• 28. August 2023 · 08:23 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Logan Sargeant

Warum Logan Seargeant eigentlich keine Zukunft in der Formel 1 haben kann und die deutschen Medien jetzt eine Chance für Mick Schumacher wittern

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

Foto zur News: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Logan Sargeant

Fliegt Logan Sargeant bei Williams raus, und kommt Mick Schumacher? Zoom Download

Zandvoort 2023 hatte einige Verlierer. Ferrari ist sowieso ein Dauerbrenner, wenn es darum geht, für diese Kolumne in Betracht gezogen zu werden, war in dieser Formel-1-Saison aber schon dreimal dran; und letztendlich sind es eh die immer gleichen Geschichten über Vertrauensverlust und Chaos, die man über die Scuderia schreiben könnte.

Alfa Romeo fällt einem da ein - ein Team, das sich zwischenzeitlich über den zweiten Platz im Rennen freuen durfte, Guanyu Zhou am Ende aber nicht vom Podium, sondern aus den Leitplanken holen musste.

Das Haas-Team sowieso, das trotz des Regens, neuer Bremsbelüftungen und eines neuen Frontflügels fast noch hoffnungsloser hinterhergefahren ist als vor der Sommerpause. Denn jetzt geht plötzlich auch im Qualifying nichts mehr.

Oder auch Esteban Ocon, der seinem Alpine-Teamkollegen Pierre Gasly bei der Siegerehrung zuschauen musste, während er selbst sich über die strategischen Entscheidungen seiner Crew ärgerte.

Die beiden McLaren-Fahrer, Sergio Perez - Kandidaten gibt's genug. Aber am allerschlechtesten geschlafen hat dann vielleicht doch ein anderer: Williams-Pilot Logan Sargeant. Und das ist, darauf werde ich weiter unten in dieser Kolumne eingehen, womöglich auch aus deutscher Sicht ganz interessant. (Diese Kolumne jetzt im Forum mit anderen Formel-1-Fans diskutieren!)


Ein Amerikaner in der Formel 1

Groß war die Freude bei Williams-Investor Dorilton Capital und bei Formel-1-Rechteinhaber Liberty Media, als sich Sargeant Ende 2022 via Formel 2 mit Müh und Not zur FIA-Superlizenz zitterte. Endlich hatte man einen Amerikaner in der Königsklasse des Motorsports. Vor dem Hintergrund von drei Grands Prix in den USA ein Traum für die betroffenen Marketingabteilungen.

Inzwischen scheint man jedoch aus dem Traum aufgewacht zu sein. Sargeant fuhr in Zandvoort zwar erstmals in ein Top-10-Qualifying, war ansonsten aber bisher eine Enttäuschung auf ganzer Linie.

Ernüchternde Bilanz gegen den Teamkollegen

Selbst gegen Alexander Albon geht Sargeant sang- und klanglos unter: 0:13 im Qualifying- und 2:11 im Rennduell 2023, 0:2 nach Sprint-Shootouts und 0:3 nach F1-Sprints. Es gibt im gesamten Starterfeld kein anderes Teamduell, das so eindeutig gegen einen Fahrer spricht. Und das, obwohl die Messlatte Albon heißt und nicht Verstappen.

Das Qualifying in Zandvoort wurde zunächst als Erfolg für den Floridianer gewertet. Dabei war es das bei genauerem Hinsehen nicht. Und damit meine ich noch nicht einmal den überflüssigen Crash, der sich ohnehin selbst richtet.

In Q1 fuhr Albon in 1:20.939 Minuten sensationell Bestzeit, während Sargeant mit einer Zeit von 1:22.036 Minuten als 15. und Letzter den Q2-Einzug schaffte. Drei Hundertstelsekunden langsamer, und er wäre von Guanyu Zhou rausgebüchst worden.

Auch in Q2 lieferte Sargeant als Zehnter nur die Minimalanforderung ab, mit einer Rundenzeit von 1:20.067 Minuten. Diesmal hatte er fünf Hundertstelsekunden Vorsprung auf Lance Stroll, und sein Rückstand auf Albon betrug 0,638 Sekunden.

In Q3 lag eine Sekunde zwischen den beiden Williams-Piloten, ehe Sargeant abflog und seinen Mechanikern eine Nachtschicht bescherte (und den Buchhaltern, die sich ums Budgetcap sorgen müssen, Kopfschmerzen). Am Ende war er Letzter und Albon sensationell Vierter der Startaufstellung.

Erfolg sieht für mich anders aus. Ich würde eher sagen: Kein anderer Fahrer fällt gegen seinen Teamkollegen so stark ab. Und das liegt nicht daran, dass im zweiten Williams ein übermächtiger Gegner sitzen würde. Wir erinnern uns: Der Gegner heißt Albon, nicht Verstappen.

Williams: Besser als der Ruf?

Dass Sargeants Q3-Einzug mancherorts als Teilerfolg gefeiert wurde, hängt vermutlich damit zusammen, dass der Williams aufgrund der durchwachsenen vergangenen Jahre immer noch als eins der schlechtesten Autos im Feld wahrgenommen wird. Das ist er aber längst nicht mehr.

Ich gehe sogar so weit und sage: Derzeit ist Williams in der Hackordnung ein Top-5-Kandidat - hinter Teams wie Red Bull, Mercedes, Aston Martin und McLaren, aber auf Augenhöhe mit Ferrari und Alpine. Man stelle sich vor, was ein Verstappen mit diesem Auto aufführen würde!

Dann der Start: Sargeant, als Zehnter in einer guten Ausgangsposition, schätzt den Grip seiner Softreifen bei einsetzendem Regen offenbar völlig falsch ein. Rechts und links ziehen die Gegner an ihm vorbei. Sargeant korrigiert ständig am Lenkrad, wirkt überfordert. Nicht das Holz, aus dem Champions von morgen geschnitzt sind.

Nach der ersten Runde ist er 13., nach der dritten nur noch 18. Dass Williams nicht schlau genug war, frühzeitig auf Intermediates zu wechseln, ist ein anderes Thema. Aber die Stoppuhr lügt nicht: Unmittelbar vor seinem neuerlichen Crash ist Sargeant Letzter, über eine Minute hinter Spitzenreiter Max Verstappen und 45,7 Sekunden hinter Albon. Auf der gleichen Strategie wie der Teamkollege.

Der Abflug selbst? Geschenkt. Im Nachhinein rechtfertigt sich Sargeant damit, dass er beim Überfahren eines Randsteins wohl die Hydraulik außer Gefecht gesetzt hat, wodurch die Servolenkung ausfiel und er nach eigenen Angaben nur noch Passagier war.

Bei genauerem Hinsehen muss man kritisch festhalten: Laut Aussage von Teamchef James Vowles ist Sargeant an der Stelle nicht zum ersten Mal drübergefahren. Das sei den Ingenieuren bereits im Freitagstraining aufgefallen. Schwamm drüber.

Druck auf Sargeant wächst

Der Druck auf den US-Boy, der in Zandvoort erstmals richtig nachdenklich wirkte, wächst. Vowles hatte ihn schon in der Teamchef-Pressekonferenz am Freitag angezählt. Statt zu erklären, Sargeant mache einen super Job und werde auch 2024 im Williams sitzen, meinte Vowles nur, es sei schon richtig, dass da eine Steigerung kommen muss.

Wer weiß, wie diplomatisch Vowles, rhetorisch gesehen so etwas wie ein "Anti-Steiner", normalerweise redet, der ahnt: Das sind keine guten Vorzeichen für eine Vertragsverlängerung. Amerikanischer Pass hin oder her.

Denn eins darf man nicht vergessen: Ein Amerikaner in der Startaufstellung mag ja schön sein. Aber wenn der nix reißt, kommen deswegen auch keine US-Zuschauer an die Rennstrecken in Miami, Austin und Las Vegas. Selbst ein klingender Name wie der von Michael Andretti blieb in seiner Heimat 1993 weitgehend unbeachtet, weil er als McLaren-Teamkollege von Ayrton Senna keinen Stich machte.

Eine Chance für Mick Schumacher?

Wenn's darum geht, wer Sargeant ersetzen könnte, dann sind die deutschen Medien schnell dabei, Mick Schumacher ins Cockpit zu schreiben.

Was sicher stimmt: Schumacher leistet am Simulator wertvolle Arbeit für Mercedes. Toto Wolff setzt alles dran, ihm ein Renncockpit zu verschaffen. Und beim McLaren-Test vor ein paar Wochen dürfte er sich - wenn das stimmt, was in Deutschland berichtet wird - nicht schlecht angestellt haben.

Doch mir fehlen die klaren Indizien dafür, dass Wolffs Bemühen, Mick bei seinem alten Kumpel Vowles und seinem ehemaligen Team Williams unterzubringen, schon fruchten. Was mir stattdessen aufgefallen ist: Wann immer Wolff nach Micks Zukunft gefragt wird, gibt er schmeichelhafte, aber ausweichende Antworten.

Zum Beispiel am vergangenen Wochenende bei Sky. Auf die ganz konkrete Frage, ob Mick eine Option für Williams sei, antwortete der Mercedes-Teamchef: Mick verdiene es, in der Startaufstellung zu stehen, er habe bei Haas Selbstvertrauen verloren, habe aber in der Formel 3 und Formel 2 bewiesen, dass er es kann. Und Mick fahre sich am Freitagabend im Simulator stets die Seele aus dem Leib und trage so zum Set-up der beiden Mercedes-Stammpiloten am Rennwochenende bei.

Aber eine konkrete Antwort auf die Frage? Fehlanzeige. Vielleicht, weil es keine erfreuliche Antwort gibt?

Schumacher: Besserer Rennfahrer als 2022

Mick, da bin ich mir ziemlich sicher, wäre für Williams eine mindestens genauso gute Wahl wie Sargeant. Vermutlich würde er den Job sogar besser machen. Sein Problem ist: 2022 wurde er zwar, ja, von Günther Steiner ziemlich kaputt geredet; aber dazu hat er mit seinen unbefriedigenden Leistungen und Unfällen erstmal selbst die Tür aufgemacht.

Dazu kommt: Dass seine damalige Referenz, Kevin Magnussen, auch kein Kaliber allererster Klasse war, sieht die Welt jetzt, wo Magnussen von Nico Hülkenberg, der drei Jahre lang in Formel-1-Rente war, entzaubert wird. Im Qualifying, das sei der Vollständigkeit halber erwähnt, mehr als im Rennen.


Analyse Rennen: Regenchaos in Zandvoort!

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Warum hat Alonso im packenden Finish gegen Verstappen nicht alles riskiert? Eine von vielen Fragen nach dem irren Chaos-Grand-Prix der Niederlande. Weitere Formel-1-Videos

Andererseits: Mick hat bei Mercedes sicher wertvolles Wissen angehäuft und seine Fähigkeiten als Entwickler geschärft. Das wäre für jedes Formel-1-Team ein Asset. Und er muss sich nicht mehr jedes Wochenende anhören, was für ein Stümper er nicht ist. Das kann bei einem jungen Mann Wunder wirken. Ich bin mir hundertprozentig sicher: Der Mick von 2023 ist ein besserer Rennfahrer als der Mick von 2022.

Aber reicht das aus, um nochmal eine Chance zu bekommen? Ganz egal, mit welchem Teamchef man spricht: Hinter vorgehaltener Hand hat fast jeder Zweifel an seinen Qualitäten. Ein super Test- und Entwicklungsfahrer? Ja, mag sein. Ein Rennfahrer, der in Zukunft Grands Prix und WM-Titel gewinnen wird? Hm.

Williams: Welche anderen Kandidaten gibt es?

Aus Sicht von James Vowles, der Williams gerade für die Zukunft neu aufstellt, könnte es da attraktiver sein, einen anderen jungen Mann auszuprobieren, dessen Fähigkeiten man in der Formel 1 noch nicht zwei Jahre lang gesehen hat. Und die Kandidaten gibt's.

Mick Schumacher war 2020 Formel-2-Champion. 2021 holte Oscar Piastri den Titel. Der fährt inzwischen Formel 1, mit einem Mercedes-Motor (und einem langfristigen McLaren-Vertrag).

2022 wurde Felipe Drugovich Meister. Der Brasilianer ist heute Testfahrer bei Aston Martin, einem Mercedes-Team - und wird dort keine Rennen fahren, solange Fernando Alonso und Lance Stroll, der Sohn des Chefs, nicht aufhören.

Und 2023 schickt sich der Däne Frederik Vesti an, die Meisterschaft zu gewinnen. Ein Mercedes-Junior.

Es mangelt also nicht an vielversprechenden Fahrern mit Mercedes-Background, die für das Williams-Cockpit in Frage kommen könnten. Und auch wenn ich sicher bin, dass Mick es mit all den genannten Fahrern aufnehmen könnte, auch wegen seines Vorsprungs an Formel-1-Erfahrung: Die beste Wette für die Zukunft ist er angesichts seiner Vergangenheit zumindest von außen betrachtet nicht.

Besser geschlafen als Logan Sargeant hat nach Zandvoort übrigens Fernando Alonso. Warum, das erklärt mein Kollege Stefan Ehlen in der Schwesterkolumne "Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat".

Euer Christian Nimmervoll


Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.

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