• 29. Dezember 2014 · 08:32 Uhr

Kolumne zum Schumacher-Unfall: Kann das wahr sein?

Redakteur Markus Lüttgens erinnert sich an den Skiunfall von Michael Schumacher, der auch für ihn als Journalisten eine emotionale Ausnahmesituation war

(Motorsport-Total.com) - Liebe Formel-1-Fans,

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Michael Schumachers Unfall schockierte vor einem Jahr nicht nur die Formel-1-Welt Zoom Download

die Zeit "zwischen den Jahren" ist auch für uns Formel-1-Journalisten in aller Regel eine der wenigen wirklich ruhigen Phasen des Jahres. Die Jahresrückblicke sind fertiggestellt, tagesaktuell gibt es kaum bis wenig zu berichten. Dementsprechend gelassen trat ich am 29. Dezember 2013 um 14 Uhr meinen Spätdienst in der Redaktion an. Doch schnell wurde klar, dass dieser Tag alles mögliche sein würde, aber keine Routine.

Denn ziemlich genau zu meinem Dienstbeginn kam die Meldung herein, Michael Schumacher habe beim Skifahren einen Unfall gehabt. Was zunächst einmal noch keine spektakuläre Meldung sein muss. Beim Skifahren stürzen viele Leute, ein Beinbruch oder ein Bänderriss sind heute kein Drama mehr. Wie dramatisch sich dieser Tag entwickeln sollte, war an diesem Sonntagnachmittag zunächst noch nicht absehbar.

Denn zunächst gab es nur wenige gesicherte Informationen. Managerin Sabine Kehm bestätigte zwar recht zeitnah, dass Schumacher beim Skifahren auf dem Kopf gestürzt sei und ins Krankenhaus gebracht worden war, Aussagen des Leiters der Skistation in Meribel schienen jedoch bereits Entwarnung zu geben. Es sei nichts Ernstes, ließ Herr Gernignon-Lecomte verlauten.

Als Journalist steckt man in solch einer Situation immer in einem gewissen Dilemma. Einerseits möchte man die Leser so schnell und so umfassend wie möglich informieren, andererseits sollte man sich aber nicht dazu hinreißen lassen, voreilig zu spekulieren und Panik zu schüren oder falsche Hoffnungen zu wecken. In der Praxis heißt das: Nur gesicherte Informationen als Tatsachen vermitteln und klar herausstellen, wenn Aussagen von vermeintlichen Augenzeugen unbestätigt sind.


Fotostrecke: Reaktionen auf

In einer solchen Situation können Dienste wie Twitter zugleich Segen und Fluch sein. Nirgendwo wird man schneller mit "frischen" Informationen versorgt, wobei natürlich bei weitem nicht alles stimmt, was dort verbreitet wird. Aber natürlich sollte man gerade bei sich dynamisch entwickelnden Nachrichtenlagen jedem Hinweis nachgehen und recherchieren, was allerdings bei so vielen und teils widersprüchlichen Meldungen wie an diesem Tag eine ziemliche Sisyphusarbeit werden kann.

Die schlimmsten Befürchtungen werden wahr

Im Laufe des Abends wurde die Nachrichtenlage zunächst nicht klarer. Französische Medien sprachen von Komplikationen und Hirnblutungen, doch verlassen konnte man sich darauf immer noch nicht. Dennoch stieg in mir mit zunehmender Dauer das Gefühl auf, dass hier etwas Schlimmes passiert sein könnte, denn renommierte Medien wie die französische L'Equipe verbreiten so etwas nicht aus freiem Dunst.

Diese schlimmen Befürchtungen wurden dann gegen 22 Uhr durch ein offizielles Statement bestätigt: Die Worte "Kopftrauma mit Koma, das umgehend eine neurochirurgische Behandlung erfordert" haben sich mir an diesem Abend in mein Gedächtnis eingebrannt. Was sie konkret bedeuteten, konnte ich damals noch nicht begreifen.

Die folgenden Stunden waren wohl die schwersten in meiner Laufbahn als Journalist. Natürlich muss man als professioneller Berichterstatter immer eine gewisse kritische Distanz zum Thema wahren und neutral berichten. Doch so schwer wie an diesem Tag ist mir das vorher (und auch bis heute) noch nie gefallen. Denn als Mensch bin ich zwar einerseits Journalist, war aber andererseits viele Jahre lang vor allem eines: "Schumi"-Fan.

"Schumi" darf nicht sterben

Ich hatte seinen Aufstieg in der Formel 1 verfolgt und seine Erfolge gefeiert. Wie oft hatte ich nach seinen Siegen am Elternhaus die Ferrari-Flagge gehisst, die auch heute noch einen Ehrenplatz in meinem Arbeitszimmer hat. Ich hatte miterlebt, wie er heftige Unfälle auf der Rennstrecke ohne schwere Verletzungen überstand. Und nun sollte ihn ein Skiunfall im Alter von 44 Jahren aus dem Leben reißen? Und ich muss darüber berichten?

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Redakteur Markus Lüttgens ließ das Schicksal Schumachers nicht kalt Zoom Download

Genau das stand in dieser Nacht zu befürchten, weshalb an Dienst nach Vorschrift natürlich nicht zu denken war. Bis 2 Uhr nachts verfolgte ich die Entwicklung, sammelte erste Reaktionen und musste bei jedem neuen Tweet oder jeder E-Mail mit dem Unvorstellbaren rechnen. Ich weiß noch, wie dankbar ich war, als sich irgendwann mein erfahrener Kollege Roman Wittemeier bei mir meldete und mir mit Rat und Tat zur Seite stand, obwohl er eigentlich frei hatte. Aber ganz alleine im Dienst fühlte ich mich in dieser Situation auch ein wenig hilflos.

Irgendwann ging ich zu Bett, doch an Schlaf war erst einmal nicht zu denken, zu sehr hatten mich die Ereignisse dieses Tages aufgewühlt. Als ich nach einigen unruhigen Stunden aufwachte und mich wieder an die Arbeit machte, hoffte ich noch darauf, dass alles nur ein schlechter Traum gewesen sei. Doch diese Hoffnung wurde spätestens durch die Pressekonferenz der Ärzte zerstört.

Für manche Kollegen schämt man sich

Es folgten Tage des Hoffens und Bangens, Tage, in denen es natürlich bei uns nur ein Thema gab. Dennoch war die Berichterstattung nicht immer einfach. Verschiedene Mediziner äußerten sich in diesen Tagen zum Thema Schumacher, doch aus der Distanz und nur auf die offiziellen Informationen gestützt, konnten sie natürlich nur allgemeine Erklärungen abgeben. Immer wieder musste man daher sich daher darauf besinnen, diese Informationen in den richtigen Kontext zu setzen.

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Managerin Sabine Kehm stand nach dem Unfall im Mittelpunkt Zoom Download

Es waren auch Tage, an denen ich mich manchmal für einige Vertreter meines Berufsstandes schämte. Dabei denke ich nicht nur an den - nein, Kollegen will ich ihn nicht nennen - der als Priester verkleidet zum Krankenbett Schumachers vordringen wollte. Ohnehin ließ so mancher Medienvertreter den notwendigen Respekt vor der Situation vermissen.

Ich erinnere mich auch an den Neujahrstag und die chaotische bis würdelose Pressekonferenz von Sabine Kehm, bei der man fast schon Angst haben musste, dass die Managerin von den Reportermassen erdrückt würde. Bemerkenswert fand ich jedoch, wie professionell Frau Kehm in diesen Tagen agierte. Wie viel Kraft sie das gekostet haben mag, kann ich nur erahnen.

Anteilnahme an Schumachers Schicksal bewegt

Der Lichtblick in diesen, auch für mich schwierigen Tagen, war aber die große Anteilnahme, die Schumacher nicht nur von Rennfahrerkollegen zuteil wurde (Lesen Sie alle Rekationen noch einmal in unserer Fotostrecke). Die Formel 1 mag im Alltagsbetrieb zwar ein Haifischbecken mit lauter Einzelkämpfern sein, doch bei solchen Unglücksfällen rückt die Königsklasse immer solidarisch zusammen. Das sollte sich Monate später auch bei Jules Bianchi zeigen.

Nach einigen turbulenten Tagen rückte das Thema Michael Schumacher und sein Unfall dann bei uns Schritt für Schritt wieder in den Hintergrund. Was aber auch eine vollkommen normale Entwicklung ist, denn wenn es nichts Neues gibt, dann kann man auch nichts Neues berichten. Doch natürlich lässt uns das Thema seitdem nicht mehr los. Für Aufregung sorgten Meldungen über seine Verlegung aus dem Krankenhaus nach Hause oder den Diebstahl seiner Krankenakte.

Seit vielen Monaten gibt es nun keine neuen Meldungen über den Zustand von Michael Schumacher. Das, was vor genau einem Jahr zu befürchten stand, ist glücklicherweise nicht eingetreten. "Schumi" lebt, auch wenn dieses Leben nicht mehr dasselbe wie vor jenem schicksalsträchtigen 29. Dezember 2013 ist. Vor ihm liegt ein langer Weg der Rehabilitation. Für diesen Weg wünsche ich Dir, lieber Michael, und Deiner Familie viel Kraft! In diesem Sinne,

#KeepFightingMichael

Markus Lüttgens

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