• 28. Juli 2025 · 05:33 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Stefano Domenicali

Der F1-Sprint ist kommerziell ein Erfolg, sportlich aber umstritten - Ein Vorschlag, wie ihn Stefano Domenicali endlich zum echten Highlight machen könnte

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

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Stefano Domenicali könnte den F1-Sprint auch auf den Freitag verlegen Zoom Download

es ist eine Grundidee dieser Kolumne, einen "Verlierer" des zurückliegenden Wochenendes immer in Form einer konkreten Person zu benennen. Was nicht immer einfach ist. Besonders dann, wenn ich den Finger nicht in die Wunde von Menschenfleisch legen, sondern eine Situation benennen möchte, die nicht nur mich, sondern vermutlich auch sehr viele Fans der Formel 1 beschäftigt.

Die Situation ist diesmal der F1-Sprint. Und der Mann, der sie zu verantworten hat, heißt Stefano Domenicali, der von Rechteinhaber Liberty Media eingesetzte CEO der Formel 1.

Der F1-Sprint, eingeführt in der legendären Saison 2021, ist ein zweischneidiges Schwert. Ich unterstelle, dass Liberty damals nicht das edle Motiv hatte, den Fans noch mehr Entertainment zu bieten. Sondern in erster Linie ging es vermutlich darum, die dollargebende Kuh, deren Euter regelrecht explodieren, seit diese nicht mehr von Bernie Ecclestone gemolken werden, bis auf den allerletzten Cent auszupressen.

Silverstone 2021: Eine Geburt mit Fehlbildungen

Als in Silverstone 2021 Max Verstappen den ersten F1-Sprint der Formel-1-Geschichte gewonnen hat, war das alles eine ziemlich verkrampfte Angelegenheit. Der damalige FIA-Präsident Jean Todt hatte (wie viele Traditionalisten im Paddock) die Befürchtung, dass der F1-Sprint die Historie der Formel 1 verwässern und die Bedeutung des Grand Prix reduzieren könnte. Sodass es erstens keine Siegerehrung geben und zweitens auch niemand Rennen zu dem verkürzten Rennen sagen durfte ("Don't call it a race!").

In Silverstone wurde 2021 am Freitagmorgen ein Freies Training gefahren, am Freitagnachmittag dann das Qualifying, am Samstagmorgen wieder Freies Training, und am Samstagnachmittag das sogenannte Sprint-Qualifying, also ein auf ein Drittel der Original-Renndistanz verkürztes Rennen, in dem die Startaufstellung für den Grand Prix am Sonntag ausgefahren wurde. Dazu gab's auch noch 3-2-1 Punkte für die Fahrer-WM on top.

2023 wurde das Format angepasst. Jetzt gab's am Freitag zuerst Freies Training und dann das Qualifying für das Rennen am Sonntag, und am Samstag zuerst das Sprint-Qualifying und dann den F1-Sprint. Was irgendwie auch nicht richtig gut klappte. Bis man beim heutigen Format endete, mit Sprint-Qualifying am Freitagnachmittag und F1-Sprint am Samstag zu Mittag. Mit Qualifying und Rennen in den traditionellen Slots am Samstag und Sonntag.

Ich gebe gern zu: Ich finde den F1-Sprint grundsätzlich völlig überflüssig. Er verwässert historische Statistiken, er wird von niemandem so richtig ernst genommen, und bis heute gibt es nach einem F1-Sprint keine ordentliche Siegerehrung. Nicht Fisch, nicht Fleisch - und ein weiterer Schritt hin zur Übersättigung der Fanbase. Auch wenn - ich weiß, ich weiß - alle Reichweitenzahlen zweifellos darauf hindeuten, dass die Idee grundsätzlich ein kommerzieller Erfolg ist.

Aha-Erlebnis: Was der Sprint-Freitag für Fans vor Ort bedeutet

Die Augen aufgegangen sind mir dann, als vor ein paar Jahren am Freitag in Spielberg einer meiner Kollegen aus der Redaktion privat auf der Tribüne saß und mir nachher begeistert berichtete, dass so ein Freitag mit einem Sprint-Qualifying irgendwie viel mehr Spaß mache als das alte Format, bei dem die Fahrer am Freitagnachmittag meistens nur auf von der Tribüne aus ziemlich undurchsichtigen Longrun-Simulationen durch die Gegend gerollt sind.

Das Anliegen der Formel 1, zusätzliche Sendezeit zu verkaufen, kann ich ebenso verstehen wie das Anliegen der Veranstalter, mehr Freitagstickets an die Frau und an den Mann zu bringen. Und ich habe inzwischen auch eingesehen, dass der F1-Sprint wohl gekommen ist, um zu bleiben. Die Dollars sprechen eine eindeutige Sprache. Auch wenn das Format insbesondere unter Hardcore-Fans und im Paddock nicht viele Freunde hat.


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Was mir allerdings trotz einiger Format-Tweaks in den vergangenen Jahren immer noch unschlüssig erscheint, ist die Tatsache, dass der F1-Sprint, das erste große Highlight des Wochenendes, am Samstag schon zu Mittag stattfindet. Das ist insofern eher unglücklich, als am Samstagabend selbst dann kaum noch jemand über das Sprintrennen redet, wenn dieses ausnahmsweise mal einigermaßen spannend war (in Spa am Samstag definitiv nicht) - weil danach ja noch das Grand-Prix-Qualifying ausgetragen wird.

Und das bedeutet: Nach dem F1-Sprint gibt es eine lieblos hingerotzte Pressekonferenz, deren Geschichten selbst auf Special-Interest-Portalen wie dem unseren nur halbherzig berichtet werden, weil es schon ein paar Stunden später mit dem Qualifying weitergeht. Und wenn dann am Abend die Menschen ihre Smartphones rausholen, um nachzulesen, was am Samstag so in der Formel 1 passiert ist, sind die Storys über den F1-Sprint meist längst aus den prominentesten Slots auf den Startseiten dieser Welt rausgerutscht. Die TV-Sender stehen in ihren Abendnachrichten vor einem ähnlichen Dilemma.

Aus Promotersicht ist der Freitag in der aktuellen Konstellation auch nur halbherzig adressiert. Ja, ein Sprint-Qualifying mag attraktiver sein als ein zweites Freies Training. Aber letztendlich sieht man auf der Tribüne auch nur ein Auto nach dem anderen vorbeizischen. Den Freitag mit einem Rennen aufzuwerten, das wäre womöglich wirklich ein Anreiz, schon einen Tag früher anzureisen und mehr Geld am Veranstaltungsort zu lassen. Oder zumindest Friday-only zu kommen, wenn man sich vielleicht die teuren Tickets für Samstag/Sonntag nicht leisten will.

Wie man es in Zukunft besser machen könnte

Und möglich wäre das. Die Formel 1 müsste einfach am Freitag direkt mit einem Sprint-Qualifying einsteigen, am Freitagabend den F1-Sprint fahren, zu fantastischen Sendezeiten, wenn viele gerade ins freie Wochenende gehen. Und ab Samstag beginnt das Wochenende dann für alle Traditionalisten so, wie sie es seit Jahrzehnten kennen: zuerst Freies Training, dann Qualifying, und am Sonntag der Grand Prix. Es wären alle Interessen bestmöglich bedient.

Die einzige Gruppe, die ernsthaft etwas gegen diesen Vorschlag haben könnte, wären die Ingenieure. Die werden mit Sicherheit jammern, dass es doch unmöglich sei, aus dem Stand ein Qualifying zu fahren, ganz ohne Freies Training, um die Autos zumindest grundlegend abzustimmen. Und ich stimme zu: Das wäre sicherlich eine enorme Herausforderung.

Andererseits: Die Simulationen sind in der Formel 1 heutzutage so gut geworden, dass niemand mit einem komplett absurden Set-up völlig aufgeschmissen wäre, und auch die Fahrer kennen die Strecken aus virtuellen Runden längst wie ihre Westentasche, wenn sie am Wochenende im Autodrom ankommen. Die Zeiten, in denen Alex Wurz vor seinem Formel-1-Debüt 1997 in der Concorde in Richtung Kanada noch hastig in der Autosport die Streckenskizze studiert hat, um wenigstens grob zu wissen, welche Kurve in welche Richtung geht, sind längst vorbei.

Den Faktor Sicherheitsrisiko kann man also von der Liste der potenziellen Bedenken streichen. Dass der eine oder andere mal sein Set-up verwachsen würde? Geschenkt. Beziehungsweise: sogar wünschenswert! Es ist ja nicht so, dass man die Startaufstellung für den F1-Sprint würfeln würde. Es würden immer noch die vorne stehen, die ihren Job am besten machen. Aber es würde möglicherweise etwas Abwechslung dazukommen. Das kann dem Sport nur guttun.

Longrun-Daten über die Haltbarkeit der Reifen könnte man unter realen Bedingungen schon am Freitagnachmittag sammeln, zumindest mit einer der Reifenmischungen. Und am Samstag bliebe im Freien Training noch genug Zeit, um etwaige Updates Tests zu unterziehen und gegebenenfalls ein umgebautes Set-up auszuprobieren, falls jenes, mit dem der F1-Sprint gefahren wurde, ein Flop gewesen sein sollte.

Rein theoretisch könnte man den Ingenieuren sogar noch einen Schritt entgegenkommen und das Sprint-Qualifying am Freitagmorgen mit einem "SQ0" beginnen, also einem für die Zeitnahme irrelevanten 15-Minuten-Block, um sich einmal an die realen Streckenbedingungen heranzutasten. Danach 15 Minuten (Werbe-)Pause für die TV-Broadcaster - und dann wie bisher weiter mit zwölf Minuten SQ1, zehn Minuten SQ2 und acht Minuten SQ3.

Win-Win-Win: Wo die Chancen der Änderung liegen

Nach dem Sprint-Qualifying täte es weniger weh, keine Pressekonferenz und keine Interviewtermine zu haben. Aber der F1-Sprint selbst könnte am Freitagabend in aller Ausführlichkeit aufbereitet werden. Und müsste weder auf irgendwelchen Startseiten noch in den TV-Abendnachrichten mit einem Qualifying konkurrieren. Er wäre der unumstrittene Star des Tages.


Die inoffizielle

Am Freitagnachmittag wäre die Tribüne wahrscheinlich rappelvoll, und die Veranstalter würden sich über (noch mehr) zusätzliche Ticketeinnahmen freuen. Der eine oder andere, der vielleicht nur am Freitag kommen wollte, würde vielleicht noch spontan Karten für Samstag/Sonntag nachkaufen. Zu Hause vor den TV-Schirmen würden hunderttausende Fans ins Wochenende starten, indem sie ihr Feierabendbierchen mit dem F1-Sprint genießen. Und alteingesessene Formel-1-Enthusiasten wie ich hätten zumindest am Samstag und Sonntag ihr gewohntes Format zurück. Win-Win-Win.

On top, wenn man es besonders engagiert angehen möchte, könnte man die sechs F1-Sprints (bitte nicht noch mehr!) sogar von der klassischen WM entkoppeln und eine eigene Sprint-WM fahren. Mit einem dicken Preisgeld statt eines FIA-Pokals, und einer Gutschrift auf das ATR-Konto, für mehr Windkanal- und CFD-Ressourcen. Und/oder einem Freibetrag für das Budgetcap. So wäre sichergestellt, dass niemand die F1-Sprints auf die leichte Schulter nimmt und nur missbraucht, um Tests für das eigentliche Rennen zu fahren. Ein Sieg am Freitag soll schließlich auch was wert sein. Und trotzdem in Sachen Status nicht mit dem Grand Prix am Sonntag konkurrieren.

Lieber Stefano: Sollte das wirklich so kommen, würde ich mich aufrichtig bei dir bedanken - und ich bin mir sicher, hunderttausende Formel-1-Fans weltweit auch. Und falls du mir darüber hinaus noch eine kleine Provision zukommen lassen möchtest, hätte ich da schon eine Idee. Die nichts mit Geld zu tun hat, nur um das schon vorweg geradezurücken ...

Euer
Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.

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