Aus Zettelwirtschaft mach' Atomwissenschaft

(Motorsport-Total.com) - Einige haben Spaß am Asphaltschach, andere halten sie für die grassierende Krankheit der modernen Formel 1: Rennstrategie hat - allen Regeländerungen und Philosophiewechseln im Laufe der Zeit zum Trotz - an Bedeutung für den Motorsport sukzessive gewonnen. Neil Martin ist seit 1996 in der Königsklasse tätig und einer ihrer profiliertesten Strategen. 'gocar.gr' sagt er: "Manchmal ist Wissen keine Verteidigung. Man kann perfekte Vorhersagen treffen, die besten Entscheidungen fällen - und verliert trotzdem."

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Kommandostand bei Ferrari: Hier wird gefunkt, nicht mehr mit Zetteln gefuhrwerkt Zoom Download

Der Ferrari-Mann, der schon für Red Bull und McLaren arbeitete, weiß, wovon er spricht. Schon als Mathematikstudent in Southampton entwarf Martin Algorithmen, um den Einfluss von Gewicht, Spritballast, Durchflussmenge, Stoppzeit, Durchfahrtzeit und Reifenabbau zu berechnen. Und die zentrale Frage zu beantworten: Ist Strategie A schneller als Strategie B? Heute stehen ihm ganz andere Hilfsmittel zur Verfügung. Schließlich lässt sich in der High-Tech-Welt nicht nur der eigene Wagen in die Überlegungen mit einbeziehen, sondern dank GPS-Technik alle Autos, die sich auf dem Kurs.

Safety-Car-Phasen, Überholmanöver und sogar das Unvorhersehbare sind Teil mathematischer Gleichungen, die die Teams nutzen, um ihre Strategie zu planen. Das erlaubt Gedankenspiele, die für manchen Fan gar nicht mehr nach Motorsport klingen: "Wenn wir eine Zweistoppstrategie unternehmen, dann geben wir uns eine 20-prozentige Chance, Erster oder Zweiter zu werden. Stecken wir aber im Verkehr fest, ist es wahrscheinlich, dass ein Ergebnis auf Rang sieben oder schlechter herausspringt", skizziert Martin Dialoge, wie sie an den Rennwochenenden intern an der Tagesordnung sind.

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Boxenstopps entscheiden in der Formel 1 längst über Sieg und Niederlage Zoom Download

Ab 1998 hat sich das Prozedere nochmals fundamental verändert, da Entscheidungen seitdem nicht mehr im Vorfeld des Rennens festgelegt, sondern "live" getroffen werden. Permanente Datenströme und die elektronische Zeitnahme für alle Autos erlauben es, innerhalb von Sekunden auf Entwicklungen zu reagieren und alle Pläne über den Haufen zu werfen, sollten sie nicht mehr erfolgsversprechend sein - anhand von tatsächlichen Rundenzeiten und Abständen. Seit 1999 wird an der Boxenmauer im Funk auf einem eigenen Strategiekanal kommuniziert und auf Papierkram verzichtet.

Martin erinnert sich mit Unbehagen an die analoge Zeit: "Ich rannte von der Boxenmauer in die Garage mit den Ausdrucken in der Hand und brüllte ihnen in die Ohren, um die Geräuschkulisse der Autos zu übertönen", schmunzelt der Brite, der fortan auch simulieren konnte, wie sich bestimmte Strategien der Konkurrenz auf den Rennverlauf auswirken. Der nächste Schritt war es, Planung und Überwachung teilweise in die Fabriken in Großbritannien und Italien zu verlegen, wo Spezialisten bestimmte Parameter des Autos überwachen. Nur so wurden die Teams den immer größeren Datenmengen noch Herr.