Meinung: Warum Red Bull Racing für Isack Hadjar nicht das Richtige ist
Ein Rookie, ein Podium und ein großes Fragezeichen: Ist Isack Hadjar wirklich schon für 2026 Red-Bull-Racing-Material - oder braucht er noch mehr Zeit?
(Motorsport-Total.com) - "Isack ist anders", sagte Helmut Marko nach Isack Hadjars sensationellem dritten Platz beim Grand Prix der Niederlande in Zandvoort, als er gefragt wurde, ob er glaube, der Franzose könne dem Druck standhalten, möglicherweise schon 2026 Teamkollege von Max Verstappen zu werden.

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Isack Hadjar wird als heißester Kandidat auf die Tsunoda-Nachfolge bei Red Bull Racing gehandelt Zoom Download
Von allen Podestplätzen des Faenza-Teams - Sebastian Vettels Monza-Sieg im Jahr 2008 mal ausgenommen - war dies wohl einer der solidesten. Ja, in Zandvoort gab es drei Safety-Cars und reichlich Zwischenfälle, aber es war kein Zufallstreffer.
Ein später Ausfall von Lando Norris öffnete Hadjar die Tür in die Top 3, aber den Rest erledigten Speed, Konstanz und eine saubere Verteidigung. Er war als Vierter gestartet, hatte George Russells Mercedes hinter sich gehalten und blieb über weite Teile des Rennens nah an Verstappen dran. Eine beeindruckende Vorstellung.
Hadjar: Bessere Karten als Tsunoda?
Auch wenn Berichte über eine Red-Bull-Beförderung für 2026 verfrüht wirken - die Teamchefs haben es offensichtlich nicht eilig, ihre Fahrerpaarung festzuzurren -, darf man sagen: Hadjar hat in seiner Rookiesaison Argumente für sich gesammelt. Vor allem im Vergleich zu Yuki Tsunoda und Liam Lawson. Momentan scheint die Wahl zwischen diesen Drei zu liegen; Arvid Lindblad direkt in den heißesten Sitz der Formel 1 zu setzen, wäre selbst nach Red-Bull-Maßstäben abenteuerlich.
Hadjar hat sich eine ernsthafte Überlegung redlich verdient. Und es ist schwer zu sehen, wie Tsunoda das noch übertreffen könnte. Ein oder zwei Siege vor dem Mexiko-Grand-Prix, dem wahrscheinlichen Entscheidungspunkt, wären hilfreich. Aber wie realistisch ist das? Kaum wahrscheinlicher, als dass Hadjar noch ein weiteres Podium holt. Viel deutet nicht darauf hin, dass Tsunoda kurz vor dem Durchbruch steht.
Eine klare Lösung ist damit aber immer noch nicht gefunden. Auch nach einem so eindrucksvollen Rookie-Auftritt: Ist Hadjar wirklich schon ein fertiger Topteam-Fahrer? Wohl kaum. Um wirklich vorbereitet bei Red Bull anzukommen, täte ihm noch ein Jahr oder zwei im Schwesterteam gut. Franz Tost würde das wohl genauso sehen. Tsunoda im Cockpit zu lassen, wäre aber auch fragwürdig: zu wenig Leistung, vor allem aber zu wenig Entwicklung.
Und Lawson? Hat er genug gezeigt, um bei Red Bull eine zweite Chance im A-Team zu bekommen? Pierre Gasly bekam diese Chance nicht, obwohl er mit dem Schwesterteam einen Sieg und zwei weitere Podien geholt hatte. Die Antwort dürfte also "nein" lauten.
Damit reduziert sich die Entscheidung für Red Bull im Kern auf: Tsunoda behalten - oder ihn durch Hadjar ersetzen.
Warum das mit den "Stichproben" nicht so einfach ist
"Saubere Stichproben", erklärte Laurent Mekies in Monza, brauche man, um Tsunoda in den nächsten Rennen richtig einschätzen zu können. Doch genau diese Stichproben fehlen. In 14 Rennen mit Red Bull konnte Tsunoda bislang keines komplett überzeugend absolvieren. Und so läuft ihm, trotz Mekies' Gelassenheit, die Zeit davon, während er die Geduld seiner Chefs strapaziert.
Seine Aufgabe war freilich auch nicht leicht. Schon nach zwei Rennen musste er an Verstappens Seite ran. Und genau darin zeigt sich das Grundproblem der jüngeren Red-Bull-Entscheidungen: fehlende Vergleichsmaßstäbe.
Wie viel von Tsunodas anfänglichen Problemen lag daran, dass das Auto eines war, mit dem nur Verstappen umgehen konnte? Wie groß war der Einfluss unterschiedlicher Spezifikationen? Tsunoda sagte, selbst Marko habe diesen Faktor unterschätzt.
Paul Monaghan spielte ihn dagegen in Zandvoort herunter: "Schön, dass wir das endlich klären konnten", meinte er, "aber es war nicht so groß, wie viele dachten." Bis dahin hatte Tsunoda stets eine ältere Unterboden-Spezifikation verwendet als die Nummer 1 im Team.
Das Spa-Qualifying, als Tsunoda erstmals denselben Unterboden wie Verstappen hatte, schien seine Sicht zu bestätigen: Startplatz 7. Ähnliches in Ungarn, wo er trotz Q1-Aus weniger als zwei Zehntelsekunden hinter Verstappen lag. In Monza war er in Q1 und Q2 erneut nah dran, in Q3 wuchs der Rückstand. Allerdings war er dort als Erster auf der Strecke unterwegs und hatte keinen Windschatten.
"Saubere Stichproben" gibt es nicht, wenn Fahrer ständig ins Hintertreffen geraten und gegen den Besten im Feld gemessen werden.
Waren Lawson und Tsunoda überfordert?
War Lawson für diese Aufgabe nach elf Grands Prix bereit? Natürlich nicht. Dazu kam, dass er nicht einmal genug Zeit bekam, sich zu beweisen. Zwei Rennen auf unbekannten Strecken, im Wissen, dass der Traumjob jederzeit verschwinden konnte - das war kaum eine faire Chance. Erwartet wurde viel, geliefert hat er weniger. Aber die Erwartungen waren vermutlich ohnehin unrealistisch.
Auch der Druckfaktor spielt eine Rolle. Tsunoda verbrachte vier Jahre im Juniorteam - nur um dann zu sehen, dass Red Bull Lawson über ihn stellte. Danach hieß es sinngemäß: "Du wolltest es unbedingt - jetzt beweise es!"
In den vergangenen Jahren hat Red Bull seine Nachwuchsfahrer einfach ins kalte Wasser geworfen, ohne dass sie schwimmen gelernt hatten. Fast alle sind erwartungsgemäß untergegangen.
Was 2026 anders sein könnte
2026 allerdings ist die Situation etwas anders. Genau darauf spielte Hadjar am Donnerstag in Monza an: "Ehrlich gesagt, Anfang des Jahres wurde ich gefragt, ob ich schon bereit wäre, ins Red-Bull-Cockpit zu springen", sagte er. "Und meine Antwort war nein. Weil es jetzt einfach keinen Sinn macht."
"Aber 2026 ist eine andere Frage, weil es ein kompletter Neustart für das Team ist. Dann gibt es dieses Gerede vom zweiten Auto nicht mehr. Alle beginnen bei null. Da geht es darum, das Auto in die richtige Richtung zu entwickeln. Und das finde ich spannend."
Ein gutes Argument. Neue Regeln dürften das "auf-Max-zugeschnitten"-Thema entschärfen und Hadjar die Möglichkeit geben, zusammen mit Verstappen ein neues Auto kennenzulernen. Falls er diesen Platz bekommt, hätte er mehr Einfluss auf die Entwicklung als im aktuellen Reglement. Der RB21 ist, wie er ist, weil Verstappen der klare Referenzpunkt ist. Nächstes Jahr dürfte das weniger Gewicht haben.
Und trotzdem: Ein Cockpit neben Verstappen ist eine Mammutaufgabe. Dessen Stärke besteht nicht nur aus reinem Naturspeed, sondern auch darin, das Auto perfekt mitzuentwickeln, getragen von einem eingespielten Team, das ihn seit fast zehn Jahren kennt.
Um auch nur annähernd an ihn heranzukommen, muss man so gut vorbereitet wie möglich sein. Mit nur einer Saison Erfahrung in der Formel 1 - etwas weniger als Gasly damals, etwas mehr als Albon und Lawson, in etwa so viel wie Kwjat - wäre Hadjar wohl nicht ausreichend gewappnet.
Markos Bemerkung, Hadjar sei "anders", klingt kaum überzeugender als die Begründungen für frühere Beförderungen. Lawson sollte mental stark genug sein, Tsunoda reif genug. Bewiesen haben sie es auf der Strecke nicht.
Hadjar: Darum braucht er noch ein Jahr in Faenza
Die isolierte Frage lautet: Würde Hadjar von einem weiteren Jahr (oder zwei) im Racing-Bulls-Cockpit profitieren? Die Antwort ist eindeutig ja. Jetzt schon in die Red-Bull-Spitze zu gehen, würde erneut bedeuten, dass er hinterherlaufen muss, unter noch größerem Druck.
Manche argumentieren, Gasly und Albon hätten sich auch nach ihrer Red-Bull-Zeit gute Karrieren aufgebaut. Das stimmt. Aber es half Red Bull selbst nicht. Hinzu kommt: Es gibt keine sauberen Vergleichsdaten zwischen Lawson, Hadjar und Tsunoda. Selbst wenn sie zeitweise Teamkollegen waren, gab es stets Störfaktoren.
Aus Lawsons Ersatzrolle für Ricciardo im Herbst 2023 kann man nichts Belastbares ziehen. Aus zwei Rennen Tsunoda vs. Hadjar ebenso wenig. Und auch nicht aus Lawsons Rückstufung ins Juniorteam, wo er sich in ein neues Auto einarbeiten musste. Für eine echte "saubere Stichprobe" bräuchte es mindestens eine volle Saison.
So merkwürdig es klingt: Der einzige Ausweg könnte sein, endlich aufzuhören, ständig Fahrer durchzuwechseln - und ihnen stattdessen Zeit zu geben. Zeit, sich zu beweisen, ohne unterzugehen. Zeit, sich zu entwickeln. Selbst wenn das bedeutet, den strauchelnden Tsunoda noch ein Jahr zu behalten.
Hadjar sagte am Donnerstag in Baku, er habe "eine Ahnung", wo die Reise für ihn hingehen könnte, "aber wissen tu ich es nicht". Auf die Frage, ob er die ganzen Berichte in den Medien gelesen habe, anwortete er nur: "Das ist mir egal. Wirklich. Ich war endlich mal fünf Tage am Stück zu Hause. Da fällt mir was Besseres ein als mich durch Instagram zu scrollen."
Hadjars Podium in Zandvoort war ein großartiges Ausrufezeichen. Doch unmittelbar davor fehlte es an Konstanz: In den meisten Europarennen hatte Lawson mehr Punkte gesammelt. Hadjar hat noch einiges zu lernen. Und Red Bull Racing ist nicht der richtige Ort dafür.
Euer Oleg Karpow