Formel-1-Sicherheit: Fehlt der tödliche Kick?

Die Rennlegenden Stirling Moss und Nigel Mansell zweifeln an Sicherheitsmaßnahmen und Respekt in der Formel 1: "Dann spielt doch Tennis"

von Roman Wittemeier · 18.07.2012 10:10

(Motorsport-Total.com) - Das schwarze Wochenende im Mai 1994 hat die Formel 1 nachhaltig verändert. Nach dem Tod von Ayrton Senna und Roland Ratzenberger rückte die Sicherheit im Grand-Prix-Sport in den Vordergrund. Die Strecken wurden ebenso verändert wie die Fahrzeuge. Mit Erfolg: Seit dem 2. Mai 1994 gab es keine weiteren tödlichen Unfälle von Formel-1-Piloten mehr zu beklagen. Hat die Szene durch mehr Sicherheit weniger Reiz?

Auch heute passieren noch schlimme Unfälle: Perez' Sauber in Monaco 2011

"Ich glaube, dass sich das ganze Konzept verändert hat. Gleich nach dem Krieg wurde es akzeptiert, wenn ein Fahrer im Rennen ums Leben kam. Nun wird es nicht mehr akzeptiert", meint Ex-Formel-1-Pilot Stirling Moss auf 'Servus TV'. "Das ganze Konzept, der Grundgedanke hat sich geändert. Es ist, so meine ich, schade, denn den Spaß, den wir damals hatten, als wir Kopf und Kragen riskierten, den haben die Fahrer heute nicht mehr."

Für den Briten gehört die tödliche Gefahr zum Charakter des Rennsports. "Autorennen sind nun mal ein gefährlicher Sport. Wenn du keine Gefahr willst, dann spiel Tennis, das ist doch ein schöner Sport", spricht Moss Klartext. "Meiner Meinung nach gehört Gefahr zu Autorennen dazu. Wenn du mit einem Bullen kämpfst und ihn an den Hörnern packst, dann ist das halt gefährlich.", meint der 82-Jährige, der von 1955 bis 1958 jeweils Vizeweltmeister wurde.

Zu breite Auslaufzonen

"Grundsätzlich sehen wir tolle Rennen. Es ist toller Sport - trotz einiger Dinge, mit denen ich nicht einverstanden bin. Zum Beispiel diese modernen Auslaufzonen", gibt sich Moss nur wenig verständnisvoll. "Warum machen sie das? Wenn da eine Mauer stünde, würden sie die gar nicht berühren. Wenn sie sie touchieren, würden sie ein Rad verlieren, aber das passiert nicht. Wir sollten das auch alles so unter Kontrolle haben, das wollen wir sehen."

Zu den aktiven Zeiten von Stirling Moss begrenzten Strohballen die Rennstrecke

"Wir wollen ein Auto sehen, das in der Kurve im Grenzbereich herumspringt, und die Autos sollen am absoluten Limit noch die Absperrung berühren. In meiner Karriere war das so. Wenn du in Monaco zu schnell in die Kurven gefahren bist, waren die Seiten deiner Reifen weiß, weil du ganz leicht die Mauer touchiert hast. So sollte es heute sein", sagt der Brite, der zumindest in diesem Punkten volle Zustimmung von seinem Landsmann Nigel Mansell erhält.

"Auch zu meiner Zeit war es noch so: Wenn du zehnmal ausgeritten bist, hattest du neunmal einen Unfall. Damals mussten wir die Strecke respektieren. Wir hatten Kerbs, die die Kurven begrenzt haben, und wenn du zu hart auf diese Randsteine gefahren bist, hattest du meistens auch einen schweren Unfall", sagt der Champion von 1992. "Heute gibt es auch Kerbs, aber auch wenn du mit über 300 Sachen drüberfährst, passiert meistens nichts."

"Ein Riesenvorteil ist natürlich die Sicherheit, denn niemand kommt mehr so zu Schaden. Aber heute fahren sie natürlich auch ohne Rücksicht auf die Strecke", sagt Mansell. "Als Maldonado in Valencia von der Strecke abkam, zurückfuhr und Hamilton rausgeschmissen hat, war das natürlich nicht korrekt. Die Kommissare müssen da Strafen aussprechen. Hätten die Fahrer heute mehr Respekt, vor allem auch vor dem Kurs, wäre das für alle Beteiligten besser."

Zu wenig Respekt

"Deshalb hat Fernando Alonso auch gesagt, dass die jungen Fahrer, die heute in die Formel 1 kommen, einander nicht respektieren. Die kennen das gar nicht, aber sie sollten sich respektieren. Das macht es für die Kommissare sehr kompliziert", meint der Brite, der bereits mehrfach als Berater der Formel-1-Rennleitung fungierte. "Wir müssen einige der jungen Fahrer sozusagen dazu erziehen, sich gegenseitig zu respektieren."

Nigel Mansell kennt die Gefahren: 2010 flog er in Le Mans kräftig in die Barrieren

Das aktuelle Regelwerk nehme den Piloten viel Verantwortung aus der Hand. Visier herunter, Vollgas - so das Motto. "Rennfahrer überschreiten Grenzen, immer schon", sagt Mansell. "Die Verantwortung, ein Auto zu fahren und zu überholen, ist die Verantwortung der Fahrer. Viele der neuen Regeln nehmen diese Verantwortung den Fahrern aus den Händen, was für mich an sich komplett verrückt ist. Die Fahrer haben die Verantwortung, und die, die es übertreiben, sind dafür selbst verantwortlich, keinen Unfall zu bauen."

Aus Sicht des früheren Williams-Stars sei ein Bemühen um mehr Sicherheit jederzeit zu begrüßen, allerdings müsse man einen Weg finden, um die Piloten wieder mehr zu sensibilisieren. "An sich muss man denen, die die Regeln gemacht haben, gratulieren: Es gibt keine Probleme mit den Autos, alles okay. Das größte Problem ist, neue Regeln zu schaffen, um einige Fahrer vor sich selbst zu schützen. Die müssen die Verantwortung annehmen", sagt Mansell.

Von einer neuen Form der Leichtigkeit spricht Stirling Moss, wenn es um die Herangehensweise der Piloten geht. "Das ganze Konzept, die Idee des Rennfahrens hat sich verändert. Als ich mit dem Rennfahren anfing, gingen wir in kleine Städte, die bauten Strohballen auf - und los ging's! Am Sonntag gab es dein Preisgeld und dann ging es zum nächsten Rennen", erinnert sich der Brite wehmütig. "Das war so ein wunderbares Leben, das gibt es heute nicht mehr."