Formel-1-WM-Rennen
Insgesamt 25 Rennfahrer haben in Läufen zur Formel-1-Weltmeisterschaft bei tragischen Unfällen ihr Leben verloren. Das erste Opfer war der Argentinier Onofre Marimon, der am 31. Juli 1954 bei einem Unfall im Training zum Rennen auf dem Nürburgring umkam. Fotostrecke
"In den Nachwuchsserien war er eine Referenz für uns alle, ganz besonders für mich", erinnert sich derweil Sauber-Pilot Felipe Nasr zurück. "Ich war immer ein paar Jahre hinter ihm zurück, weil wir nicht das gleiche Alter hatten. Man konnte definitiv sehen, dass er alle Voraussetzungen hatte, um ein sehr guter Fahrer zu werden, der in der Zukunft um größere Ziele kämpft. Ich habe eine Menge Respekt vor ihm, obwohl ich ihn nicht so gut kannte."
"Ich kannte ihn nicht sehr gut", berichtet auch Sebastian Vettel, "aber ein Erlebnis, an das ich mich erinnere, war das Joggen in Suzuka. Wir sind eine komplette Runde gelaufen und ich war beeindruckt davon, wie stark und wie fit er war. Man konnte allein auf dieser kurzen Distanz sehen, wie leidensfähig er war. Es war beeindruckend zu sehen, wie er auf der hügeligen Strecke alles gab." Jules Bianchi gab immer alles. Auf der Strecke und in jeder anderen Lebenslage. Nur den Kampf gegen den Tod konnte er am Ende nicht gewinnen.